Lesetipp: Joschka Fischer über das Megaprojekt Klimawandel und schwarze Schwäne

Sehr lesenswert ist die Außenansicht von Ex-Außenminister Joschka Fischer in der Süddeutschen vom 11.5.09:

„Wer an einem See sitzt und das Wasser betrachtet, der rechnet womöglich mit vielem, aber sicher nicht mit dem Vorbeiziehen eines schwarzen Schwans. So verhält es sich auch mit der aktuellen Krise: Wenn der schwarze Schwan das Symbol für das völlig Unerwartete ist, für das Unmögliche, das aber dann doch eintrifft und das Weltbild oder gar die Welt auf den Kopf stellt – dann wird es in diesem Jahr reichlich Anlässe geben, schwarzer Schwäne zu gedenken und sich auf die Ankunft weiterer vorzubereiten.“

Solche schwarzen Schwäne waren für Fischer beispielsweise das Ende des Ostblocks und die aktuelle Weltwirtschaftskrise…

„Und während eine verstörte Welt noch versucht, die Konsequenzen dieses globalen Absturzes zu verstehen und dessen Folgen zu begrenzen, sind bereits die Schreie des nächsten schwarzen Schwanes zu vernehmen, der sich nähert – denn um nichts anderes handelt es sich bei der Weltklimakrise.“

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„Es gehört wohl zum menschlichen Wesen, die Möglichkeiten großer Krisen zu verdrängen oder wenigstens zu verharmlosen. „Kann nicht sein“ oder „Wird schon nicht so schlimm werden“, so lauten jene beiden magischen Formeln, auf die wir uns in solchen Fällen zu verlassen pflegen.“

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„Dabei kann den nächsten schwarzen Schwan bereits heute jeder sehen! Aber der Mensch ignoriert ihn, mag nicht glauben, dass sich auch dieser Schwan wirklich nähert. Obwohl die heute lebenden Generationen innerhalb von zwanzig Jahren mit zwei völlig unerwarteten Jahrhundertkrisen konfrontiert wurden, erlaubt sich die Menschheit, die bereits absehbare und in ihren Folgen noch weitaus schlimmere Klimakrise kollektiv zu verdrängen.“

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„Es ist selbstverständlich, dass die Weltgemeinschaft heute ein anderes wirtschaftliches Megaprojekt braucht als Krieg. Sie sollte auf den Kampf gegen die Klimakrise setzen, denn die Globalisierung wird weitergehen – die Gefahr einer Überlastung des Weltklimas wird daher sehr schnell real werden.“

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„Ein wirksamer Kampf gegen die Klimakrise setzt daher nichts Geringeres als eine grüne Revolution der Weltwirtschaft voraus. Dies muss das Megaprojekt des 21. Jahrhunderts sein.

Dabei wird es nicht nur, aber auch um sehr viel Geld gehen – denn wer bezahlt die notwendigen Investitionen in den Schwellenländern? Dies werden nur die reichen Industrieländer in Europa, Amerika und Japan leisten können. Es wird aber auch um Gesetze und Standards gehen, also um Ordnungspolitik und um neue Technologien, um neue Produkte und Märkte – mit anderen Worten: um neue ökonomische Chancen.

Im Dezember wird in Kopenhagen ein neues Klimaprotokoll verhandelt, welches das Kyoto-Protokoll ablösen soll. Dies ist gewissermaßen die letzte Chance, die Ankunft des nächsten schwarzen Schwans zu verhindern. Allerdings gilt es zu begreifen, dass Kopenhagen auch die große Chance zum Neustart der Weltwirtschaft darstellt.

In der Gruppe der G 20 sind alle relevanten Mächte des 21. Jahrhunderts versammelt. Die Klimakonferenz von Kopenhagen wäre daher einer Konferenz der Staats- und Regierungschefs wert, in der sie diesmal aber, anders als bei dem Gipfeltreffen vor wenigen Wochen in London, Nägel mit Köpfen machen sollten – für den Klimaschutz und damit für den Beginn des Megaprojekts des 21. Jahrhunderts.“