Guardian-Wirrwarr: die Aufklärung

In der Zwischenzeit ist die Herkunft des mysteriösen dänischen Entwurfs für ein Abschlussdokument halbwegs aufgeklärt: anscheinend ist dieser Text vom Büro des dänischen Premierminister entwickelt worden – möglicher Weise nicht in enger Absprache mit der dänischen Präsidentin der Klimakonferenz, Connie Hedegard. Zudem handelt es sich wohl um eine Version von vor ca. 14 Tagen; angeblich gibt es bereits zwei neuere Versionen des Textes, die mir allerdings nicht vorliegen.

Das ganze ist also ein Skandal! Der eigentliche Skandal ist der Inhalt des Texts: die dänische Regierung, die mit einem vorgeschlagenen „Kopenhagen-Protokoll“ Spuren in der Menschheitsgeschichte hinterlassen möchte, hat schon vor Beginn der Konferenz ein Dokument in Umlauf gebracht, das weder ambitioniert noch fair ist. Klar, am Ende müssen Kompromisse gemacht werden. Aber wenn die dänische Regierung schon mit einem Dokument in die Konferenz hineingeht, dass das Papier nicht wert ist, auf dem es steht – was wird dann am Ende stehen? Nicht nur inhaltlich, auch politisch ist das ein unkluges Dokument. Es wird in der Form keinen Konsens herstellen, sondern hat stattdessen Empörung hervorgerufen – bei den Entwicklungsländern, bei all jenen Industrieländern, die Klimaschutz ernst meinen, und in der Öffentlichkeit.

Der Entwurf für die politische Erklärung am Ende von Kopenhagen sieht zwar vorsieht, dass im Laufe der kommenden Monate aus dieser Erklärung ein Rechtstext entwickelt werden soll. Aber es wird nicht festgelegt, dass dieser Text, der später das eigentliche Kopenhagen Abkommen sein wird, einen rechtlich verbindlichen Charakter haben soll! Insofern, so könnte man zynisch anmerken – ist es auch schon wieder egal, wie gut oder schlecht dieser Text der Dänen: wenn die Vereinbarungen am Ende sowieso freiwillig bleiben, würde selbst ein gutes Ergebnis sang- und klanglos verhallen.

Jetzt ein Blick in die Details des dänischen Texts – ich kann ja mal mit den wenigen Pro’s beginnen. Es ist nett, dass „gender equality“, also Geschlechtergerechtigkeit, als Ziel der gemeinsamen Vision genannt wird – wenn es auch folgenlos bleibt. Es ist erfreulich, dass in den Passagen zur Anpassung Risikominimierung und ein internationales Versicherungssystem vorgeschlagen werden. Auch habe ich gern gelesen, dass für den internationalen Schiffs- und Flugverkehr konkrete globale Emissionsreduktionsziele vereinbart werden sollen, auch wenn noch offen gelassen wird, wie hoch sie sind. Erfreulich ist ferner, dass der Text ein Review aller Finanz- und Emissionsziele beginnend im Jahr 2014 vorsieht; so könnten zu lasche oder falsche Beschlüsse heute relativ zeitnah korrigiert werden.

Gemischte Gefühle regen sich, wenn ich lese, dass die Umsetzung dieser Ziele von der IMO und der ICAO umgesetzt werden sollen – das sind die beiden internationalen Organisationen, die den Schiffs- und zivilen Flugverkehr bisher regulieren und jedenfalls bis zum heutigen Tag Emissionsreduktionen erfolgreich behindert haben.

Ebenfalls durchwachsen fällt das Votum über die Abschnitte zum Technologietransfer aus. Einerseits werden eine Reihe von zentralen neuen Institutionen vorgeschlagen: einen „Technology Body“ unter der UNFCCC, „Technology Action Plans“, und sechs regionale Technologiezentren in Entwicklungsländern. Andererseits bleibt unklar, was genau diese Institutionen ins Werk setzen sollen, sprich: welche Technologien in welchen Ländern mit welchen Maßnahmen und Methoden gefördert werden sollen. Mögliche Irrwege bei der Technologieentwicklung, wie etwa Atomkraft, werden nicht benannt.

Gemischt zu bewerten ist zudem der Vorschlag für einen neuen internationaler Finanz-Fonds, der direkt der Klimakonferenz (COP) unterstehen soll. Einerseits wird dadurch die Weltbank nicht zur neuen Weltklimabank befördert. Der Aufsichtsrat (Board) des neuen Fonds soll paritätisch mit Entwicklungs- und Industrieländern besetzt werden. Andererseits müssen Länder nur einen (noch auszuhandelnden) Teil ihrer Finanzverpflichtungen über diesen Fonds abwickeln – für die restliche Summe, die auch der größere Teil sein kann, wird offen gelassen, dass er dann doch über bestehende Institutionen wie die Weltbank und andere angewickelt werden kann.

Richtig stark fallen die Contra-Argumente bei den folgenden Punkten ins Gewicht. An vielen Stellen, zumal den wichtigen, bleibt die Sprache des Texts sehr nebulös und inkonkret. Es werden viele wohlmeinende Ankündigungen gemacht, aber wenig belastbare Vereinbarungen. Das Bestreben etwa, den Scheitelpunkt der globalen Emissionen (Peak) vor dem Jahr 2020 zu erreichen ist richtig, wird aber völlig folgenlos bleiben, weil dieses Ziel für kein Land verpflichtend ist. Es wird kein aggregiertes Emissionsziel für Industrieländer bis 2020 verhandelt, sondern nur die Summe aus den individuell von Ländern angebotenen Zielen gebildet; mit so einem Vorgehen wird das Abkommen mit großer Sicherheit hinter den Anforderungen der Klimawissenschaft zurückbleiben. Indessen wird ein aggregiertes Ziel der Industrieländer bis 2050 genannt (-80%), wie auch der globalen Emissionen (-50%), doch diese Ziele reichen nicht aus, um wenigstens mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 50% unter der gefährlichen Schwelle von 2 Grad zu bleiben.

Es wird keine Obergrenze für die Nutzung des Clean Development Mechanism genannt; die Industrieländer können also frei Schnauze einen beliebig großen Teil ihrer Verpflichtungen in die Entwicklungsländer abschieben.

Beim Thema (REED) wird nicht nur Schutz vor Entwaldung genannt, sondern die Aufforstung und das Forstmanagement (REDD plus) werden explizit mit einbezogen. Das heißt, nicht nur der Stopp der Entwaldung wird mit öffentlichen, internationalen Geldern unterstützt, sondern im schlimmsten Fall auch großflächige Monokulturen, um Palmöl für Biosprit anzubauen oder in öden Eukalyptushainen Kohlenstoff zu binden.

Wie geht es jetzt weiter mit diesem Dokument?

Teil der Empörung gegenüber dem Text hat zu einer Initiative der vier großen Schwellenländer China, Indien, Brasilien und Südafrika geführt. Wohl von China verfasst, setzen sie mit einem eigenen Dokument dem dänischen Vorschlag etwas entgegen.

Allerdings hat dies zu Aufruhr innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer (G77) geführt, die von den vier großen ausgeschlossen werden und nicht am Prozess teilhaben dürfen.

Die heutige Nacht über wird es Verhandlungen geben, ob in einer neuen „contact group“ offizielle Verhandlungen über das mögliche Abschlussdokument aufgenommen werden sollten. Der Donnerstag morgen wird zeigen, wie es weitergeht.


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