Ganz Deutschland stöhnt unter steigenden Energiepreisen. Besonders Benzin, aber auch Strom ist in den vergangenen zwei Jahren deutlich teurer geworden. Ein willkommener Anlass für einige in der Stromwirtschaft und ihre Lautsprecher in der Union, eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke zu fordern. Denn alte, abgeschriebene Atomkraftwerke erzeugen billigen Strom (wenn auch zunehmend gefährlich bei alternden Anlagen). Dann muss doch auch der Strompreis sinken, oder?
Einige entdecken sogar ihr soziales Herz, um die Sozialdemokraten zu becircen, und möchten Sozialtarife für Strom aus den Gewinnen einer Laufzeitverlängerung finanzieren.
Dr. Felix Matthes vom Öko-Institut, einer der angesehensten deutschen Energieexperten, hat in einer Kurzanalyse die Frage von Strompreissubventionen durch Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke untersucht. Lesenswert.
Hier ein paar Highlights aus der Zusammenfassung (Hervorhebungen durch mich):
Die Effekte von Laufzeitverlängerungen für das künftige Strompreisniveau sind mit hoher Wahrscheinlichkeit quantitativ gering bzw. im Lichte der anderen Determinanten für die Entwicklung des Kraftwerksparks und des Erzeugungsmix in Deutschland bzw. im europäischen Binnenmarkt für Elektrizität keineswegs richtungssicher zu bewerten.
Will sagen: Die Laufzeitverlängerung hat kaum Auswirkungen auf den allgemeinen Strompreis. Aber wo bleiben denn dann die Gewinne, wenn der Strom nicht billiger wird, obwohl die AKWs ihn billig produzieren?
Angesichts der Preisbildungsmechanismen auf den liberalisierten Strommärk-ten würde eine Laufzeitverlängerung für die Betreiber zu Gewinnmitnahmen in der Größenordnung von 66 bis 84 Mrd. € führen (dies entspricht einem Barwert von etwa 20 bis 26 Mrd. €).
Die Gewinnmitnahmen sind dabei einerseits zwischen den unterschiedlichen Betrei-bern (bzw. Anteilseignern) und andererseits über die Zeit höchst ungleich verteilt. Die größten Mitnahmeneffekte würden bei einer Laufzeitverlängerung um 8 Jahre mit ei-nem Anteil von 42% der gesamten Zusatzgewinne bei E.ON entstehen. Im Zeitraum bis 2010 würde der größte Anteil auf RWE und EnBW entfallen, im Zeitraum 2011 bis 2020 würden die Zusatzgewinne ganz überwiegend bei E.ON realisiert und nach 2020 würde der Anteil von RWE und EnBW wieder erheblich zunehmen.
Verstehe. Die Stromkonzerne E.ON, RWE und EnBW erwarten Milliardengewinne. Da lohnt es sich, ein wenig in Lobbying zu investieren. Und selbst wenn so ein Konzern sein „soziales Herz“ entdeckt und etwas abgibt, bleibt doch noch einiges hängen.
Aber nun haben ein paar schlaue Köpfe in Union und Unternehmen vorgeschlagen, diese Gewinne in Teilen den armen Bürgern zugute kommen zu lassen. Wäre das nicht eine Lösung?
Die diskutierten Facetten eines Kompensations- bzw. Umverteilungsmodells für etwa die Hälfte der Gewinnmitnahmen ist auch hinsichtlich seiner Effekte und Umsetzungsoptionen problematisch.
• Die Möglichkeit von Preissubventionen für den Strombezug ergibt sich letztlich nur für einen sehr beschränkten Zeitraum von 10 bis 15 Jahren.
• Nach den bisherigen Erfahrungen mit Selbstverpflichtungsmodellen in Deutschland kann hinterfragt werden, ob originäre Umverteilungsfragen wie das vorgeschlagene Modell in solchen Strukturen überhaupt, aber auch in einer längerfristigen Perspektive verlässlich umsetzbar sind.
Erinnern Sie sich an die Selbstverpflichtung der Stromwirtschaft zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung? Oder die der Automobilhersteller zur Senkung des Verbrauchs? Oder die der Getränkewirtschaft zur Beibehaltung des Mehrwegsystems? Oder gar den feierlich unterschriebenen Atomkonsens, in dem es heisst: „Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird„. Hm, scheint nicht so richtig gut geklappt zu haben mit den Versprechen der Wirtschaft.
• (…)würde die Anpassungsprozesse der entsprechenden Verbrauchssektoren an perspektivisch höhere Preisniveaus durch die Verzerrung des Preissignals erschweren.
Wer Strompreise subventioniert vermindert den Anreiz zum Energiesparen.
• Signifikante Effekte für die Stromerbraucher wird ein solches Umverteilungsmodell – werden alle anderen Bedenken einmal außer Betracht gelassen – nur dann haben können, wenn der Kreis der Begünstigten sehr eng begrenzt wird. Im Zeitraum bis 2010 würden Entlastungseffekte nur im absolut marginalen Be-reich auftreten können – sofern von einem Gleichlauf von Zusatzgewinnen und Umverteilungsaktivitäten ausgegangen wird. Bis 2010 bildet das vorgeschlagene Umverteilungsmodell also eher einen Ansatz symbolischer Politik. Aber auch danach müsste das Kompensationsmodell auf die Begünstigung nur weniger Verbrauchergruppen hinauslaufen, wenn Effekte jenseits der ohnehin bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich Preisniveaus und -volatilitäten erzielt werden sollten.
Also, wenn überhaupt könnten nur ganz eng umschriebene Gruppen was von solchen Modellen haben. Für alle anderen ist es „symbolische Politik“.
• Bei den meisten Umverteilungsmodellen der jüngeren Vergangenheit im Bereich der Stromversorgung hat sich die Kreativität der Marktteilnehmer als größer erwiesen, als dies die Gestalter der entsprechenden Sonderregelungen für spezifische Marktsegmente voraussehen konnten. Ob das vorgeschlagene Umverteilungsmodell den intendierten Zweck erreichen wird, kann vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen durchaus auch bezweifelt werden. Mit einiger Sicherheit kann so vermutet werden, dass das Subventionsmodell im Ergebnis doch im Wesentlichen zu Mitnahmeeffekten auf der Erzeugerseite führt. Dies gilt auch und gerade für den Fall, dass sich ein solches Umverteilungsmodell in der Selbstverwaltung der Wirtschaft umsetzen ließe.
Will sagen: Ersparnisse für die Verbraucher sind ungewiss, Gewinne für die Konzerne ziemlich sicher. Da haben die sich immer wieder kreativ gezeigt.
Weiterlesen:
Gerd Rosenkranz: „Ehrenmänner und wie sie das Wörtchen dauerhaft interpretieren“
Felix Chr. Matthes: Über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken