Eine Brücke namens Erdgas?

In den USA gibt es einen Ansturm aufs Erdgas. Ist Erdgas die Brücke oder ein Umweg zum Zeitalter der erneuerbaren Energien? Zumindest für die USA wird Erdgas zur klimafreundlichen Brücke ins erneuerbare Zeitalter, wenn es Kohle in der Stromerzeugung ersetzt. Und dafür sprechen etliche Gründe.

Der Kraftwerkspark in den USA ist stark modernisierungsbedürftig. Fast die Hälfte aller US-Kohlekraftwerke ist älter als 45 Jahre. Es gibt allein 60 Gigawatt an Kohlekraftwerken, die 60 und mehr Jahre auf dem Buckel haben. Zusammen mit den erneuerbaren Energien können Gaskraftwerke in diese Lücke stoßen. Sie haben vergleichsweise kurze Kapitalbindungszeiten. Anders als große Kohlemeiler müssen sie nicht für 50 Jahre oder länger laufen, um sich zu amortisieren. Darüber hinaus ist die Technik kompatibel mit Biogas, dessen klimapolitische Stärken aus meiner Sicht allerdings nur dann zu rechtfertigen sind, wenn seine Nutzung mit der Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialstandards einhergeht. Doch der stärkste Grund für den Einsatz von Erdgas in den USA ist ein politischer.

Klimawandel ist in den USA leider noch immer kein Konsensthema. Die Nutzung von Erdgas hingegen ist parteipolitisch unumstritten. Demokraten sind dafür, weil Erdgas eine bessere Klimabilanz als Kohle hat. Republikaner wie z.B. T. Boone Pickens sind dafür, weil ein Zubau an Erdgas die Energieversorgung der USA stärkt. Im Kongress droht (bestenfalls) ein jahrelanges Patt im Klimaschutz. Eine der wenigen Möglichkeiten, die US-Emissionen in den nächsten Jahren ohne Klimagesetz nennenswert zu senken, ist der Wechsel von Kohle auf Erdgas in der Stromerzeugung.

Die Experten von Deutsche Bank Climate Change Advisers gehen davon aus, dass mit dem Einsatz von Erdgas die Kohle stark zurückgedrängt werden kann. In diesem Bericht zeigen sie auf, dass der Brennstoffmix in den USA innerhalb weniger Jahre umgekrämpelt werden kann. In zwanzig Jahren könnte der Anteil von Kohle in der Stromerzeugung von heute 47% auf 22% reduziert und damit mehr als halbiert werden. Im Gegenzug würden Wind und Solarenergie (von heute nur 2% auf dann 14%) und Erdgas (von heute 23% auf dann 35%) kräftig zulegen. Wie soll das gelingen? Durch eine Verschärfung der Luftstandards, die die Umweltagentur EPA bereits vorbereitet. Und durch fallende Erdgaspreise, die dem Energieträger Vorteile gegenüber der Kohle verschaffen.

Für sinkende Erdgaspreise sorgt in den USA vor allem die Ausbeutung unkonventioneller Erdgasvorräte (shale gas). Im Frühjahr hat der SPIEGEL berichtet, dass die USA damit zum größten Erdgasproduzenten der Welt aufsteigen. Zum Teil werden inzwischen sogar existierende Kohlekraftwerke auf Erdgas umgestellt, weil der Betrieb kostengünstiger ist. Das Worldwatch Institute, ein Washingtoner think tank, arbeitet zu den Umweltauswirkungen von shale gas. Allen voran die Verschmutzung von Gewässern, die Kontaminierung der Böden durch Chemikalien und Erdstöße sind problematisch. Doch ein regulatorischer Flickenteppich in den USA führt zu einem Wildwuchs an Bohrungen. Inzwischen produzieren die fünf ergiebigsten Bohrfelder täglich eine Menge an Erdgas von umgerechnet 1,6 Millionen Fass Öl.

Was bei Nichteinhaltung von Umweltstandards und Heimlichtuerei der Gasunternehmen droht, zeigt ein aktueller Bericht des deutschen Weltspiegels. In Die gefährliche Gier nach dem Gas berichtet das Magazin aus Texas. Dort wird ohne Standards gebohrt, die Industrie verheimlicht ihre Aktivitäten und sorgt zu Recht für großes Misstrauen in der Bevölkerung. Das Worldwatch Institute schlägt in seinem Report Addressing the Environmental Risks from Shale Gas Development (pdf) eine offene und ehrliche Debatte über die Gefahren der Technologie vor. Dazu gehören aus Sicht des progresiven think tanks neue Standards, die Bundesstaaten und der US Kongress einführen und umsetzen sollen. Nur so kann shale gas seinen Teil zur Energiewende hin zu einer low-carbon economy beitragen. Zumindest für die USA wäre die Alternative keine gute: Ohne den stärkeren Einsatz von Erdgas werden die US-Emissionen weiter steigen.

Was für die USA gilt, lässt sich nicht 1-zu-1 auf Deutschland übertragen. Deutschland treibt den Ausbau der erneuerbaren Energien so dynamisch voran, dass die Abwägung zu Schiefergas anders ausfallen kann. Ich bin zumindest skeptisch, dass uns Schiefergas auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien weiterbringt. Zuletzt haben die grünen Fraktionen aus dem Europaparlament und dem Deutschen Bundestag ein Fachgespräch zum Thema organisiert, die Übersicht findet ihr hier.

Foto eines Gasbohrturms in Texas von whiskeyboytx unter Creative Commons


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