Alpträume der Klimaforscher

Schmelzwasser auf GrönlandEs ist ja eine populäre These, dass die zum Klimawandel forschenden Wissenschaftler die Gefahr bewusst aufbauschen, um mehr Forschungsgelder für ihre Arbeit zu bekommen.

Je intensiver ich mich mit der Frage beschäftige, desto mehr komme ich zum gegenteiligen Schluss: Die Wissenschaft läuft Gefahr, uns aus Angst um ihre Reputation systematisch zu „konservativ“ zu informieren und Risiken zu verschweigen, solange die Evidenz nicht vollständig ausreicht.

Der führende US-Klimaforscher James Hansen hat einen sehr spannenden Artikel geschrieben, der dieser Frage anhand des Mega-Risikos des Zusammenbruchs von Grönland- und westantarktischem Eisschild nachgeht (hier eine populäre Version dieses Artikels). Er führt die zahlreichen Indizien auf, die einen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter aufgrund des raschen Abschmelzens von Teilen dieser Eisschilde in den Bereich des Möglichen rücken. Ein Szenario, das die Küstenstädte der Erde unter Wasser setzen würde, kurz: eine Barbarei.

Dennoch hat sich im jüngsten IPCC-Bericht eine Linie durchgesetzt, die hinsichtlich des Meeresspiegelanstiegs nur eine Aussage zum kleinsten Teil des Meeresspiegelanstiegs macht: um 20-43 cm (midrange projection) bzw. 18-59 cm (full range) wird demnach voraussichtlich der Meeresspiegel aufgrund der thermischen Expansion des Meerwassers ansteigen. Weil man keine quantitativen Aussagen zu raschen dynamischen Veränderungen in den Eisströmen machen könne, bezieht der IPCC deren Konsequenzen nicht in die Projektion ein (siehe hierzu eine gut verständliche Darstellung in KlimaKompakt von Germanwatch). Im Endergebnis dieser vornehmen wissenschaftlichen Zurückhaltung angesichts von Lücken in der wissenschaftlichen Erkenntnis wird der „Gorilla im Raum“ ausgeblendet.

Florida im Klimawandel. Quelle: New ScientistVor kurzem war ich auf einer spannenden Tagung in Potsdam, auf der sich Klimaforscher und Künstler begegneten. Eines der interessantesten Diskussionbeiträge kam von einem Top-Klimaforscher: Er forderte die anwesenden Künstler auf, doch die Alpträume zu kommunizieren, die die Klimaforscher hätten, die sie aber nicht öffentlich machen könnten, ohne ihre wissenschaftliche Reputation zu gefährden.

„Alpträume“ stand für die Megarisiken, die wir bei ungebremstem Klimawandel eingehen. Denn bereits jetzt nehmen wir – kollektiv und zumeist unwissentlich – weit höhere Risiken für die Lebenswelt unserer Kinder und Kindeskinder in Kauf, als wir im privaten Leben jemals akzeptieren würden. Schon jetzt würde es ein klimapolitisches Crash-Programm erfordern, das Risiko einer Überschreitung der 2-Grad-Schwelle für gefährlichen Klimawandel unter 10% zu drücken (hier mehr zur Begründung). Ein Crash-Programm, das zu fordern Sir Nicolas Stern nicht den Mut hatte, obwohl seine Analyse es eigentlich nahelegte. Ein Crash-Programm, das selbst die momentanen Forderungen von Umweltverbänden und Grünen noch nicht vorsehen. Weil es zu teuer würde? Weil das Notwendige nicht im Bereich des politisch Machbaren liegt?

Wer würde in ein Flugzeug steigen, dessen Absturzrisiko bei 10% läge? Wieviel mehr würden wir für einen sichereren Flug ausgeben?

Wieviel Prozent des Bruttosozialprodukts ist uns der Erhalt des Grönland-Eisschilds (und damit Miamis, Venedigs, New Yorks und Hamburgs) wert?

Lesenswert dazu: EcoEquity’s Analyse zum Stern Review „The Worth of an Ice Sheet


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