Ein Gespenst geht um in Deutschland: Die Stromlücke. Eine Kurzanalyse der Deutschen Energieagentur dena malte es an die Wand, der Spiegel liess sich als sein Lautsprecher verwenden:
Bei Umsetzung des Energieprogramms der Bundesregierung, also bei einem sinkenden Stromverbrauch, wird bereits ab 2012 nicht mehr genügend gesicherte Kraftwerksleistung zur Verfügung stehen, um die Jahreshöchstlast zu decken. Bis 2020 wächst die Differenz zwischen Jahreshöchstlast und gesicherter Kraftwerksleistung auf rund 11.700 MW. (…) Deshalb wird ein Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke über die bisher geplanten Laufzeiten notwendig, um eine Stromlücke zu vermeiden und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Das Umweltbundesamt (UBA) widersprach postwendend und nachdrücklich mit einer eigenen Analyse: Der bis zum Jahr 2020 vorgesehene Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie gefährdet nicht die Versorgung Deutschlands mit Strom. „Die Versorgungssicherheit mit Strom ist in Deutschland nicht gefährdet – eine „Stromlücke“ ist nicht zu erwarten“, so Prof. Dr. Andreas Troge, CDU-Mitglied und Präsident des UBA.
Dr. Felix Chr. Matthes (Öko-Institut) und Dr. Hans-Joachim Ziesing (ehem. DIW), zwei eminente Fachleute und Sachverständige der Bundestags-Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ (2000-2002), haben sich mit einem Diskussionsbeitrag nun in diese Debatte eingeschaltet. Ihr Fazit würde ich wie folgt interpretieren: Es droht keine Stromlücke, wohl aber eine Politiklücke in Deutschland.
Nachfolgend einige Auszüge aus ihren Schlussfolgerungen (Hervorhebungen und Kürzung durch mich):
1. Die Freiheitsgrade und Bewertungsfreiräume für statische Analysen sind hinsichtlich vieler Parameter so groß, dass solche Analysen (gemeint ist die dena-Studie, JH) als Beleg für eine kurz- bis mittelfristig bevorstehende Deckungslücke nicht als belastbar angesehen werden können. Vor dem Hintergrund der im hier vorliegenden Papier diskutierten Daten halten wir es aber eher für unwahrscheinlich, dass für den überschaubaren Zeitraum bis 2020 eine massive Deckungslücke bei der Stromversorgung entstehen wird.
2. Die zumindest für den Horizont bis 2014 verfügbaren Preissignale auf dem wettbewerblichen Strommarkt lassen keine Knappheitssignale erkennen, die mit einer absehbaren „Stromlücke“ notwendigerweise einhergehen müssten.
3. Gleichwohl bleiben vor allem die klimapolitisch motivierten und klimapolitisch ambitionierten Strategien, Politiken und Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung ohne Alternative, sie müssen und können entsprechend der jeweils propagierten Ziele einen signifikanten Beitrag für das künftige Stromaufkommen leisten.
4. Für die mit der Umsetzung dieser Maßnahmen verbundenen Wirkungsunsicherheiten verbleibt mit dem bestehenden Kraftwerkspark ausreichend Flexibilität, die durch die Wirkungsmechanismen des EU-Emissionshandelssystems zumindest bis 2020 auch nicht zu einer Verfehlung der Emissionsziele insgesamt führen wird.
5. (…)
6. Die Verantwortung der Politik besteht vor allem darin, klare Ziele zu definieren, zu diesen Zielen zu stehen und glaubwürdige Maßnahmen zu ergreifen, die das Erreichen dieser Ziele möglich machen. Im Bereich der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist ein solches hohes Maß an Glaubwürdigkeit bereits erreicht worden, vor allem in den Bereichen Stromeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung sind die ergriffenen Maßnahmen diesbezüglich noch nicht ausreichend belastbar. Die politische Herausforderung und Verantwortung besteht hier im Kern darin, deklamatorische Ziele in Planungssicherheit für die direkt und indirekt betroffenen Akteure des Stromsektors zu überführen.
7. Die Unternehmen des Stromsektors stehen vor allem in der Verantwortung, die politisch definierten Ziele und Rahmenbedingungen zu akzeptieren, sie nicht zu unterlaufen und sich der Umsetzung nicht zu entziehen bzw. sie zu unterstützen, da auch dies einen Beitrag zur Erhöhung der Planungssicherheit für die eigenen Entscheidungen leisten wird (…)
8. Eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke wird keines der aufgeworfenen klima und energiepolitischen Probleme nachhaltig und langfristig lösen.
9. Die wieder neu in die Diskussion gebrachte Subventionierung von neuen fossilen Kraftwerken durch kostenlose Zuteilung (…) von Emissionsberechtigungen im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems führt (…) zu wirtschaftlichen Zusatzbelastungen. (…)
10. Die notwendige Akzeptanz von politischen Instrumenten einerseits und Investitionen in Stromerzeugungsanlagen und Infrastrukturen (…) kann nur durch Transparenz, erkennbare Zielkonsistenz und das ganze Spektrum vertrauensbildende Maßnahmen aufgebaut werden. Mit dem Aufbau von Diskussionskulissen wie „Stromlücke“ oder aber einer Ausblendung der über den Horizont von 2020 hinausreichenden langfristigen klimapolitischen Handlungserfordernisse werden die notwendigen Prozesse zur Akzeptanzerlangung eher behindert als gefördert. Dies gilt insbesondere dann, wenn hinter Diskussionssträngen wie Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke oder kostenloser Zuteilung von CO2 -Zertifikaten für die Stromwirtschaft im EU-Emissionshandelssystem überwiegend eigennützliche Kurzfristinteressen vermutet werden müssen.
Weiterlesen: Die DUH zur „Stromlücke“
„Die Stromlücke entspringt einem „strategischen Kalkül“ der vier dominierenden Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Ziel der Unternehmen ist es, trotz der Diskussion über den Klimawandel in Deutschland neue Kohlekraftwerke in großer Zahl ans Netz zu bringen und den einst mit ihnen vereinbarten Atomausstieg rückgängig zu machen.“
Die DUH verweist u.a. darauf, dass sich Deutschland in den vergangenen Jahren zum Stromexportland entwickelt habe, trotz sinkender Produktion durch Atomkraftwerke (siehe Grafik).
Und abschliessend noch der Multimediateil: Bericht des ZDF-Magazins nano zur angeblichen Stromlücke: