Was ist faul an den beiden Verhandlungstexten, die jetzt vorliegen?

ChangeAm Donnerstag wurden zwei Texte vorgelegt, die derzeit als Verhandlungsgrundlage dienen: ein Text, der Reformen am Kyoto-Protokoll von 1997 vorschlägt und seine Verlängerung über das Jahr 2012 hinaus sicher stellt; ein zweiter Text, der auf Basis der Klimarahmenkonvention von 1992 in ein neues Protokoll münden könnte – vielleicht genannt „Kopenhagen-Protokoll“.

Endlich komme ich dazu, die beiden Texte für Euch zu analysieren und zu kommentieren. Woran krankt es bei ihnen noch?

Zunächst zu dem Text für die Verhandlungen über das neue Protokoll. Er leidet an sechs Defiziten:

ScheitelpunktErstens fehlt die Verpflichtung der Staatengemeinschaft, dass der Scheitelpunkt der globalen Emissionen zwischen 2015 und 2020 erreicht sein muss; es fehlt jeglicher Verweis auf einen Scheitelpunkt. Zwar wäre so eine Verpflichtung als aggregiertes Ziel nicht mit Konsequenzen für die Länder verbunden, wenn die Staatengemeinschaft es nicht einhält. Aber die Effektivität des Abkommens könnte nach einem review verschärft werden, wenn der vereinbarte Scheitelpunkt nicht eingehalten wurde.

Zweitens fehlt im Text eine Formel, wie die Vergleichbarkeit der Anstrengungen der Industrieländer gewährleistet werden könnte. Wie kann beispielsweise Japan sicher sein, dass Kanada ähnliche Anstrengungen unternimmt und Australien oder die USA auch? Hierfür müssen Kriterien festgelegt werden, damit Fairness zwischen den Industrieländern hergestellt wird – und damit die Blockierer nicht als Trittbrettfahrer ungeschoren davonkommen.

ForstDrittens sieht der Text nicht vor, dass zunächst die Regeln für die Anrechnung von Emissionen und Emissionsreduktionen in Land- und Forstwirtschaft festgelegt werden müssen, bevor dann die Emissionsziele aufgestellt werden; der Text sieht vor, dass darüber zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt werden soll. Im Bereich Forst- und Landwirtschaft schlummern aber riesige Schlupflöcher: die Staatschefs könnten am Ende von Kopenhagen der Welt nett klingende Emissionsziele präsentieren und dann im Laufe der nächsten Monate Schlupflöcher beschließen, die diese Ziele deutlich verwässern. Die Schlupflöcher, die dabei möglich sind, könnten die Emissionsziele der Industrieländer um bis zu 9% verringern! Ein zunächst gut klingendes 30%-Reduktionsziel wäre in der Realität dann nur ein schlappes 20%-Reduktionsziel. Daher muss erst Transparenz hergestellt werden, wie der Forst- und Landwirtschaftssektor angerechnet werden kann, bevor die Emissionsziele aufgestellt werden.

Viertens fehlt im Text jede Angabe, wie die langfristige Finanzierung für Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern gewährleistet wird. Das Thema langfristige Finanzierung wird gar nicht erwähnt. Lediglich die Finanzierung für den Zeitraum 2010-2012 wird angesprochen. Dabei handelt es sich aber nur um die Soforthilfe bis zum Inkrafttreten des neuen Protokolls – nicht aber für die Finanzierung, die die so wichtige Balance zwischen Minderungsmaßnahmen der Entwicklungsländer und finanzieller Unterstützung der Industrieländer herstellt. Und auch nicht um die unabdingbare langfristige Finanzierung für Anpassung. Das dürfte für die Entwicklungsländer zu recht völlig inakzeptabel sein.

Fünftens wird nicht festgelegt, dass die Finanzbeiträge der Industrieländer einem review unterworfen werden sollen. Der Text sieht lediglich ein review der Klimaschutzmaßnahmen der Entwicklungsländer vor. Um aber die genannte Balance einzuhalten, müssen ebenso die Finanz- (und Technologie-) Beiträge der Industrieländer einem review unterworfen werden. Sonst laufen die Entwicklungsländer, wie schon oft in der Geschichte der internationalen Verhandlungen, Gefahr, dass die Industrieländer heute freundliche Zusagen machen, die sie dann aber morgen nicht einhalten. Wenn es kein review für Finanzbeiträge der Industrieländer geben soll, dann dürften auch die Klimaschutzanstrengungen der Entwicklungsländer nicht überprüft werden – wobei dann insgesamt dem Klima nicht geholfen wäre. Daher braucht es ein review sowohl für Finanzzusagen des Nordens wie für Klimaschutzmaßnahmen des Südens.

SterneSchließlich fehlt in dem Text sechstens die Aussage, dass ein rechtlich verbindliches Abkommen angestrebt werden soll. Hier in Kopenhagen muss es darum gehen, dem Verhandlungsprozess in den kommenden Monaten das Mandat aufzudrücken, in einem rechtlich verbindlichen, internationalen Abkommen zu enden. Wenn am Ende des Prozesses lediglich ein „politisch verbindliches“ Abkommen steht, wäre das ein riesen Greenwash-Deal. Denn die Umsetzung und Einhaltung des Abkommen steht dann in den Sternen.

Nun zu dem Text über die Verlängerung und das update des Kyoto Protokolls. Den dominieren zwei Streitpunkte.

Zum einen sind hier natürlich schwere Verhandlungen im Schwange über die Reduktionszahlen für Industrieländer. Zum anderen geht es um die Frage, wie die Industrieländer sich Kohlenstoffsenken anrechnen lassen können. Eine üble Option beherrscht hierbei die Debatte: dass die Industrieländer die Anrechenbarkeit von Kohlenstoffsenken im Forst- und Landwirtschaftssektor selbst definieren dürfen, wie es ihnen am besten passt. Dies würde es ihnen etwa ermöglichen, neugepflanzte oder zuwachsende Wälder auf das eigene Ziel anzurechnen, zugleich aber den Verlust von Senken durch abgeholzte und genutzte Biomasse nicht in ihr Ziel einbeziehen zu müssen. Ein riesen Schlupfloch!

DeforestationKonkret geht das so: in Deutschland haben Wälder im Schnitt der Jahre 1990 bis 2007 etwa 40 Megatonnen Kohlenstoff gebunden. Die kann Deutschland sich positiv auf sein Ziel anrechnen lassen. Doch nicht genug: wenn Deutschland jetzt im Rahmen der internationalen Verhandlungen behaupten würde, in Zukunft wollten sie den Holzeinschlag so stark erhöhen, dass beispielsweise 100 Megatonnen Kohlenstoff freigesetzt würde – dann können sie sich später sogar 140 Megatonnen anrechnen lassen, wenn sie diesen Holzeinschlag gar nicht durchführen.

Ist das nicht absurd? Ja, ist es. Doch so offen wird hier mit Schlupflöchern gehandelt. Der Presse ist das nicht mehr vermittelbar. Die Öffentlichkeit versteht das nicht, es würde zu viele Zeichen brauchen, das zu erklären – und also können die Verhandler machen.

So geht es aber nicht. Wir brauchen einen Strukturwandel in unserer Gesellschaft!!!

Quelle Fotos: Change: www.flickr.com/photos/spursfan_ace/2328879637; Scheitelpunkt und Sterne: commons.wikimedia.or; Forst: geograph.org.uk; Deforestaton: flickr.com. Alle Fotos – wie immer – mit Creative Commons Lizenz 🙂


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