Vor einigen Tagen konnte man diese Szenen an Bord einer Boeing 747 der australischen Fluggesellschaft Qantas sehen:
Dank eines akrobatischen Manövers des Piloten, der in einem Steilflug von 8000 auf 3000m Flughöhe herunterzog, konnte der Flug landen. Kein Mensch kam zu Schaden, ein Wunder, wenn man das Loch im Rumpf sieht.
In der Luftfahrt sind wir höchste Sicherheitsstandards gewohnt. Alles wird unternommen, damit die Passagiere sicher ans Ziel kommen. Das Risiko eines schweren Unfalls ist äusserst gering, und es wird ständig daran gearbeitet, es weiter zu senken.
Welches Risiko würden Sie in Kauf nehmen? 0,01%, 0,1% oder 1% Wahrscheinlichkeit eines Crashs? Würden Sie in einen Flieger mit hohem Unfallrisiko steigen, um ein paar Euro zu sparen?
Im täglichen Leben unternehmen wir große Anstrengungen und akzeptieren Kosten, um große Risiken zu minimieren. Wir zahlen teure Versicherungen. Wir kaufen uns Autos mit ABS und Airbags. Und im Krankheitsfall scheuen wir keine Kosten um eine lebensrettende Operation zu ermöglichen.
In Sachen Klimawandel nehmen wir dagegen alle zusammen Risiken in einem Ausmaß in Kauf, das nur als atemberaubend zu bezeichnen ist. Schon die Auswirkungen des Klimawandels in einem „business as usual“ Szenario mit einer Erwärmung von 3-4 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau sind massiv.
Der Harvard-Ökonom Martin Weitzman hat sich näher mit den Rändern der Wahrscheinlichkeitsverteilung des Klimawandels befasst. Also mit dem möglichen Schäden, die nicht wahrscheinlich sind, aber mit einem nicht vernachlässigbaren Risiko doch eintreten können.
Er schreibt in einem Artikel zur Kritik des Stern Review (leicht gekürzt der Lesbarkeit halber, Lesehilfe: ?T= Globaler Temperaturanstieg gegenüber der Durchschnittstemperatur 1980-1999):
The recently-released Fourth Assessment Report of the IPCC (2007) predicts for one hundred years from now a mean temperature change of further planetary warming of ?2.8ºC with a thick-tailed upper-end standard deviation 1.6ºC. This means the probability that ?T > 4.5ºC is approximately 15% and the probability of ?T > 6ºC is very roughly about 3%. IPCC does not extend its projections beyond 2105 on the basis that predictions into the 22nd century are too uncertain, but it seems unavoidable that the reduced-form probability of ?T > 6ºC increases substantially above 3% after the next century just from the enormous inertial lags for what by then will be in the climate-change pipeline. Societies and ecosystems whose average temperature has changed in the course of a century or so by ?T > 6ºC are located in the terra incognita of what any honest economic modeler would have to admit is a planet Earth reconfigured as science fiction, since such high temperatures have not existed for some tens of millions of years.
Mit anderen Worten: Ohne scharfe Gegenmaßnahmen die uns vom Pfad der IPCC Szenarien abbringen, gehen wir alle zusammen ein Risiko von mindestens 3% ein, dass sich die Erde um mehr als 6ºC gegenüber heute erwärmt. 6 Grad, das wäre weit mehr als die Temperaturdifferenz zwischen den Eiszeiten und der heutigen Zeit. Das wäre ein „terra incognita„, würde unseren Heimatplaneten in nicht mehr wiederzuerkennender Weise verändern.
Drei Prozent – was sind schon drei Prozent? Klingt ziemlich unwahrscheinlich. Aber würden Sie in ein Flugzeug steigen, das mit dreiprozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt?
Wieviel sind wir bereit zu bezahlen, um das Risiko katastrophalen Klimawandels zu verringern? Was wäre uns ambitionierter Klimaschutz wert?
Ein paar Zahlen: Der ehemalige Weltbank-Chefökonom Sir Nicolas Stern schätzte die notwendigen Ausgaben für ein moderates Klimaschutzprogramm auf 1% des Weltbruttosozialprodukts. In jüngerer Zeit hat er diesen Wert auf 2% erhöht. Viel Geld, gewiss. Vielleicht wird es bei noch ambitionierterem Klimaschutz sogar noch auch mehr. Aber wussten Sie, dass die weltweiten Prämienzahlungen an die Versicherungswirtschaft 2007 bei 4061 Milliarden USD oder 7,5% des Weltbruttosozialprodukts lagen?
Vielleicht sollten uns die Verringerung des Risikos katastrophalen Klimawandels ein paar Euro wert sein.
Ein wenig Stoff zum Weiterlesen:
[UPDATE: Climate Progress zu Starökonom Paul Krugman und den „economics of catastrophe„]
Martin Weitzman: On modeling and interpreting the economics of catastrophic climate change
Eine Arbeit des Harvard-Ökonomen, der die inhärente Begrenztheit von Kosten-Nutzen-Rechnungen bei Phänomenen mit potentiell katastrophalen Risiken analysiert. Streckenweise für ökonomische Laien schwer lesbar. Ein Zitat: Perhaps in the end the climate-change economist can help most by not presenting a cost-benefit estimate for what is inherently a fat-tailed situation with potentially unlimited downside exposure as if it is accurate and objective – and perhaps not even presenting the analysis as if it is an approximation to something that is accurate and objective – but instead by stressing somewhat more openly the fact that such an estimate might conceivably be arbitrarily inaccurate depending upon what is subjectively assumed about the high-temperature damages function along with assumptions about the fatness of the tails and/or where they have been cut off. Even just acknowledging more openly the incredible magnitude of the deep structural uncertainties that are involved in climate-change analysis – and explaining better to policy makers that the artificial crispness conveyed by conventional IAM-based CBAs here is especially and unusually misleading compared with more-ordinary non-climate-change CBA situations – might go a long way towards elevating the level of public discourse concerning what to do about global warming.
Anders gesagt: Die klassische Kosten-Nutzen-Rechnung kommt an ihre Grenzen angesichts potentiell katastrophalen Klimawandels. Environmental Economics erklärt Weitzmans Thesen für den Laien
Tol ist einer der meistzitierten Ökonomen zum Klimawandel. Ein Zitat aus dieser Arbeit, die im wesentlichen eine Reaktion auf Weitzman ist: It should now be clear why the scientific community must move beyond trying to nail down consensus about the central baseline tendencies of climate change and embrace (though not exclusively) an organized effort designed to examine the „dark tails“ of our possible futures. Only then can we begin to define the boundaries of tolerable change on the basis of rigorous analyses of decision-making criteria that accounts, explicitly, for the profound uncertainty that characterizes our understanding of the climate system.
Climate Progress über die Arbeit von Weitzman
Eine Kritik des Stern Review durch Paul Baer von Ecoequity. Zitat: Indeed, I fear that in either supporting Stern against those who support even weaker mitigation, or in arguing on economic grounds for more stringent targets, it will be too easy to be drawn into a discussion about economic technicalities like discount rates, risk aversion and contingent valuation. The crucial questions are about our ethical obligations to those distant in time and space, and about our ideas and ideals for the world we want for our descendants and for the rest of our own lives. An analysis of Stern’s approach can show that its conclusions aren’t compelling, but the positive case for a truly precautionary policy must stand on other grounds.