Seit ein paar Tagen ist klar, dass nicht „bloß“ 1.000 Barrel, sondern mehr als 5.000 Barrel Öl jeden Tag in den Golf von Mexiko strömen – sagenhafte 800.000 Liter täglich. Und bisher gibt es keinen plausiblen Plan, wie das gestoppt werden kann. Das ist doch unfassbar!!!
Es sind solche Katastrophen-Momente, die die Wichtigkeit und Richtigkeit des Rechtssatzes „Privateigentum verpflichtet, auch zum Wohl der Allgemeinheit“ unübersehbar werden lassen. Egal ob BP oder die Betreiberfirma die Letzverantwortung für den Defekt tragen, stellt sich doch die Frage: wieso werden sich diese Firmen wieder nur zu einem Bruchteil an den Aufräumkosten beteiligen müssen, während die amerikanischen Steuerzahler, die mexikanischen Fischer, die Artenvielfalt im Golf von Mexiko die Zeche zahlen? Ja mehr noch: wieso eigentlich dürfen diese Firmen weiterhin Profite machen, obwohl sie eine gigantische Katastrophe zu verantworten haben? In der Tat, was wir brauchen, ist eine neue Diskussion über die Verantwortlichkeit von Unternehmen.
Die Finanzkrise hat eine vernünftige Debatte über die Regulierung unserer Märkte ausgelöst. Gut so. Die Ölpest im Golf gibt einen Anlass mehr, um diese Debatte durch die Idee einer anderen Verfasstheit von Unternehmen zu ergänzen. Denn mit ein bischen Abstand und gesundem Menschenverstand betrachtet ist es doch absurd: die Banken, die die Finanzkrise erst ausgelöst haben, werden nicht angemessen an den Kosten der Rettungspakete beteiligt – und sind jetzt noch dazu die ersten, die nach der Krise wieder profitieren. Da stimmt doch was nicht! In Bhopal, Indien, demonstrieren Menschen noch heute, dass die US-Firma Dow Chemicals für die Spätschäden aufkommen soll (Foto). Und nun die Ölpest im Golf: BP & Co schütten weiterhin fröhlich Dividenden an ihre Aktionäre aus, während der die US-Regierung die Marine einsetzt, um der Katastrophe beizukommen. Wie deutlich muss das Dilemma denn werden, damit wir eine Debatte über die Verfasstheit von Unternehmen bekommen?
Was es bräuchte, ist eine neue Diskussion über „Corporate Accountability“ und die Idee einer Charta of Incorporation. Unternehmen genießen bislang alle Vorteile von „juristischen Personen“; unter anderem eben, dass sie im Schadensfall nur sehr begrenzt haftbar gemacht werden können. Zudem sind sie letztlich keine demokratisch legitimierten Einheiten. Wie sollte es idealer Weise sein in der Demokratie? Unternehmen wären Rechtssubjekte, die einer demokratischen Kontrolle unterworfen sind. Die Charta of Incorporation (die übrigens auf eine reale Charta zurückgeht, wie sie vom 16. bis zum Ende des 19. Jahrhundert üblich war) schlägt vor, dass Unternehmen das Recht zur Produktion zunächst nur auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt eingeräumt bekommen. Dieses zeitlich beschränkte Recht könnte jeweils verlängert werden, nachdem Unternehmen einer öffentlichen Evaluation unterzogen wurden. So hätten die Politik (und damit indirekt die Bürgerinnen und Bürger) auch die Entscheidungsbefugnis darüber, ob und wie stark ein Unternehmen am Aufräumen eines verschuldeten Schadens beteiligt werden soll. Neu sind diese Gedanken beileibe nicht:
Neither the claims of ownership nor those of control can stand against the paramount interests of the community. It remains only for the claims of the community to be put forward with clarity and force.
A. A. Berle & Gardner C. Means: The Modern Corporation and Private Property, 1933.
Quelle Foto: von Joe Athialy auf Flickr.com mit Creative Commons Lizenz