Werte, Narrative und Kampagnen: Wahlkampf mit der Energiepolitik

Sauber, stark, heimatverbunden und patriotisch. So wird Windkraft erfolgreich in den USA vermarktet.

Die Öffentlichkeit unterstützt politische Positionen nicht nur der Inhalte wegen. Es kommt vor allem auch darauf an, wie die Inhalte verpackt werden, welche Werte angesprochen werden, ob wir in ihnen unsere Überzeugungen wiederfinden. Das gilt für Deutschland ebenso wie für die USA.

„Es ist erstaunlich, warum Strom aus erneuerbaren Energien immer billiger wird, aber die Kunden immer mehr bezahlen müssen.“ So argumentierte zuletzt Jürgen Trittin. In einem Gastbeitrag in der FAZ entlarvt der Fraktionsvorsitzende der Grünen wie die vier großen deutschen Stromkonzerne vermeintlich ihre soziale Ader entdecken, um damit den Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen.

Die Kampagne der Stromkonzerne ist clever, weil sie weit akzeptierte Werte bedient, die viele Unterstützer der Energiewende teilen und von den wirklich wichtigen Auseinandersetzungen ablenkt. E.ON-Chef Theyssen spielt sich im SPIEGEL-Interview als Anwalt der sozial Schwachen auf und appelliert damit an das Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger. Gleichzeitig verstärkt er dadurch die Annahme, dass die erneuerbaren Energien und besonders die Fotovoltaik die Strompreise nach oben treiben. Dass dafür aber vor allem mangelnder Wettbewerb und Schlupflöcher der Industrie bei der Ökostromfinanzierung verantwortlich sind, kehrt er unter den Tisch.

Kurzum: Die Kampagne der Kohle- und Atomlobby verfängt. Sie schafft es, die komplexe Debatte zur Energiewende auf zwei Narrative zu verengen: Erstens, der Ausbau der Fotovoltaik verteuere die Strompreise und müsse deshalb drastisch reduziert werden. Zweitens, die Energiewende erfordere einen gigantischen Ausbau der Stromnetze, den wir zahlen müssten, um aus der Atomkraft auszusteigen. Dabei wird einerseits übertrieben. Andererseits wird von den wichtigen Fragen abgelenkt. Politisch müsste eigentlich darüber gestritten werden, warum die Preissenkung, die die Fotovoltaik an den Strombörsen auslöst, nicht beim Verbraucher ankommt; wie Speichertechnologien schneller in den Markt gebracht werden können; und welche regulatorischen Anreize benötigt werden, damit in neue Gaskraftwerke investiert wird, die wir für eine Übergangszeit brauchen.

Um besser zu verstehen, wie erfolgreiche Kampagnen funktionieren, lohnt ein Blick in die USA. Auch dort spielt das Thema Energiepolitik in den Wahlkampf hinein. Demokraten und Republikaner wissen, dass Energiepreise für die Öffentlichkeit wichtig sind. Beide Lager sind davon überzeugt, dass die US-Öffentlichkeit ganz allgemein für Energie (pro energy) ist. Auch deshalb stimmt Präsident Barack Obama in den Kanon des we need all of the above ein. Der Slogan ist sehr populär und war bislang den Republikanern vorbehalten.

Wie steht die Bevölkerung aber im speziellen zur Energie? Hohe Zustimmung gibt es in Umfragen  vor allem für mehr Energie, für heimische Energie, für saubere Energie, für billige Energie und für mehr Sicherheit in der Energieversorgung. Starke Ablehnung gibt es gegen Botschaften, dass Energie teurer, eine Technik einer anderen bevorzugt oder dass Geld verschwendet wird.

Weil die Vorlieben der Wählerinnen und Wähler zum Teil in Widerspruch zueinander stehen, müssen die spin doctors der Kampagnen die richtige Narrative formulieren, wenn sie Zustimmung gewinnen wollen. Deshalb ähneln sich die Wahlkampfbotschaften von Republikanern und Demokraten in der Rhetorik viel mehr als in der praktischen Politik. Eine Botschaft für mehr, billige, saubere und sichere Energie zieht immer. Kann eine Energiestrategie als teuer, einschränkend, schmutzig oder gar ausländisch gebrandmarkt werden, hat sie in der US-amerikanischen Öffentlichkeit schon verloren.

Bestes Beispiel dafür, wie diese Vorlieben bedient werden, ist der Kampf um den Bau der umstrittenen Keystone-Pipeline. Die Republikaner argumentieren, dass die Pipeline Energie billiger machen, neue (amerikanische!) Arbeitsplätze schaffen und die Sicherheit erhöhen würde. Obama, der den Bau der Pipeline verzögert, stellen sie als Blockierer hin. Umweltschützer und (Teile der) Demokraten halten dem entgegen, dass die Pipeline heimisches Öl verteuern, die Umwelt gefährden und nur den Profitinteressen ausländischer Konzernen dienen würde.

Die Hoffnung, dass auf Werten basierte Narrative funktionieren, erklärt auch den Dauerfolg eines vermeintlichen Skandals. Der republikanische Kandidat Mitt Romney hört nicht auf, auf der eigentlich längst gegessenen Skandalstory Solyndra (die in Wirklichkeit keine war) herumzureiten. Die Konservativen sehen darin die Möglichkeit, Obama entlang der Linien zu attackieren, die von der Öffentlichkeit (und vielen Demokraten)  abgelehnt werden: verschwenderischer Umgang mit Steuermitteln, Bestechlichkeit, teurere Energie, die Regierung zieht eine Technik bzw. ein Unternehmen den anderen vor. Zwingen diese Negativ-Botschaften Obama dazu, sich rechtfertigen zu müssen, haben die Republikaner ihr Ziel erreicht. Obama ist in der Defensive. Es muss Fehler seiner Regierung verteidigen statt über eine zukunftsfähige Energieversorgung zu reden.

Die Demokraten drehen den Spieß um und werfen Romney vor, dass er als Gouverneur von Massachusetts sein eigenes Solyndra produziert hat. Eine Strategie, die allerdings nicht ungefährlich ist, weil sie die grundsätzlich positive Botschaft der Demokraten einer sauberen, modernen Energieversorgung untergräbt. Zudem wird sie nicht dazu beitragen, Romneys Solyndra-Attacke ins Leere laufen zu lassen. Ähnlich ermüdend weil wiederholend, aber nicht weniger erfolgreich sind deshalb die Angriffe der Demokraten, dass die Republikaner sich weigern die Subventionen der Ölmultis zu streichen, obwohl die Staatskassen leer sind und es den Konzernen obendrein prächtig geht. Das stellt die Republikaner als verlogen dar, denn schließlich ist es ihre oberste Priorität, das Staatsdefizit abzubauen.

Neben den Negativ-Attacken wird das Obama-Lager auch versuchen, den Blick nach vorne zu lenken und die Energiepolitik als einen Baustein für die wirtschaftliche Modernisierung des Landes zu nutzen: Investitionen in erneuerbare Energien, Ausbau der Stromnetze, Förderung von Elektroautos etc. Denn Obama weiß, dass die Wählerinnen und Wähler in den umkämpften swing states den Ausbau der erneuerbaren Energien stark befürworten (zum Beispiel hier und hier) – solange die Botschaft richtig formuliert ist und Werte anspricht, die eine Mehrheit der Wählerschaft teilt.

Foto von kd1s unter CC BY-NC-SA 2.0.