Hermann Scheer ist tot. Offenbar völlig unerwartet ist der Träger des alternativen Nobelpreises gestorben; noch vorgestern habe ich seine ganzseitige Annonce in der Süddeutschen Zeitung gelesen „Erneuerbare Energien brauchen keine Brücken“, mit der er zusammen mit vielen anderen gegen den Ausbau der Atom- und Kohlewirtschaft angeht. Welch ein Verlust für die Welt! Für die Verbreitung von Erneuerbaren Energien und den Kampf für den Einstieg in eine fossile, erneuerbare Wirtschaft!
Ohne Zweifel war Hermann Scheer weltweit DER einflussreichste Fürsprecher und Vorkämpfer für Erneuerbare Energien in den letzten 20 Jahren. Er hat in alle Bereiche der Gesellschaft hinein seine Spuren hinterlassen. In der Politik: er hat dreißig Jahre im Bundestag gesessen und dort viele große und kleine Initiativen angestoßen – vom weltweiten Exportschlager des Erneuerbaren Energien Gesetzes bis hin zu einem energieeffizienten und (auch) auf Erneuerbare setzenden Konzepts für den Umbau der Reichstags zum Bundestag. Und nebenbei noch Regierungen im Ausland beraten. In der Wirtschaft: Hermann Scheer war Ideengeber und Netzwerker für große, mittelständische und kleine Unternehmen weltweit und hat überall den Ausbau und die Investitionen in Erneuerbare vorangetrieben. In der Gesellschaft: Hermann Scheer konnte auch gut mit Medien umgehen und hat durch Artikel, Interviews, Annoncen, ja auch Kinofilme (z.B. den Film „Energy Autonomy„) entscheidend dazu beigetragen, dass Erneuerbare Energien auch in der Bevölkerung an Akzeptanz gewinnen.
In der Wissenschaft: Hermann Scheer hat zahlreiche Bücher geschrieben, in denen er die technische, politische, wirtschaftliche Machbarkeit und Sinnhaftigkeit von Erneuerbaren Energien argumentativ eindrücklich und mit hieb- und stichfesten Fakten untermauert. Am meisten geprägt hat mich seine Soziologie der „kurzen Produktionsketten“, mit denen er die Bedeutung von Erneuerbaren Energien weit über Klimaschutz und Energiesicherheit hinausgehoben hat (z.B. in seinem Buch „Solare Weltwirtschaft„): Die Energieproduktion durch Erneuerbare Energien lässt sich in kurzen Produktionsketten organisieren und ist damit auch wirtschaftlich viel effizienter als andere Energieträger: Von der Erzeugung der bsp. einer Solarzelle bis zur Nutzung des Stroms als Endprodukt sind es nur einige wenige Produktionsschritte. Diese lassen sich politisch und öffentlich viel besser steuern, kontrollieren, von Menschen und Gemeinden/Gemeinschaften gestalten, als die viel längeren und meist internationalen Produktionsketten vom Schürfen der Kohle untertage in Australien oder der Förderung des Öls im persischen Golf über die Verarbeitung, dann Verbrennung in Großkraftwerken, dann Lieferung des Stroms über zentrale Netze und Schaltstellen usw. Zudem lassen sich Erneuerbare, weil dezentral in vielen kleinen Produktionseinheiten organisiert – von Solarflächen auf Dächern bis Photovoltaikzellen auf Schafsweiden – nicht von Konzernen vermachten, gegenüber der Politik nicht in mächtigen Lobbyinteressen bündeln, und gegenüber den Konsumenten nicht durch Preisdiktate ausnutzen. Kurz: Erneuerbare Energien, so habe ich von Hermann Scheer gelernt, sind letztlich ein Grundbaustein und eine Grundvoraussetzung für eine demokratische, lokale, subsidikäre, menschen-bestimmte Ökonomie.
Danke, Hermann, für alles Gedankengut und alle Initiativen, die Du uns überlassen hast!