Was für eine Vision: ein Atomreaktor direkt neben dem Brandenburger Tor, das Windrad ist kaum noch zu erkennen und die Jugend spendet Beifall und Jubel…
Durch die Lektüre eines taz-Artikels bin ich auf die Veranstaltung „Junges Forum – Deutschland Deine Zukunft“ des Deutschen Atomforums aufmerksam geworden.
Die Veranstalter berichten:
Das „Junge Forum“ richtet sich an alle gesellschaftspolitisch interessierten jungen Menschen von heute, die etwas bewegen wollen; die bereit sind, über die Energieversorgung von morgen einmal ganz anders zu diskutieren – vorurteilsfrei und unkonventionell. Die offen über die großen Energiefragen der Zukunft nachdenken wollen.
Wenn man sich die Besetzung des Panels anschaut, bleibt jedoch von Vorurteilsfreiheit und Unkonventionalität nicht mehr viel übrig.
- Timo Boll, amtierender Einzel- und Mannschaftseuropameister im Tischtennis – was hat der bitte schön zu den großen Energiezukunftsfragen zu sagen?
- Sven Giegold, Wirtschaftswissenschaftler, Europakandidat von Bündnis 90/Die Grünen – der Quoten-Linke und Einzelkämpfer auf dem Podium
- Emanuel Heisenberg, Geschäftsführer der Greenvironment Energy Solutions – das klingt vielversprechender, als es es war (siehe taz-Artikel weiter unten)
- Therese Larsson, schwedische Journalistin und Moderatorin, Berlin und Stockholm
- Johannes Pöttering, stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands
- Prof. Dr. Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, LMU, München
Da ich selber nicht dabei war, hier noch ein paar amüsante und illustrative Zitate aus dem o.g. Artikel aus der heutigen taz:
Aus den schweren Boxen dringt gedämpfte Musik, finstere Security-Leute bewachen die Eingänge, freundliche Hostessen verteilen Begrüßungscocktails, und elegant gekleidete Menschen, überwiegend zwischen 25 und 45, stehen smalltalkend an der Bar: Auf den ersten Blick ist im Berliner Edel-Club 40seconds alles wie immer. […]
Eine ganze Riege smarter junger Diskutantinnen und Diskutanten ist vor den Fenstern des Clubs aufgebaut, durch die die Skyline des Potsdamer Platzes leuchtet. Carsten Reinemann, der es mit 37 Jahren schon zum Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität München gebracht hat, darf zum Einstieg berichten, dass junge Menschen Atomkraft heute viel weniger ideologisch sehen.
Der amtierende Tischtennis-Europameister Timo Boll, laut Selbsteinschätzung „kein Energieexperte“, geht davon aus, dass wir „immer mehr Strom benötigen werden“ und darum „alle Möglichkeiten ausschöpfen sollten“. Außerdem sei Atomstrom ja billig – wenn auch nicht ganz kostenlos wie der Strom, den Boll als Olympiamedaillengewinner ein Jahr lang vom Atomanbieter Eon bezieht.
Die schwedische Journalistin Therese Larsson berichtet, warum ihr Land den Atomausstieg revidiert und warum Kohlekraftwerke problematischer sind als Atomreaktoren. Jungunternehmer Emanuel Heisenberg, der selbst Biogas-Turbinen herstellt, tritt als Kronzeuge gegen seine eigene Branche auf, indem er erklärt, man dürfe „die Erneuerbaren nicht überfordern“ und sollte längere AKW-Laufzeiten als „Übergangstechnologie“ akzeptieren – sekundiert vom Junge-Union-Vize Johannes Pöttering, der vor einer „De-Industrialisierung“ Deutschlands warnt.
Der einzige echte Atomkraftgegner auf dem Podium, der Neu-Grüne und Alt-Attacler Sven Giegold, hält zwar faktenreich dagegen und kann viele Argumente widerlegen. Doch den präzise inszenierten Gesamteindruck – viele junge Leute denken neu über Atomkraft nach – kann er angesichts der Fünf-zu-eins-Zusammenstellung des Podiums nicht ernsthaft gefährden. Zumal auch der Journalist Hajo Schumacher als Moderator diesen Eindruck bestärkt, wenn er erklärt, er habe „früher auch einen Anti-Atom-Aufkleber auf dem Auto“ gehabt, doch nun frage er sich auch, ob es wirklich besser sei, Atomstrom stattdessen zu importieren. Für Lobby-Interessen instrumentalisiert fühlt er sich dabei nicht – schließlich liege das Honorar „im üblichen Rahmen“ und bei den Fragen habe es „keine Einmischung“ gegeben.
Originelle Postkartenkampagnen („Willst du wirklich mit mir Schluss machen?“), eine geplante Kooperation mit Deutschlands größter Schülerzeitung Spiesser und Werbeartikel über die „Generation Energiezukunft“ zeigen die neue Stoßrichtung der PR an.
Doch zumindest ein wenig profitieren auch die Atomkraftgegner von dem exklusiven Abend. Denn Sven Giegold präsentierte dort nicht nur ihre Argumente. Er bestand in seinem Vertrag auch darauf, dass das Atomforum das angebotene Honorar von immerhin 1.000 Euro an die Anti-Atom-Kampagne des Onlinenetzwerks Campact überweist. Dort allerdings will man das Atom-Geld gar nicht haben. Wer nun stattdessen bedacht wird, ist noch offen.