Die Wahrheit, die Medien, und die Angst

Stefan Rahmstorf hat mit seinem Artikel in der FAZ einen wahren Sturm in der Blogosphäre entfacht. Auf faz.net sind nun schon 116 Kommentare zu Rahmstorfs Beitrag eingegangen, die Erwiderung der „Klimaskeptiker“ hat 79 Kommentare. bei Stefan Niggemeier sind bis jetzt 169 Kommentare eingegangen, und auch sonst liefert Technorati jede Menge Rückmeldungen.

Um was geht es in der Substanz? Was wirft Rahmstorf einer ganzen Reihe von AutorInnen vor, darunter von der fossilen Industrie finanzierte, selbsternannte „Klimaexperten“ wie Fred Singer und Gerd-Rainer Weber, Journalisten wie Dirk Maxeiner oder Matthias Horx, und respektable aber fachfremde Wissenschaftler wie Josef Reichholf? Dass sie mit irreführenden, oft verzerrten und sachlich nachweisbar falschen Darstellungen und Sachinformationen arbeiten.

Und er belegt jede seiner Anwürfe mit konkreten Angaben, und da ich Rahmstorfs Beiträge auf realclimate gelegentlich verfolge, weiss ich in welchem Detail er im Einzelnen den Dingen nachgeht. Hier z.B. der Beitrag zu der Kurvenmanipulation durch E.G. Beck (dessen Kurve nachstehend reproduziert – finden Sie die Manipulation?)

Manipulierte Kurve

Rahmstorf vertritt also ein Wissenschaftsverständnis, das sich als Prozess der Wahrheitsfindung durch Aufstellung von Hypothesen und deren empirische Überprüfung durch Messdaten. Wenn neue Erkenntnisse bisherige Aussagen in Frage stellen, müssen diese überprüft und ggf. revidiert werden. Und aufgrund diesem nie abgeschlossenen, sich ständig überprüfenden wissenschaftlichen Erkenntnisprozess kommt er bisher zur Schlussfolgerung, dass der fortgesetzte Ausstoß von Treibhausgasen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Konsequenzen führen kann, die die meisten von uns als hochgradig negativ, wenn nicht sogar katastrophal bewerten würden.

Was er angreift ist die permanente mediale Reproduktion von Aussagen, die offenkundig schon seit langem empirisch widerlegt sind, und die offenkundig manipulative Verwendung von Daten und Darstellungen auf Seiten der „Klimaskeptiker“. Was er nicht angreift, ist begründeter wissenschaftlicher Zweifel an einzelnen Aussagen auch der Mehrheitsmeinung der Klimawissenschaft.

Seine Kritiker gehen mit keinem Wort auf die konkreten Vorwürfe ein. Sie verweigern die sachliche Auseinandersetzung in jedem der Streitpunkte. Weil sie dieser Auseinandersetzung offenkundig nicht standhalten können? Auch die Attacke auf Al Gore’s „Eine Unbequeme Wahrheit“, den sie als „eitlen Propagandafilm“ denunzieren, substantiieren sie nicht (hier Rahmstorf zum Gore-Film, inkl. einer Kritik an einer Ungenauigkeit die sich im Film findet).

Stattdessen begeben sie sich auf ein anderes Terrain: Sie postulieren sich als kleine, verfolgte Minderheit und stilisieren Rahmstorf zum „Glaubenskrieger“ mit „fanatischer Verfolgung Andersdenkender“, mit „bizarrem Geltungsbedürfnis“.

Wer Stefan Rahmstorf kennt, weiss dass ihm Geltungsbedürfnis eher fremd ist. Dass es ihn in die Öffentlichkeit drängt, weil kaum jemand den Verdrehungen der „Klimaskeptiker“ im Einzelnen die Stirn bietet. Ein Großteil der Wissenschaft spart sich die Zeit. Denn es sind in der Tat oft zu abseitige, offenkundig falsche und manipulative Aussagen, die in keinem wissenschaftlichen Journal Platz finden würden. Doch finden Sie ihren Weg in die Medien, und Rahmstorf ist einer der Wenigen die sich die Mühe machen, diese Aussagen auseinanderzunehmen. Dafür gebührt ihm der Dank der Öffentlichkeit.

Dann stellen die Kritiker die Klimadebatte auf eine Stufe mit „Endzeithysterien“. „Apokalyptizismus“, „Klimakatastrophe…als säkulare Religion“, „heiliger Krieg“, „Dschihad“,“heilige Mission“, „Endsieg in der Klimadebatte“, so lauten die Stichworte. (Eine schöne Zusammenstellung des Vokabulars findet sich bei professional slacker)

In der Tat machen uns viele der möglichen, wenn nicht sogar zunehmend wahrscheinlichen Auswirkungen des Klimawandels Angst. Es handelt sich um ein Phänomen von wahrhaft „geologischen“ Ausmassen, einer erdgeschichtlichen Dimension. Lassen wir diese Dimension an uns heran? Können wir uns diesen Auswirkungen stellen, der „unbequemen Wahrheit“ ins Auge sehen, ohne zu erstarren oder hysterisch zu werden?

Haupt der Medusa

(Bild: Haupt der Medusa, Peter Paul Rubens)

Ist Angst Hysterie? Oder ist sie notwendig, um uns zum entschiedenen Handeln zu motivieren? Um die gewaltige Transformation unseres fossilen Wirtschaftssystems in Angriff zu nehmen, gegen massivste Widerstände der Status-Quo-Interessen?

Wenn Menschen in großer Gefahr schweben, sind sie oft zu großen, ja manchmal übermenschlichen erscheinenden Leistungen fähig. Die Erkenntnis der Gefahr ist eine notwendige Voraussetzung, um die Kräfte zu mobilisieren, die zu ihrer Bewältigung notwendig sind. Dies gilt individuell genau so wie kollektiv.

Daher gilt es, mit kühlem Blut den möglichen, wenn nicht gar wahrscheinlichen Auswirkungen des Klimawandels ins Auge zu sehen. Doch dann sich auch davon weder paralysieren, noch hysterisieren, noch entmutigen zu lassen, sondern klaren Kopf zu bewahren, um energisch „Wege aus der Klimafalle“ zu suchen und zu beschreiten.

Stefan Rahmstorf ist kein Hysteriker, im Gegenteil, er wendet sich sehr deutlich gegen mediale Übertreibungen (und seine „schwarze Liste“ von Journalisten betrifft genau diese). Doch das was er mit kühlem Kopf zusammenträgt, ist genug um uns alle zu energischem Handeln aufzufordern. Jetzt – und nicht in 20 Jahren.

Rahmstorf Update: Die Welt kommentiert die Replik der Rahmstorf-Kritiker „Der Leser findet nicht den geringsten Hinweis darauf, dass es sich bei dieser ganz und gar durchgeknallten Tirade um eine Parodie auf den Klima-Glaubenskrieg handeln könnte“. Ist es ja auch nicht – die meinen das ernst. Schön getroffen. Und Dank an Globale Umweltpolitik für die schöne Aufbereitung der Debatte!

Update 2: Sie finden einen Vortrag von Stefan Rahmstorf als Audiodatei zum Download hier. Er wurde auf dem KyotoPlus-Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung und mehrerer Partner gehalten. Machen Sie sich selbst ein Bild – spricht so ein „Glaubenskrieger“, der einen „Dschihad“ führt?


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