„It‘s time to draw a red line around greenwashing.“
Catherine McKenna, HLEG Chair
In den letzten Jahren hat sich in der internationalen Klimapolitik, aber auch in nationalen oder sogar substaatlichen Kontexten das Ziel der „Netto-Null-Emissionen“ etabliert. Auch viele große Unternehmen geben sich „Netto-Null“-Ziele – tatsächlich (und das gibt natürlich zu denken) sind hier die fossile Industrie, aber auch die großen Akteure der Tech-Industrie wie Amazon, Google & Co ganz vorne mit dabei.
Aus der internationalen Ziviligesellschaft hat das Konzept der „Netto-Null-Emissionen“ zunehmend Kritik erfahren – siehe hier, hier und hier, zum Beispiel –, und es ist dringend geboten, Greenwashing, vagen Absichtserklärungen und problematischen Technologien und Kompensationsansätzen im Kontext von Netto-Null-Debatten klare Grenzen aufzuzeigen.
Zu Beginn dieser Woche wurde der mit Spannung erwartete Bericht der High-Level Expert Group (HLEG) zum Thema „Net Zero Emissions Commitments“ (also: Netto-Null-Verpflichtungen) von nicht-staatlichen Akteur*innen (also zum Beispiel Unternehmen) vorgestellt. Die Expert*innengruppe war vom UN-Generalsekretär António Guterres einberufen worden – der selbst zu den klarsten und unmissverständlichsten Stimmen gehört, die Greenwashing, den Wahnsinn des fossilen Normalzustands und die existenzielle Bedrohung durch die Klimakrise auf der internationalen Bühne anprangern. Die High-Level Expert Group hat die letzten 7 Monate an ihren Empfehlungen gearbeitet, wie bei den Net-Zero-Plänen und -Zielen etwa von Unternehmen Greenwashing vermieden werden kann und wie diese Ziele dazu dienen können, schnelle, umfassende und reale Emissionsreduktionen herbeizuführen.
Der Bericht wurde am Dienstag 8.11 in einem Event bei der COP27 vorgestellt, die Präsentation und anschließende Diskussion kann hier angeschaut werden.
Nun fallen UN-Berichte und -Empfehlungen mal mehr und mal weniger klar und konsequent aus – klar, auch sie sind oft Ergebnis von Verhandlungen und Interessensausgleichen von Regierungen. Der HLEG-Bericht fällt, in der Bilanz, positiver – also stärker und stringenter – aus als manche befürchtet hatten.
Welche Einschätzungen und Empfehlungen gibt jetzt also der Bericht der HLEG, und wie sind diese zu bewerten?
- Keine Expansion von Fossilen (Öl, Gas & Kohle): Netto-Null bedeutet – und das haben die Vorsitzende des Expert*innengremiums und der UN-Generalsekretär in der Vorstellung des Berichts auch noch einmal betont –, dass es keine neue fossile Infrastruktur geben kann, inklusive „new supplies of natural gas and LNG exports“. Das ist also auch eine klare Absage an die aktuellen Pläne einiger europäischer und afrikanischer Regierungen, die fossile Gas-Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent auszubauen – natürlich genauso wenig wie irgendwo anders.
- Entwaldung und Ökosysteme: Netto-Null muss auch ein Ende der Entwaldung und des Verlusts von Mooren bis 2025 bedeuten, so der Bericht. Der Verlust von anderen Ökosystemen durch wirtschaftliche Aktivitäten in den Lieferketten bis 2030.
- Kein „temperature overshoot“: Netto-Null muss an einen 1,5-Grad-Pfad ohne oder mit sehr geringem „Overshoot“ gekoppelt sein (das ist eine Kategorie von Emissionsredukionspfaden aus den jüngsten IPCC-Berichten). Dass der HLEG-Bericht dieses Kriterium prominent setzt, ist absolut zentral, da viele der Netto-Null-Vorhaben implizit auf einen gefährlichen „temperature overshoot“ setzen – also darauf, die 1,5 Grad zu überschreiten und die Temperatur dann zum Ende des Jahrhunderts unter Einsatz von großtechnologischem Carbon Dioxide Removal wieder zu senken. (Der IPCC sagt hierzu aber ganz klar, dass das ein „point of no return“ sein könnte, also die Möglichkeit, dass sich das Klima wieder so „zurückdrehen“ lässt, ganz klar in Frage stellt)
- CCS und andere Schlupflöcher: Es gibt im Bericht auch keine Schlupflöcher für die fossile Energie und Industrie, die gerne mit dem Wort „abated“ reinverhandelt werden (so etwa im IPCC): „abated“ meint in aller Regel den Zusatz von Carbon Capture & Storage (CCS)-Technologien, die so die fossilen Energien angeblich „CO2-neutral“ oder „CO2-arm“ machen. Dass dieses Schlupfloch nicht auftaucht, ist ebenso total wichtig – CCS ist nämlich geprägt von einer Geschichte des Scheiterns und ist einer der Technofix-Notnägel, mit denen die fossile Industrie hofft, weitermachen zu können.
- drastische Emissionsreduktionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Priorität müssen schnelle und umfassende Emissionsreduktionen sein, und zwar über die gesamte Lieferkette, inklusive den sogenannten Scope-3-Emissionen (also Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens, nicht nur das, vor Ort in Produktionsanlagen und ähnlichem an Emissionen anfällt)
- es muss in den Net-Zero-Plänen kurz-, mittel- und langfristige Ziele mit absoluten Emissionsreduktionen geben (inklusive für 2025, 2030 und 2035), auf der Grundlage von soliden 1,5-Grad-Pfaden und Methodologien. Über die Zielerreichung muss öffentlich und transparent berichtet und sie müssen von unabhängigen Dritten verifiziert werden. Investionen und andere Unternehmensentscheidungen müssen an diesen Pfad angepasst werden.
- Just Transition: Netto-Null-Pläne müssen eine Just Transition gemeinsam mit Beschäftigten, Gewerkschaften, Communities und Lieferant*innen einlösen und dabei Ungleichheit und Ungerechtigkeit angehen. Auch die sozialen Auswirkungen müssen einbezogen werden, darunter in Bezug auf race, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit.
- CO2-Zertifikate und CO2-Märkte: Netto-Null-Pläne brauchen klare Zwischenziele, und CO2-Zertifikate aus Kohlenstoffmärkten dürfen nicht auf die Zwischenziele angerechnet werden. Das ist insofern sehr wichtig, als dass es vor allem um die nächsten Jahre und Jahrzehnte geht, in denen die Emissionen drastisch und überall sinken müssen. Allerdings lässt der Bericht durchaus die Tür offen für CO2-Zertifikate aus den freiwilligen CO2-Märkten zu späteren Zeitpunken, was eine klare Schwachstelle des Berichts und seiner Empfehlungen ist. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese freiwilligen Offset-Märkte zu keiner tatsächlichen Reduktion von Emissionen führen, und dass sie oftmals auch mit negativen Auswirkungen auf Communities und Ökosysteme einhergehen (darunter Privatisierung, land grabbing usw.).
- Lobbyismus: Unternehmen mit Net-Zero-Plänen dürfen nicht gegen Klimaziele und Klimaambition lobbyieren, auch nicht über Wirtschaftsverbände, denen sie angehören.
Die Empfehlungen von diesem High Level Expert Gremium unter dem UN-Generalsekretär sind als solche erst einmal nicht bindend, und trotzdem ein sehr wichtiger richtungsweisender Schritt auf UN-Ebene. Sie müssen jetzt von den entsprechenden nationalen und supranationalen Ebenen (also bspw. EU-Ebene) umgesetzt werden. Für die EU bedeutet das, dass sie Unternehmen auch bezüglich ihrer Verantwortung für den Klimawandel in die Pflicht nehmen muss. Gerade das wird auf EU-Ebene momentan heiß debattiert. Das EU-Lieferkettengesetz darf nicht alleine unverbindliche Transitionspläne von den Unternehmen fordern. Sie muss eine richtige Klimasorgfaltspflicht festschreiben und darauf achten, dass ihre Unternehmen reale Emissionsreduktionen vornehmen.
Bereits jetzt hat der Bericht dieses Gremiums eine hohe autoritative Kraft – und kann sich in jedem Fall zu einem starken Instrument entwickeln, Greenwashing und problematische Scheinlösungen aufzudecken und zu kritisieren, wenn Unternehmen und andere Akteur*innen ihre Untätigkeit hinter fadenscheinigen Netto-Null-Plänen verstecken wollen.
Vorstellung und Diskussion des Berichts: https://unfccc.int/event/hleg-report-launch
Website des Berichts: https://www.un.org/en/climatechange/high-level-expert-group