GASTBEITRAG VON OLDAG CASPAR
Glücksmomente beim WWF-Russland, Staunen bei russischen Journalisten. Präsident Dmitri Medwedew, so sickerte am Abend des 19. Juni durch, hatte dem ersten staatlichen Fernsehkanal gesagt, Russland werde seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 10 bis 15 Prozent senken. Ausgehend von heutigem Niveau. Das, so rechnete der WWF-Russland sofort in einer Pressemitteilung vor, würde bedeuten, Russland verpflichtet sich zu Emissionsreduktionen von 40 bis 45 Prozent unter das Niveau von 1990.
War das der Durchbruch bei den aktuellen Klimaverhandlungen? Russland sei damit zum führenden Land im Ringen um ein Post-Kyoto-Klimaabkommen geworden, zitierten russische Internetmedien einen euphorischen WWF-Russland-Direktor Igor Tschestin. Noch am Montag schrieb die angesehene Wirtschaftszeitung Wedomosti von einer „tatsächlichen grünen Revolution“. Wedomosti erklärte den mutigen Schritt auch mit den zurückgehenden CO2-Emissionen aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise.
Doch als das Medwedew-Interview am Sonntag ausgestrahlt wurde, war bereits Katerstimmung eingetreten. Medwedews Wirtschaftsberater Arkadi Dworkowitsch hatte noch am Freitagabend klargestellt: Der Präsident habe nicht 10 bis 15 Prozent unter heutigem Niveau gemeint, sondern unter 1990. Bedenkt man, dass Russlands Wirtschaft 2007 immer noch 34 Prozent weniger Treibhausgase emittierte als 1990, dann ist Russland damit fast das einzige der im Annex I der Klimarahmenkonvention zusammengefassten hochindustrialisierten Länder, das sich traut, ein kräftiges Wachstum seiner Emissionen anzukündigen.
Was Dmitri Medwedew im Interview als „unseren Beitrag zu den internationalen Anstrengungen“ bezeichnete, würde bedeuten, dass sich das Wachstum der russischen Treibhausgasemissionen bis 2020 sogar stark beschleunigen dürfte. Und das in einer Zeit, in der selbst China und andere sogenannte Schwellenländer überlegen, wie sie ihr Emissionswachstum zumindest verlangsamen können. Russland führt – beim Wettlauf um die am wenigsten ehrgeizigen Ziele. Man hoffe jetzt, so der Präsident, auf vergleichbare Schritte von den Partnerländern. Dabei weiß in Moskau offensichtlich die eine Hand nicht, was die andere macht. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte Dmitri Medwedew im Juni 2008 erlassen, die russische Wirtschaft solle bis 2020 um mindestens 40 Prozent energieeffizienter werden. Der WWF-Russland rechnet nun auf seiner Internseite genüsslich vor, was die angekündigte Emissionssteigerung auf 10 bis 15 Prozent unter 1990er-Niveau für die Energieeffizienz der Wirtschaft heißen würde. Die würde sich dann nämlich nur um 15 bis 20 Prozent verbessern. Medwedew untergräbt seine eigene Politik. Eine zehnprozentige Reduzierung der Emissionen unter 2008er-Niveau wäre dagegen, folgt man russischen Umweltorganisationen, absolut realistisch. Ein eigentlich auch in russischen Regierungskreisen ersehnter Innovations- und Diversifizierungsstimulus für die einseitig auf fossile Rohstoffe ausgerichtete russische Wirtschaft wäre zudem die Folge. „Um den Klimawandel müssen sich alle kümmern, oder es wird sich niemand kümmern“, sorgte sich Präsident Medwedew am Schluss des Interviews im Staatsfernsehen. „Wenn wir uns zurücklehnen, dann wäre das ein fataler Weg.“