Am Ende der ersten Verhandlungswoche beim Klimagipfel in Cancun ist vor allem eines klar: Bei den wichtigen Fragen sind sie keinen Schritt weitergekommen. Seit gestern gibt es einen neuen Verhandlungstext. Und auch wenn die Klammern und Optionen darin vielleicht ein bisschen abgenommen haben, wenn man ihn mit Texten von vor einem halben Jahr vergleicht, stehen in allen Kernfragen noch alle Entscheidungen offen bzw. liegen keine konkreten Zusagen vor. Doch womit haben sich die Verhandlungsdelegationen dann die ganze letzte Woche beschäftigt?
Zum einen dominieren rechtliche und juristische Fragen die Verhandlungen. Es geht darum, welche rechtliche Form ein mögliches Abkommen ab 2012 haben soll. Dazu gibt es vor allem zwei wesentliche Positionen:
Vorschlag 1: Kyoto-Protokoll fortführen in einer zweiten Verpflichtungsperiode und ergänzen sowie zusätzliche Entscheidungen des Plenums (der COP) herbeiführen, die alle Länder einbeziehen und über Emissionsreduktionen von Industrieländern hinausgehen.
Vorschlag 2: Zwei Protokolle: Kyoto-Protokoll plus ein neues für alle Länder (LCA Verhandlungstrack), das sich dann mit allen Nicht-Kyoto-Themen von Waldschutz über Anpassung bis Klimaschutz in Entwicklungsländern, Finanzierung und Technologietransfer befasst.
Die Unterschiede beziehen sich vor allem darauf, wie verbindlich bestimmte Entscheidungen festgeschrieben werden. Ein neues Protokoll wäre die verbindlichere Form, die die ärmeren Entwicklungsländer ganz klar wollen (u.a. auch weil sie die USA in ein verbindliches Abkommen einbeziehen und von den großen Schwellenländern verbindliche Zusagen sehen wollen), gegen die sich aber u.a. China und Indien wehren.
Die G77 sind schon lange in sich zerstritten. Der aktuelle Konflikt, der hier in Cancun besonders aufbricht, ist der über die Definition von Verwundbarkeit. Welche Länder sind besonders verwundbar und bekommen damit speziellen Zugang zu den Anpassungsgeldern und -fonds?
Die Klimafinanzierung ist eines der Top-Themen her (auch von der mexikanischen Regierung als Schwerpunkt gesetzt). Zu den Schlüsselfragen gibt es bisher noch keine Entscheidung. Diese sind u.a.:
a) Wird ein neuer Globaler Klimafonds eingerichtet? Und wenn ja, unter dem Dach der UNFCCC oder ganz im Sinne der Multilateralen Entwicklungsbanken (und vor allem der Weltbank)?
b) Wo sollen die Gelder herkommen? Welche neuen Quellen werden angezapft? Hierzu gibt es Ergebnisse der High Level Advisory Group, die der UN Generalsekretär eingerichtet hatte. Die Ergebnisse hat Liane Schalatek hier analysiert.
c) Wie haben die Industrieländer ihre Fast Start Finance Zusagen von Kopenhagen eingehalten (also Gelder, die von 2010 bis 2012 fließen sollten, $ 30 Milliarden jährlich)? Auch wenn das Ergebnis mehr als dürftig ist (da wird getrickst und gemauschelt, was das Zeug hält!) und das an sich einen Skandal darstellt, sieht es so aus, als würden sich die Entwicklungsländer ungern noch länger mit einem Thema herumschlagen, dass eh in zwei Jahren gegessen ist. An der Fast Start Finance Frage wird Cancun nicht scheitern. Eine Super-Analyse zur deutschen Fast Start Finance von Oxfam gibt’s übrigens hier.
Beim Thema Waldschutz stecken die Verhandlungen weiterhin an der sehr wichtigen Frage fest, ob REDD (Reduced Emissions from Deforestation and Forest Degradation) eigentlich durch Marktmechanismen oder einen Fonds finanziert werden soll. Dabei wird REDD in der Praxis schon in vielen Ländern umgesetzt – von Amazonien über das Kongobecken bis nach Indonesien.
So ergibt sich ein sehr gemischtes Bild nach der ersten Woche: Die Stimmung ist besser als erwartet. Der Kopenhagen-Blues scheint überwunden. Noch ist nichts dramatisch Schlimmes passiert und wir können gespannt sein auf die zweite Woche. Oder?
So ganz stimmt das leider nicht. Denn das Dramatische ist eben, dass nichts passiert. Nur dass mal eben so still und heimlich – bzw. eigentlich von einigen Akteuren (Japan, Russland, Kanada und anderen) gar nicht so still und leise – das Kyoto-Protokoll beerdigt wird, um einem unverbindlichen Jeder-Macht-Was-Er-Will-Abkommen den Weg zu ebnen. Und dass das Thema Anpassung fast komplett unter den Tisch fällt und es dagegen keinen großen Aufschrei gibt. Entgegen der Kopenhagenzusagen, die Hälfte der Klimafinanzierung in Anpassung zu stecken, sieht es da nämlich noch dürftiger aus als im Bereich Klimaschutz.
Eine Blockbildung Industrie- gegen Entwicklungsländer lässt sich hier in Cancun nicht mehr nachzeichnen. Das Bild ist wesentlich komplexer und vielschichtiger. Viel eher trifft es wohl gerade eine Beschreibung fossile Industrielobby (lieert mit Eliten und Entscheidungsträger/innen in fast allen Ländern) gegen den Rest der Welt. Mit Verhandlungstaktik innerhalb der UNFCCC kommt man dagegen nicht an.