Wenn die globale Abnahme der Emissionen nicht bis 2015 oder allerspätestens bis 2020 eingeleitet wurde, kann ein 450 ppm-Pfad nicht mehr erreicht werden. Das hieße, dass der Weg in eine Welt mit mehr als 2 Grad globaler Mitteltemperatur über vorindustriellem Niveau vorgezeichnet wäre. Daraus ergibt sich ein enormer zeitlicher Handlungsdruck. Die Konferenz „The Great Transformation“, die vom 8. bis 10. Juni in Essen stattgefunden hat, nahm einen ersten Anlauf, diese Aufgabe auf ihre politischen und soziokulturellen Konsequenzen hin abzuklopfen. Wie muss unserer Gesellschaft umgestaltet werden, damit die schlimmsten Folgen vermieden werden können?
Eine illustre Expertenriege, darunter Anthony Giddens, John Podesta, Klaus Töpfer und Thomas Homer-Dixon, markierte im Kernland des Kohlebergbaus den Beginn einer überfälligen Debatte. Claus Leggewie, Direktor des kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, legt im Videointerview den Finger auf die Wunde: die Politik handelt zu langsam.
Das Interessante an den zweieinhalb Tage dauernden Diskussionen war, dass man sich nicht scheute, den Klimawandel als die große Herausforderung eines politisch-kulturellen Zivilisationswandels der Weltgesellschaft zu charakterisieren. Eine Neueinbettung der Ökonomie in die Gesellschaft sei erforderlich, eine qualitative Redefinition des ökonomischen Wachstumsbegriffs dringend geboten, so formulierte der Soziologe Wolfgang Sachs einen der Kerngedanken der Tagung. An sich keine neue Erkenntnis, möchte man meinen – wäre da nicht ein sich vor unseren Augen schließendes Zeitfenster, das sozialphilophischen Gedankenexperimenten realpolitische Brisanz verleiht.
Gleichzeitig steht ein „Paradox“ im Raum – wie Anthony Giddens es in seinem neuen Buch „The politics of climate change“ nennt: nämlich die Wahrnehmungslücke zwischen möglicher Katastrophe und desinteressierter Reaktion von weiten Teilen der Bevölkerung.
Reale Utopien und positive Visionen einer emissionsarmen Gesellschaft setzen auf einen kulturell stimulierten Bewusstseinswandel, der die Statussymbole der fossilen Epoche ausmustert und klimafreundiche Verhaltensweisen selbstverständlich macht. Doch der Weg dorthin ist ungewiss. Angesichts der nötigen epochalen Veränderungen, z.B. auch unsere künftige Energieversorgung betreffend, ist es fraglich, ob die Politik solang warten kann. Kann sie nicht, findet Hermann E. Ott.
Der Weg, den wir jetzt in die postfossile Gesellschaft wählen, entscheidet darüber, in welcher Welt unsere Kinder leben werden. Es ist höchste Zeit, dass dieser Weg nicht nur auf der Ebene von Technologie und internationalen Klimaverhandlungen durchbuchstabiert wird, sondern als kulturelle Herausforderung wahrgenommen und angegangen wird. Bleibt zu hoffen, dass auf „The Great Transformation“ viele weitere Veranstaltungen folgen, die sich dann auch den kulturellen Fragen im engeren Sinn zu wenden. Denn in diesen Sphären ist der Klimawandel noch kaum angekommen.