GASTKOMMENTAR VON DOROTHEE LANDGREBE: Wie die Bundesregierung die Verfassung, die Faktenlage und die Bevölkerung ignoriert, um an der Atomkraft festzuhalten.
Der Druck der Atomlobby muss immens sein: die Bundesregierung hält unbeirrt an der angekündigten Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke fest. Auch die veränderten Mehrheiten im Bundesrat scheinen sie nicht abzuhalten.
Pofalla kündigte am Wochenende an, er werde die Verlängerung der Laufzeiten auch ohne die Zustimmung des Bundesrates umsetzen. Dabei scheint ihn die Rechtsauffassung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nicht zu interessieren: Der Fortbetrieb der zivilen Nutzung der Atomkraft hängt auch von der Entscheidung des Bundesrates ab“, heißt es da in einem Aufsatz vom 21. April, denn „die Verlängerung von KKW-Laufzeiten führt zu einer Verlängerung der Vollzugsaufgaben mit entsprechendem Personal- und Kostenaufwand der Länder, was die Zustimmungsbedürftigkeit auslöst“.
Im Klartext: Unsere Verfassung sieht vor, dass die Länder immer dann ein Wörtchen mitreden dürfen, wenn ihnen durch ein Gesetz Arbeit und Mehrkosten entstehen. Und da längere Laufzeiten anders als ein Ausstieg (damals nicht zustimmungspflichtig) längere Vollzugs- und Kontrollausgaben der Länder nach sich ziehen, müssen sie zustimmen. Das sehen nicht nur Grüne und die SPD so. Auch Umweltminister Röttgen (CDU) fordert in Hinblick auf das Grundgesetz die Zustimmung des Bundesrates, wird dafür aber sofort mit einer Rücktrittsforderung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus abgestraft. Rückenddeckung könnte er indessen von seinem Parteifreund Rüttgers erhalten, der schon im März eine Beteiligung der Länder forderte.
Doch nicht nur die Verfassungslage, auch das jüngste Votum des Sachverständigenrat für Umweltfragen scheint die Bundesregierung nicht zu erschüttern. Der entkräftigt in seiner Stellungnahme „Klimaverträglich, sicher, bezahlbar: 100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050„den von der Regierung sorgsam verbreiteten Mythos, wir brauchten die Kernenergie als eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann.
Das Gegenteil ist der Fall. Der Ausbau der Erneuerbare wird durch die Atomkraft sogar behindert. Dies wird faktenreich in der neuen Publikation „Systems for Change: Nuclear Power vs. Energy, Efficiency + Renewables?” der Atomexperten Mycle Schneider und Antony Froggat vor Augen geführt, die die Heinrich Böll Stiftung in Auftrag gegeben hat.
Wenn weder die Verfassungslage, noch die Faktenlage, dann sollte die schwarz-gelbe Koalition sich um die Wünsche ihrer Wählerinnen und Wähler kümmern: Nach einer aktuellen Umfrage von Greenpeace und TNS-Emnid sprechen sich 67 Prozent der Befragten inzwischen für den gesetzlich verankerten Atomausstieg aus oder wollen ihn sogar noch beschleunigen.
Gegen soviel Ignoranz hilft nur Widerspruch: Vor dem Verfassungsgericht, auf der Strasse und mit atomkritischen und faktenreichen Know-How. Mehr Infos dazu auch hier.
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