Von Cancun nach Durban – Zwischenstop Bangkok

Vier Monate nach dem Klimagipfel in Cancun wird diese Woche in Bangkok weiter um ein internationales Klimaabkommen gerungen. Nicht nur aufgrund der medial und politisch alles überlagernden Atom-Katastrophe in Japan schaut kaum jemand genauer dort hin. Die UN-Verhandlungsmüdigkeit, die nach dem Scheitern von Kopenhagen eingesetzt hat, ist auch nach einem von vielen gefeierten Teilerfolg in Cancun nicht verflogen. Vielen ist der Glaube daran, dass es im UNFCCC Kontext überhaupt noch Fortschritte geben kann, komplett verloren gegangen. Klima der Gerechtigkeit sprach mit Hans Verolme, der diese Woche vort Ort in Bangkok ist und die NGOs des Climate Action Network International berät.

Klima der Gerechtigkeit (KdG): In Cancun herrschte bei vielen Regierungen und NGOs neue Aufbruchsstimmung. Ist die in Bangkok noch spürbar?

Hans Verolme (HV): Auch wenn sich die Katerstimmung von Kopenhagen in Cancun ein wenig gelegt hat, meine ich, dass die Ergebnisse von Cancun bis zu einem gewissen Grad lediglich eine Übersetzung des Kopenhagen Accords in den UNFCCC Verhandlungstext darstellen. Mit ihnen bestätigen die Regierungen dieser Welt auch ihren Mangel an politischem Willen, die vagen und rhetorischen Klimaschutzziele in ein faires und verbindliches Abkommen zu gießen. Die Existenz dieser riesigen Kluft zwischen rhetorischen Zielen und tatsächlichem Handeln (circa 10 Gigatonnen CO2!) ist jetzt ganz zentral für die Arbeit der NGOs hier. Diese ernüchternde aber realistische Einschätzung bringt viele NGOs dazu, sich mit sehr konkreten Themen zu befassen, z.B. Technologietransfer oder Klimafinanzierung. Insgesamt hat das Interesse der Zivilgesellschaft (und Geber) an den Verhandlungen signifikant abgenommen. Während im Vorfeld von Kopenhagen die Besprechungsräume zu klein waren für die Masse an Aktivisten und die Straßen von Bangkok voller Demonstranten waren, verbleibt davon jetzt nur eine kleine Kerntruppe von NGO Leuten, meist Mitglieder des Climate Action Network, die langjährige Expertise in diese Verhandlungen haben. Leider ist von der wachsenden Klimabewegung hier nichts zu spüren.

KdG: Was sind die wichtigsten Themen diese Woche? Und wer von den Regierungen dominiert die Debatte? Gibt es Überraschungen?

HV: Abgesehen von Diskussionen über das Arbeitsprogramme für das kommende Jahr haben die Regierungen Details zu ihren Zusagen für Klimaschutzziele bis 2020 präsentiert. Nach den Präsentationen der Industrieländer gibt es jetzt eine greifbare Wahrnehmung, dass das Kyoto Protokoll in Gefahr ist! Während seit mehreren Verhandlungsrunden Leute wie ich auf die Möglichkeit einer Lücke zwischen den verschiedenen Verpflichtungsperioden hinweisen (das Inkrafttreten eines neuen Abkommens für den 1. Januar 2013 ist unwahrscheinlich, weshalb es einer Entscheidung über eine vorläufige Regelung bedürfte), tritt jetzt die Erkenntnis ins Bewusstsein, dass es überhaupt keine zweite Verpflichtungsperiode geben könnte. Das liegt zum Großteil an den Positionen der Umbrella Group (Australien, Kanada, Island, Japan, Neuseeland, Norwegen, Russland, Ukraine und die USA). Aber der Umbrella Group wurde durch die EU Hilfe und Vorschub geleistet. Während die EU in Cancun unter belgischer Präsidentschaft eine ausgewogene Perspektive hatte, betont sie jetzt, dass sie ein einziges Abkommen bevorzugen würde (also keine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto Protokolls plus ein weiteres Abkommen, das alle Länder einschließt) – während aber genau dieses Abkommen nicht in Sicht ist. Der Ruf der Entwicklungsländer nach einer zweiten Verpflichtungsperiode klingt jetzt immer schriller. Der Mangel an Ambitionen seitens der EU ist jetzt für alle klar erkennbar. Wir haben selber dazu beigetragen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die EU mit Erreichen ihrer Ziele für Effizienz und Erneuerbare Energien bereits bis 2020 das 25 % Ziel erreicht haben wird. Wie kann dann ein Ziel von -20 % noch internationale Führerschaft bedeuten? Wenig hilfreich ist auch die EU Position (bzw. das Fehlen einer solchen) zur Frage von Emissionen aus Entwaldung. Statt zu messen, was emittiert wird, will die EU sogenannte Referenzniveaus setzen. Ein Problem ist auch das Übertragen von Emissionszertifikaten (AAUs) von den osteuropäischen Staaten. Ironischerweise werden genau diese wertlos, wenn das Kyoto Protokoll ausläuft…
KdG: Die Ergebnisse von Cancun wurden von vielen als endgültiges Aus für globale und verbindliche Klimaschutzziele bewertet und als Bestätigung einer Welt, in der jeder das auf den Tisch legt, was national für angemessen gehalten wird. In welcher Welt leben wir? Gibt es noch Hoffnungen für ein globales Klimaabkommen bis zur COP 17 in Durban, Südafrika?

HV: Nehmen wir an, dass sich das düsterer Szenario eines Zusammenruchs des Kyoto Protokolls bewahrheiten wird, dann glaube ich nicht, dass das dieses Jahr geschehen wird. Südafrika als Land, das sich zu den progressiven Kräften in der Welt zählt, wird alles tun, um ein Scheitern der Verhandlungen zu verhindern. Die Regierungen werden weiterverhandeln und wenn es in Durban kein Ergebnis gibt, dann werden sie vermutlich aufgefordert, das Thema wieder aufzunehmen, wenn sie sich im Juni 2012 in Rio de Janeiro zum 20. Jahrestag des Erdgipfels treffen. Die Position der USA verdient hier besondere Erwähnung. Die Weltgemeinschaft weiß, dass die USA nicht genügend Ambitionen an den Tag legt und in absehbarer Zukunft keine umfassende Klimagesetzgebung auf Bundesebene verabschieden wird. Es ist sogar noch unwahrscheinlicher, dass die USA jemals ein internationales verbindliches Abkommen ratifizieren wird, das bedeutet, ihre moralische und juristische Verpflichtung zu erfüllen, Emissionen zu mindern und gleichzeitig andere Länder bei der Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels und dem Einschlagen eines CO2 ärmeren Entwicklungspfads zu unterstützen. Der Kopenhagen Accord war ein Versuch, das rechtlich verbindliche Kyoto Protokoll mit einem nicht verbindlichen ‚pledge and review‘ Ansatz für internationale Kooperation zu ersetzen. In Bangkok hat die USA sogar noch aggressiver als in Cancun ihre Weltsicht verteidigt, indem sie sich weigert, einem gemeinsamen Überprüfungsmechanismus zuzustimmen (der den Vergleich der Klimaziele zwischen den Ländern einfacher machen würde) oder zu diskutieren, wie man die Erfüllung der gemachten Zusagen überprüfen kann. Das reduziert den Begriff „Review“ aufs Minimale. Es wäre das denkbar schlechteste Modell von ‚pledge and review‘ und weit entfernt von dem, was wir von den Regierungen einfordern: ein fairen, ambitioniertes und verbindliches Abkommen, dass die globale Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt.

KdG: Welche Rolle spielt Fukushima in Bangkok? Ist die Atomkatastrophe letztlich eine Chance oder ein Risiko für Klimaschutz global?

HV: Im engen Kontext dieser Verhandlungen betrachtet werden die Ereignisse in Japan vermutlich internationale Bestrebungen unterminieren. Zunächst einmal und ganz offensichtlich ist zu erwarten, dass Japan einen Großteil seiner Entwicklungshilfe und Klimafinanzierung reduzieren wird. Auch wenn das Ausmaß dessen noch unklar ist, ist das zu offensichtlich. Aber es ist die Situation in Japan selber, die sich im Nachhinein als Kipppunkt herausstellen könnte. Japan war ja in Cancun das Land, das sich öffentlich am stärksten gegen eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto Protokolls ausgesprochen hat, offen unterstützt von Russland, den USA und Australien. Die japanische Regierung beruft sich noch nicht auf höhere Gewalt und wird japanischen Kollegen hier zufolge noch ihre Kyoto Ziele für 2012 erfüllen. Aber mit anhaltenden Stromausfällen und der Anforderung, neue Kapazitäten schnell aufzubauen, ist die offensichtliche – aber nicht gesunde – Wahl fossil, besonders Erdgas. Es wird auch Druck geben zu ‚diversifizieren‘ und für die Grundlast auf Kohlekraftwerke zu setzen und zahlreiche Länder werden Schlange stehen, ihnen die Kohle zu verkaufen (wiederum die USA und Australien, aber auch Indonesien). Es gibt auch Raum für mehr Effizienz und Erneuerbare, aber Beamtenapparat und Politik scheinen die CO2 intensive Option zu bevorzugen.

KdG: Unter welchen Umständen könnten die Klimaverhandlungen in Bangkok am Ende der Woche als erfolgreich bewertet werden?

HV: Erfolg in Bangkok sollte am besten im Kontext von Fortschritt bewertet werden, den es bis Durban geben wird. Für uns, die hier in den Verhandlungen arbeiten, ist es ermutigend zu hören, dass viele Bedenken, die die NGOs vorgebracht haben, in der Rhetorik der Verhandlungen angekommen sind. Aber die politischen Mandate haben sich noch nicht verändert. Für die EU und ihre Mitgliedstaaten bedeutet das Arbeit, die zu Hause, aber auch in Brüssel stattfinden muss!


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