Cochabamba: ein neues Signal für die Völker der Welt?

GASTBEITRAG VON THOMAS FATHEUER, hbs BRASILIEN, DER VOR ORT DABEI IST:

Am Anfang schien schon alles verdorben: als Evo Morales in seiner Eröffnungsrede transgene Nahrung und Industriehühner für Glatzen im Norden und zuviele weibliche Hormone bei Männern verantwortlich machte, waren die Überschriften in der internationalen Presse geschrieben. Auch hier in Cochabamba galt: we are not amused. Dennoch wollten sich die über 30 000 Teilnehmer_innen nicht an einer Äusserung von Evo Morales messen lasssen. Ja, Cochabamba war viel mehr als einige skurile Äußerungen des Präsidenten.

Alle Latinos, mit denen ich in diesen Tagen gesprochen habe, sind mit der Konferenz zufrieden. Bei allen Widersprüchen sehen sie hier ein Signal aus dem Süden: wir können so nicht weitermachen, der Süden will mehr als eine Handvoll (und auch nur versprochener) Dollar und leere Versprechungen des Nordens. Auch in der aktiven Rolle Boliviens und Evo Morales sehen sie weniger ein Problem als ein Chance. Immerhin hat eine Regierung nun den Kampf gegen den Klimawandel zu ihrem zentralen Anliegen gemacht und unternimmt Anstrengungen, eine weltweite Kampagne zu starten.

Die vier Tage von Cochabamba waren tatsächlich voller Widersprüche. Die Regierung hatte gerufen und doch wirkte nichts wie ein Regierungstreffen. Die bunte Mischung der Akteuere erinnerte an die Weltsozialforen, aber die massive und in bunten Kostümen und kuriosion Hüten sichtbare Präsenz der indigenen Völker war prägend. Und eine überschäumende sozialistische Rethorik hatte als Raum die Univale – eine private Universität für zahlungskräftige Lateinamerikaner.

Anders als auf Sozialforen waren die Debatten stringent ergebnisorientiert. In 18 Arbeitsgruppen wurde jeweils ein Positionspapier erarbeitet. Dass die Themen manchmal etwas blumig ausfielen („Harmonie mit der Natur“) erschwerte zwar die Debatten, bremste aber nicht den Enthusiasmus der Teilnehmer. Die Ergebnisse der AGs wurden dann von einer Redaktionsgruppe zum Abschlusspapier zusammengestellt. Das ging nicht ohne Konflikte ab. Augenzeugenberichten zufolge soll der Koordinator der Konferenz, Pablo Solon, genervt ausgerufen haben, was sie denn da für Papiere anbringen würden, die nicht den Wünschen Evo Morales entsprächen.

Auf frontale Ablehnung der versammelten sozialen Bewegungen stieß der Vorschlag der Regierung Boliviens, eine Art globalen Dachverbands der sozialen Bewegungen zu konstituieren. Aber so leicht opfern soziale Bewegungen dann doch nicht ihre Autonomie – auch nicht für die positiven Ansinnen einer progressiven Regierung.

Die Diskussionen liefen durchaus erregt ab – und zeigten, wie unterschiedlich Positionen und Visionen der lateinamerikanischen Akteure sind: die Konferenz wurde geprägt durch die Beschwörung von Pacha Mama, der großen Mutter Erde, die durch das herrschende Entwicklungsmodell (oder, je nach Geschmack – den Kapitalismus) geschändet wird. Die politische Bedeutung dieser Beschwörung in Lateinamerika liegt in der deutlichen Absage an den Entwicklungs- und Wachstumsfetischismus, dem die meisten progressiven Regierungen in der Region fröhnen.

In Cochabamba haben soziale Bewegungen und die Regierung von Bolivien ein neues politische Signal gegeben, dass die fragile Allianz der progressiven Regierungen nun an ihrem Naturverhältnis misst. Kein Wunder, dass die brasilianische Regierung bei der Konferenz praktisch nicht vertreten war. Und in den Arbeitgruppen fühlten sich die Chavisten alles andere als wohl und provozierten immer wieder hitzige Diskussionen. Die allgegenwärtigen Forderungen nach indigener Autonomie stiessen bei ihnen auf Unverständnis, da es ihnen um ein „Projekt der Nation“ geht, dem sich die sozialen und indigenen Bewegungen unterordnen müssten. Aber gerade die Autonomie der indigenen Bewegungen im Andenraum, die inzwischen riesige Territorien verwalten, ist zugleich die Kraft des Signals von Cochabamba wie deren Begrenzung.

Denn während im Andenraum Pacha Mama in den indigenen Bewegungen und Territorien ihre soziale und materielle Basis hat, stellt sie für Länder wie Brasilien und Argentinien kaum eine reale Alternative dar. Und wohl noch viel weniger für die Welt jenseits von Lateinamerika – zumindest nicht ohne politische Vermittlungen und Übersetzungen.

Hugo Chavez fühlte sich bei der Abschlusskundgebung offensichtlich unwohl. Immer wieder beschwörte er seinen Sozialismus des 21. Jahrhunderts, unter Berufung auf Albert Einstein. Und als er zum guten Ende statt des üblichen „Socialsmo ou muerte“ ein „Pacha mama ou muerte“ ausrief klang das wenig überzeugend. Aber wenn das die Alternative ist, dann sind natürlich auch wir für Pacha Mama.

Fotos: Evo Morales von Olmo Gonzales; Bunte Menschen von Olmovich; beide auf Flickr.de mit Creative Commons Lizenz


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