Die Herausforderung des Westens

Die Bewältigung der Doppelkrise von Klima- und Energiesicherheit stellt für uns im recht wohlhabenden Westen eine mehrfache Herausforderung dar. Hierzu einige Thesen, die ich aus aktuellem Anlass verfasst habe:

1) Westeuropa und Nordamerika prägen immer noch weltweit die Vorstellung von „Entwicklung“ und Erfolg, sie sind – wenn auch in schwindendem Maße – kulturell, medial, ökonomisch und technologisch Vorbild, weit über ihren Anteil an der Weltbevölkerung hinaus.

2) USA und Europa haben ihre ökonomische, politische und militärische Führungsrolle im Rahmen einer Industrialisierung erlangt, die historisch und bis heute auf fossilen Brennstoffen beruht und ursächlich für die aktuelle Klima- und Energiekrise ist. Sie sind gefordert, einen neuen Entwicklungspfad zum Erfolg zu führen, der sich von dieser Ressourcenbasis sehr rasch löst, auf hoher Effizienz und erneuerbaren Energien beruht und weltweit ausstrahlen wird. Um es auf eine Kurzformel zu bringen: From leadership through burning of nuclear and fossil fuels to leadership by moving towards a green economy.

3) EU und USA (bisher v.a. auf Ebene der Bundesstaaten) sind Vorreiterstaaten für die Politik einer Energiewende. Sie haben, vom EEG über Renewable Portfolio Standards bis zum Emissionshandel, Instrumente einer nachhaltigen Energiepolitik entwickelt, die Möglichkeiten zum weltweiten „policy learning“ bieten. Der europäische Emissionshandel ist über seine Importregeln prägend für den globalen CO2-Markt, die EU hat damit eine ungeheure, nahezu unilaterale Gestaltungsmacht für diesen Markt.

4) Insbesondere die EU hat eine unersetzbare Führungsrolle als „Lokomotive“ im globalen Klimaprozess. Ob sich das unter einem neuen US-Präsidenten wesentlich ändern wird und sie von den USA abgelöst wird, bleibt abzuwarten. Die EU hat sich als eine auf Demokratie, der Herrschaft des Rechts und gegenseitiger Solidarität basierende Staatengemeinschaft weltweit Respekt erworben und damit als soft power die Glaubwürdigkeit für eine Gestaltung einer kooperativen Bewältigung der Klima- und Energiekrise.

5) Die notwendige Führungsrolle von EU und USA ist jedoch gefährdet. Im Falle der EU durch die Erweiterung nach Süden und Osten, durch Staaten, in denen wie im Papier beschrieben das Bewusstsein für globale Verantwortung und ökologische Risiken noch wenig ausgeprägt ist. Im Falle der USA durch eine Rezession, die Jobängste vertieft und Ängste um den Verlust des Status der einzigen Supermacht befördert.

6) In beiden Fällen ist insbesondere der Aufstieg großer Staaten Asiens eine Herausforderung für ein kollektives Selbstbild, das sich bisher einseitig auf einen Rang an der Spitze der globalen ökonomischen und politischen Ordnung stützt. Die Versuchung eines Missbrauchs der globalen Klima- und Energiepolitik zur Aufrechterhaltung einer Vormachtstellung liegt nahe und wird von den politischen Eliten der „emerging powers“ argwöhnisch unterstellt. Dem kann nur durch Rückgriff auf transparente Prinzipien von Fairness entgegengewirkt werden.

7) Notwendig für eine klima- und energiepolitische Realpolitik ist auch eine Reflexion der Belastung des Nord-Süd-Verhältnisses durch eine koloniale und neokoloniale Vergangenheit, die kollektives Bewusstsein und politische Strukturen bis heute tief prägt, auch wenn sie von der Wirklichkeit zunehmend überholt ist . In der Klimapolitik ist die politisch höchst wirkmächtige, wenn auch zu überwindende Einteilung in Annex I- und Non-Annex I-Staaten nur auf diesem Hintergrund zu erklären.

8 ) Auch eine Global-Governance (UN-Sicherheitsrat, Weltbank, G8, IEA), die der realen Verschiebung der ökonomischen und politischen Verhältnisse hinterherhinkt und weitgehend eine neokoloniale Nachkriegsordnung konserviert, ist Teil des Problems, und muss für eine kooperative, gerechte Krisenbewältigung Veränderungen erfahren. Bisher sind die Strukturen globaler Governance für diese Aufgabe nicht gerüstet.

9) Mental hat weder das Verantwortungsbewusstsein der „emerging powers“ (und Russlands) in gleichem Maße mit ihrer realen ökonomischen Macht Schritt gehalten, noch ist das Selbstverständnis der USA auf eine Rolle eines „primus inter pares“ in einer Welt zunehmend verteilter Macht eingestellt.

10) Für eine kooperative Bewältigung der Klima- und Energiekrise ist es somit unumgänglich, dass insbesondere die großen Mächte der Region (USA, EU, RUS) ihre Rolle in der Welt neu justieren. Die Klimakrise zwingt zu globaler Kooperation, sonst kann sie nicht bewältigt werden. Auch in einer nachhaltigen Energiepolitik liegen große Kooperationsgewinne, die es zu realisieren gilt. Wenn z.B. die USA ambitionierte Verbrauchsstandards für Kfz einführen, dann wird die ganze Welt davon über niedrigere Ölpreise profitieren. Ähnliches gilt natürlich auch für China, oder die EU.

Foto: G8-5 Gipfel in Heiligendamm (Foto: Bundesregierung).