Steigende CO2-Emissionen: Merkels ambivalente Energiewende-Politik

von Dorothee Landgrebe

Man reibt sich die Augen: Wir stemmen zurzeit eines der größten ökologischen Umbauprojekte der Welt – die Energiewende – und das Resultat ist: Steigende CO2-Emissionen im Stromsektor.

Wir haben in Deutschland noch nie so viel erneuerbaren Strom produziert (fast 25 Prozent am Strommix) und dennoch sind 2013  in Deutschland die CO2-Emissionen im Stromsektor um ca. 2,6  Prozent gestiegen. Schuld ist die Braun- und die Steinkohle: Trotz der milliardenschweren Förderung erneuerbarer Energien ist die klimaschädliche Stromproduktion aus Braunkohle 2013 in Deutschland auf den höchsten Wert seit 1990 geklettert. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor. Auch die Stromproduktion in Steinkohlekraftwerken stieg um 8 Milliarden auf mehr als 124 Milliarden Kilowattstunden, während die Stromproduktion in Gaskraftwerken um 10 auf 66 Milliarden Kilowattstunden zurückging.

Wohin mit dem ganzen Kohlestrom? Er kompensiert vor allem den Wegfall von acht Atomkraftwerken, während sich CO2-ärmere, aber im Betrieb teurere Gaskraftwerke derzeit kaum rechnen. Zum anderen wird der Kohlestrom exportiert und verdrängt dort ebenfalls – wie in den Niederlanden- die Gaskraftwerke. Noch nie haben wir in Deutschland so viel Strom exportiert wie 2013. Es ist also nicht – wie oft im Ausland behauptet-  der erneuerbare Strom, der die Netzstabilität unserer Nachbarn gefährdet und die Preise kaputt macht, es ist der billige Kohlestrom aus Deutschland.

Der Grund für das Paradox ist die Ambivalenz der bisherigen Bundesregierung:

Es genügt eben nicht, Erneuerbare Energien zu fördern und ihnen den Vorrang einzuräumen. Solange noch 75 % des Stroms fossil erzeugt wird, darf das geltende Preis- und Marktsystem nicht den klimaschädlichsten Strom bevorzugen. Das ist aber der Fall: Der Preis am Strommarkt richtet sich nach den Brennstoffkosten: Die sind bei der Kohle zurzeit konkurrenzlos günstig, weil der Gasboom in USA die amerikanische Nachfrage nach Kohle und somit den Kohlerpreis senkt. Da Gas nur auf regionalen Märkten gehandelt wird, profitieren die Gaskraftwerke von dem amerikanischen Gas-Boom nicht und haben somit das Nachsehen.  Für die Kohlekraftwerke lohnt es sich also zurzeit, ihre Anlagen ununterbrochen laufen zu lassen und ihre Überschüsse ans Ausland zu verkaufen.  Befeuert wird das von einem Kohleboom in Deutschland: 2012 sind neue Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 2743 Megawatt hinzugekommen, während alte Blöcke mit einer Leistung von 1321 Megawatt vom Netz gingen. Auch 2014 werden neue Blöcke in nicht unerheblicher Zahl ans Netz gehen.

Diese Marktpreise werden auch nicht – wie eigentlich vorgesehen- durch den Emissionshandel korrigiert, der den C02 Ausstoß eigentlich so hoch bepreisen sollte, dass die klimagünstigeren Gaskraftwerke billiger produzieren könnten als die klimaschädlichen Kohlekraftwerke. Bei einem CO2-Preis von ca. 5 Euro pro Tonne geht die Steuerungswirkung gegen Null, notwendig wäre ein Preis von ca. 50 Euro.

Dafür muss zum einen die Menge an Emissionsrechten stark reduziert werden, um den CO2-Preis zu erhöhen. Zum anderen bedarf es einer ambitionierten Reform des Emissionshandelsdesigns, um Schlupflöcher zu schließen. Die alte Bundesregierung hat dies erfolgreich verhindert, die neue lässt sich in ihrem Koalitionsvertrag gerade mal auf ein weiteres „Backloading“ ein (Reduzierung der Mengen) – auf eine strukturelle Reform, die die Gründe für den zu niedrigen Preis angehen würde, wird verzichtet.

Ein hoher CO2-Preis würde zudem das korrigieren, was auch die Bundesregierung für ein Problem hält: die zu niedrigen Strompreise an der Börse, die den Bau von flexiblen Gaskraftwerken unrentabel machen. Diese werden aber dringend als Reservekraftwerke in einem erneuerbaren Strommix gebraucht. Die CO2-Bepreisung würde die Reihenfolge der konventionellen Kraftwerke, die zusätzlich zu den Erneuerbaren die Nachfrage befriedigen, umdrehen: Zuerst würden die klimafreundlichen Gas- , dann die Steinkohle- und dann Braunkohlekraftwerke zugeschaltet.  Insgesamt würde das Preisniveau an der Börse sich wieder erhöhen.

Stattdessen wird als Lösungen für den niedrigen Strommarkt ein neues Instrument vorgeschlagen: Kapazitätsmärkte, die Vergütungen für konventionelle Kraftwerke vorsehen – natürlich nach Wunsch von den konventionellen Betreibern unabhängig von der Klimafreundlichkeit der Erzeugung. Der große Unterschied ist: Bei umfassenden Kapazitätsmärkten kriegen konventionelle Erzeuger Geld, beim Emissionshandel würden sie mehr zahlen oder in klimafreundliche Technologien investieren müssen.

Das Paradox zeigt, dass nicht beides geht: Man kriegt keine Energiewende, die ihren Namen verdient und kann gleichzeitig Kohlekraftwerke in Deutschland erhalten. Denn der Hauptgrund für die Energiewende war der Klimaschutz: Und der ist mit Kohle nicht zu haben.


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