Ein leises, aber gigantisches Scheitern: die Abschlusserklärung für den Rio+20 Gipfel steht

Die Show ist vorbei, bevor sie überhaupt erst begonnen hat: Die Abschlusserklärung für den Rio+20 Gipfel steht seit gestern – noch bevor sich die meisten Staats- und Regierungschefs überhaupt ins Flugzeug gesetzt haben. Und was die Beobachterinnen und Beobachter der Verhandlungen nun bewegt, ist nicht Enttäuschung, sondern blanke Wut.

Das Ergebnis, das ein historisches sein sollte, ist nicht nur für die Katz, sondern eine richtige Katastrophe. Letztlich sind wir in den meisten Punkten nur knapp – wenn überhaupt – an einem Rückschritt gegenüber Rio 1992 vorbeigeschrammt. So z.B. bei der Anerkennung der Rio-Prinzipien oder den Menschenrechten. Alles, was die EU für Rio auf ihrer Shopping Liste hatte (z.B. Aufwertung von UNEP hin zu einer UNEO, Green Economy Roadmap, Sustainable Development Goals mit konkreten Inhalten und Zielen) ist raus aus dem Text. Kein Wunder, dass da der ein oder die andere schnell den brachialen Verhandlungsstil der Brasilianer hier mit dem der Dänen in Kopenhagen 2009 verglich.

Wenn man sich das Gesamtdokument nun anschaut, dann ist kaum noch zu erkennen, dass es das Ergebnis eines Prozesses sein soll, wo die Weltgemeinschaft sich auf einen Ausstieg aus dem fossilen Business as Usual einigt und außerdem das institutionelle Framework für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung reformiert. Das eine Thema (Green Economy) ist bis zur Unkenntlichkeit verwässert und die Rolle von UNEP wird eventuell nochmal am Rande von den Ministerinnen, Ministern und Staats- und Regierungschef/innen angesprochen. Aktuell jedenfalls gibt es eine Aufwertung von UNEP, aber eben keine UNEO – ein großes Scheitern für Achim Steiner und seine Organisation die doch zu wichtigsten treibenden Kräften im Vorfeld der Konferenz gehört haben.

Aber so, wie sich die Grüne Ökonomie hier in Rio präsentiert, war die Ablehnung eben nicht nur beim Gipfel der Völker, sondern auch bei vielen Regierungen der Rntwicklungsländer zu massiv. Und die EU hatte den Entwicklungsländern einfach gar nichts anzubieten – was zu einem Zusammenrücken der G77 geführt hat, die den Prozess hier in Rio jedenfalls stark dominiert haben.

Hier nochmal eine kleine Auswahl an Inhalten und Punkten, für die sich viele NGOs im Vorfeld und während der Verhandlungen eingesetzt haben, die nun komplett vom Tisch sind:

  • Abbau von Subventionen für fossile Energien: alle sind eingeladen, darüber nachzudenken.
  • Ein expliziter Ausschluss von bestimmten Technologien wie Atom, Großstaudämme oder Gentechnik.
  • Ein Verhandlungsstart für ein Abkommen zum Schutz der Hochsee wurde ganz stark verwässert
  • Eine Ombudsperson oder eine/n Hochkommissar/in für zukünftige Generationen (dazu gibt es jetzt nicht mehr als einen Bericht, der vermutlich im Sane verlaufen wird).

Und dann gibt es noch diejenigen unter den NGOs, die sich in den letzten Wochen und Monaten ganz spezifisch um einzelne Themen gekümmert haben und sich jetzt freuen, dass genau in diesem Thema ein gewisser Fortschritt erreicht bzw. Rückschritt verhindert wurde. Dazu gehören z.B.

  • Agrar: Das Menschenrecht auf Nahrung sowie die Bedürfnisse von Kleinbäuerinnen und -bauern werden erwähnt und die Bedeutung des Committees on World Food Security bei der FAO immerhin betont. Außerdem steht etwas zu Nachernteverlusten drin und der Notwendigkeit, Nahrungsmittel nicht zu verschwenden.
  • Geoengineering: Es wird Bezug genommen auf die Gefahren der Ozeandüngung, die z.B. im Rahmen der CBD zu einem Moratorium geführt haben.
  • Gender Equality und Frauenrechte tauchen immerhin wieder auf, nachdem Regierungen doch ernsthaft zwischendurch die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit für nachhaltige Entwicklung zwischenzeitlich in Frage gestellt hatten.
  • Technologiebewertungskapazitäten sollen gestärkt werden.

Wie heißt es noch so schön? Wenn Du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis… Ein paar der „Beschlüsse“ hier in Rio führen zu Follow-Up Prozessen in Arbeitsgruppen. Am bedeutendsten ist da wohl der Prozess zur Erarbeitung der Sustainable Development Goals (SGDs). Die standen am Anfang gar nicht zur Debatte und sind nun der Rettungsanker, um das Ganze noch irgendwie als Erfolg zu präsentieren. Dieser Erfolg sieht aber so aus, dass es nun einen zwischenstaatlichen Prozess zur Verhandlung derselben gibt, der (immerhin!) mit den MDGs verknüpft sein soll. Einen weiteren solchen Prozess gibt es z.B. zum Thema Finanzierung von nachhaltiger Entwicklung. Inwiefern der neue Erkenntnisse liefern wird, die nicht schon im Kontext von Entwicklungs- und Klimafinanzierung bekannt sind, oder zur Einhaltung von alten oder neuen Finanzierungszusagen der Industrieländer führen soll, sei mal dahingestellt.

Wenn das alles den kleinstens gemeinsamen Nenner unserer Regierungen darstellt, worin besteht dann die größte Einigkeit? Das ist unschwer aus dem Text zu entnehmen: „sustained, inclusive and equitable economic growth“. Nicht nachhaltig also, sondern anhaltend – ein großer Unterschied. Aber irgendwie auch ehrlich. Das Konzept von (planetarischen) Grenzen ist hier nirgendwo zu entdecken. Auch zwanzig Jahre nach dem Erdgipfel von 2012 ist das herrschende Entwicklungsparadigma eins von unendlichem Wachstum und nicht eins von Gerechtigkeit. Angesichts der Probleme, vor denen wir stehen, ist das ein gigantisches Scheitern. Aber eben eins, das leise daher kommt: wer nicht mehr viel erwartet, kann auch nicht groß enttäuscht werden.

Mal schauen, ob der hoch über der Stadt schwebende Jesus, der anlässlich des Gipfels des nachts in leuchtendem Grün strahlte, in den nächsten Tagen noch rot wird vor Wut. Ganz ausgeschlossen ist es wohl nicht, dass der ein oder andere Minister oder die ein oder andere Staatschefin nochmal über den einen oder anderen Punkt reden will. Aber, seien wir mal ganz ehrlich: die haben echt Wichtigeres zu besprechen: Eurokrise, Bankenrettung, Rohstoffpreise usw.

 


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