Die Klima-Community ist noch am Rätseln. Was hat es mit den Vorschlägen auf sich, die Bundeskanzlerin Merkel in Japan verkündet? Die Presseberichterstattung (AP/SZ, Tagesspiegel) bleibt sehr diffus. Die Umwelt-NGOs hüllen sich in Schweigen.
Hier Merkel im Wortlaut (Tokyo, 30.8.): „Wir werden davon ausgehen müssen, dass die Schwellenländer natürlich nicht sofort die gleiche Verantwortung übernehmen können. Aber eines ist auch klar: Ich kann mir nicht vorstellen, wenn wir zu einem gerechten Abkommen kommen wollen, dass die Schwellenländer eines Tages mehr CO2 pro Kopf emittieren dürfen, als wir in den Industrieländern. Das heißt also, es wird auf der Zeitachse einen bestimmten Punkt geben, an dem man den gleichen Pro-Kopf-Ausstoß erreicht haben wird, weil die Industrieländer ihr Pro-Kopf-Aufkommen an CO2 reduziert haben werden und der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß der Schwellenländer langsam gestiegen sein wird.
Nun liegt es auf der einen Seite an den Industrieländern, wie schnell sie ihn reduzieren, und auf der anderen Seite an den Schwellenländern, dass ihr Pro-Kopf-Ausstoß mit einem vernünftigen Wirtschaftswachstum nicht so schnell steigt.“
Unklar ist nun erst mal: ist das eine neue Klima-Initiative, wie die Website der Bundeskanzlerin verkündet? Das wäre zumindest nicht mit den EU-Partnern abgestimmt, und auch in der Bundesregierung scheint hier noch ein wenig Verwirrung zu herrschen. Ist das ein Gegenvorstoss angesichts der Offensive der Bush-Regierung, die Ende des Monats ein Treffen der grossen Emittenten einberuft und die ganz offensichtlich nicht auf kalkulierbare, an einem Gerechtigkeitsmaßstab messbare Oberziele, sondern allenfalls freiwillige Commitments setzt?
Soviel nur zum Prozess, doch was steckt in ihrem Vorschlag an Substanz?
Positiv ist erst einmal, dass sie das Ziel eines „gerechten Abkommens“ explizit nennt – ihr mächtiger Freund im Weissen Haus würde solch ein Wort kaum in den Mund nehmen. Denn in der Tat ist die Frage der Gerechtigkeit m.E. der entscheidende Stolperstein zu einem überzeugenden globalen Klimaschutzabkommen – und keine Marginalie, auf die wir verzichten können.
Eigenartig ist dann, dass Merkel etwas verneint, was in der Realität auf absehbare Zeit sich ganz anders darstellt. Merkel sagt, sie könne sich nicht vorstellen, dass die Schwellenländer eines Tages mehr CO2 pro Kopf emittieren dürfen als wir in den Industrieländern.
Nun sind wir aber noch weit entfernt davon, dass die Schwellenländer höhere pro-Kopf-Emissionen hätten als die Industrieländer. 2003 lagen die USA bei 23t, die deutschen bei 12t, die EU bei 8t, und das von vielen als Klimakiller apostrophierte China bei 3t CO2-Äquivalent pro Kopf (ohne Veränderung der Landnutzung, Quelle: Wikipedia nach UNFCCC-Daten). Indien liegt sogar noch weit darunter. Insofern wird hier etwas verneinend an die Wand gemalt, was doch noch einige Jahre entfernt liegt.
Merkels Vorschlag klingt ein wenig nach „Contraction and Convergence“, einem in der Klimadebatte sehr bekannten Vorschlag des britischen „Global Commons Institute„. Es sieht vor, dass die Emissionsrechte der einzelnen Staaten zuerst einmal dem aktuellen Ausstoss entsprechen („grandfathering“), aber zu einem bestimmten Datum auf gleiche Pro-Kopf-Emissionsrechte konvergieren, und parallel die Gesamtmenge der Emissionen auf ein tragfähiges Maß zurückgefahren wird.
Ist der Vorschlag gerecht? Sicherlich wäre er, wenn er denn umgesetzt würde, ein sehr großer Schritt nach vorne gegenüber dem bisher vorliegenden Kyoto-Ansatz „Grandfathering plusminus X“, wobei X Ergebnis eines wenig überzeugenden Kuhhandels ist, der spieltheoretisch zwingend zu Lasten der Umwelt ausfallen muss.
Dennoch verlangt er den Entwicklungs- und Schwellenländern ein Reduktion der Emissionen auf einem Emissionsniveau ab, das weit unterhalb dem von Industrieländern liegt. Und da für das Klima die kumulativen Emissionen entscheidend sind, erlaubt er ihnen einen weit geringeren Anteil an der Nutzung des Gemeinschaftsguts „Atmosphäre“ als den Industrieländern. Insofern wäre es, anders als Merkel es fordert, sogar ethisch geboten, den Entwicklungsländern zeitweise höhere Pro-Kopf-Emissionsrechte zuzugestehen als den Industrieländern.
Der amerikanische Think tank EcoEquity hat im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung verschiedene Vorschläge für ein gerechtes Klimaregime unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Angemessenheit (adequacy) und Entwicklungs-Gerechtigkeit (equity) untersucht. Darunter sind Contraction and Convergence, das von Lutz Wicke neuerdings unter dem Namen „Kyotoplus“ propagierte Global Climate Certificate System, den Vorschlag des vom Wuppertal Institut moderierten „South-North-Dialogue„, das Vattenfall-Konzept „Curbing Climate Change„, und das von EcoEquity selbst entwickelte „Greenhouse Development Rights“ Konzept.
Schauen Sie mal rein, das wird Ihnen interessante Gesichtspunkte an die Hand geben, inwieweit Merkels Vorschlag „gerecht“ ist. Für ein letztes Wort zu ihrem Vorschlag weiss man noch zu wenig, doch: in die richtige Richtung weist er – und gerechter als Kyoto wäre er allemal.
Update 1: auf ihrer Website gibt es eine Zusammenfassung von Merkels Rede am 5. Tag ihres Besuchs in Asien, in Kyoto. Dort heisst es:
Die Kanzlerin wiederholte ihr Angebot an die Schwellenländer. Danach soll der CO2-Ausstoß pro Kopf bemessen werden. Demzufolge könnten die Entwicklungsländer ihren Ausstoß an CO2 pro Kopf sogar noch erhöhen. Derzeit liegt nämlich der Pro-Kopf-Ausstoß der Schwellen- und Entwicklungsländer unter denen der Industrieländer. Allerdings versuchen die Industrienationen derzeit, den Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 zu verringern.
Nach dem Vorschlag Merkels dürfte der Pro-Kopf-Ausstoß der Entwicklungsländer jedoch niemals höher sein als der der Industrieländer. „Der Gedanke, dass China pro Kopf mehr CO2 ausstößt als Japan, Deutschland oder Amerika, wird nämlich kein Gedanke einer gerechten Welt sein“, betonte Merkel.
Sehr viel präziser ist das nicht. Und auch wenn es uns nicht gefällt: Es ist allerdings unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu rechtfertigen, dass z.B. China zeitweise mehr pro Kopf ausstößt als Deutschland. Aber das wäre eine längere Debatte wert.
Update 2: Nun ist auch der vollständige Redetext auf der Website des Bundeskanzleramts. Mit ein paar interessanten Punkten: „2-Grad-Limit“, „Reduktion der globalen Emissionen um 50%“ (im Verhältnis zu welchem Basisjahr?), Lob für das japanische „Top-runner“ Programm zur Energieeffizienz (Hausaufgabe!), erneuerbare Energien … die pro-Kopf-Frage bleibt allerdings so vage wie zuvor, ja sogar noch unklarer als auf der unter Update 1 genannten Seite. Hm…
Prof. Lutz Wicke sagt nun, die Merkels Initiative meine nun seinen „KyotoPlus“ Vorschlag. Aubrey Meyer hält es für Contraction and Convergence (siehe Kommentar). Lassen wir uns überraschen.