Von Silvia Brugger, Klima- und Energiereferentin, Heinrich-Böll-Stiftung Europäische Union
Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Vorstellungen für ein internationales Klimaabkommen in Paris präsentiert. Voraussichtlich werden die Mitgliedstaaten am 6. März einen Beschluss zum Angebot der EU fassen. Mit einem rechtlich verbindlichen Protokoll soll das 2-Grad-Ziel erreicht werden. Sobald so viele Staaten das Abkommen ratifiziert haben, damit 80% der globalen Emissionen abgedeckt sind, soll es in Kraft treten.
Die Kommission strebt eine globale Emissionsminderung von 60% bis 2050 im Vergleich zu 2010 an, was sich im Rahmen des vom Weltklimarat berechneten Szenarios für eine 2-Grad-Welt bewegt. Die bis zum Gipfel in Paris erwarteten Klimaziele werden allerdings erwartungsgemäß nicht ausreichen, um einen Entwicklungspfad für eine 2-Grad-Welt bewältigen zu können. Die EU schlägt daher einen Revisionsprozess vor, wobei die UN alle fünf Jahre die Fortschritte bewerten soll.
Vor diesem Hintergrund kursieren Vorschläge zur Einrichtung von sogenannten Klimapartnerschaften zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, wobei Skepsis angebracht ist, inwieweit ein derartiger Aufkauf von CO2-Kontingenten aus dem Süden durch den Norden tatsächlich ein Bestandteil des Pariser Abkommens sein sollte und welche Risiken dies für die Integrität der Klimaziele mit sich bringt.
Das Angebot der EU (im UN-Sprech: INDC für „intendend nationally determined contribution“) basiert auf dem vor wenigen Monaten nach langem Ringen vereinbarten Emissionsminderungsziel von mindestens 40% bis zum Jahr 2030, im Vergleich zu 1990. Wie üblich in der europäischen Entscheidungsfindung stellt diese Zielmarke ein Kompromiss zwischen den zum Teil konträren Vorstellungen der EU-Mitgliedsstaaten für die europäische Klima- und Energiezukunft dar.
Bis darauf, dass die EU sich rühmen darf, als erste Verhandlungspartei ein Angebot vorgelegt zu haben, ist fraglich, inwieweit man dem Klima- und Energiekommissar Cañete zustimmen kann, dass die EU damit den Weg zu einem ambitionierten Abkommen Ende des Jahres bereitet hat.
Gefahr einer Verwässerung des EU-Klimaziels
Zunächst einmal reicht das 2030-Ziel der EU nicht aus, um einen fairen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten, weshalb es auch nicht überrascht, dass die Kommission in ihren Ausführungen auf Erläuterungen rund um die Fairness des EU-Angebots weitgehend verzichtet. Die Zielmarke von 40% bis 2030 basiert auf einem Dekarbonisierungsszenario von 80% bis 2050 und befindet sich damit am unteren Ende des vom Weltklimarat als fair erachteten langfristigen Ziels von 80-95% bis zur Jahrhundertmitte.
Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, Emissionen aus Wald-, Land- und Bodennutzung, die unter der Abkürzung LULUCF zusammengefasst werden, in das 40%-Ziel aufzunehmen. Aus gutem Grund wurde hierauf im aktuellen Klimarahmen bis 2020 verzichtet, zumal dies aufgrund von Unwägbarkeiten bei der Messung und Berechnung von Emissionen aus dem LULUCF-Sektor die Integrität des EU-Klimaziels abschwächen und Anstrengungen in anderen Bereichen wie etwa im Transportsektor vermindern könnte. Es ist daher zu hoffen, dass die EU ihr 2030-Ziel durch die Aufnahme des LULUCF-Sektors nicht verwässert und vielmehr Klarheit und Vertrauen schafft. So setzt sich auch der britische Energie- und Klimaminister dafür ein, dass der Sektor vielmehr das 40%-Ziel ergänzen soll, um die Glaubwürdigkeit der EU-Vorreiterrolle nicht weiter zu bedrohen.
Andere Länder orientieren sich an EU-Vorlage
Dies ist besonders prägnant, vor dem Hintergrund, dass die EU mit ihrem Verhandlungsangebot einen Präzedenzfall schafft. Andere Länder mit großer Forstwirtschaft und Landnutzung wie etwa Brasilien und Indonesien werden genau beobachten, wie die EU mit dem kontroversen LULUCF-Sektor umgeht. Transparenz und Überprüfbarkeit der internationalen Beiträge stehen ganz hoch auf der europäischen Agenda und sollten daher umso mehr für die heimische Klimaschutzpolitik gelten. Auch sollte die EU mit ihrem Angebot nicht die Chance zu verpassen, um einen hohen Standard für den diesjährigen Verhandlungsmarathon zu setzen.
Wichtig wird in diesem Zusammenhang sein, inwieweit eine Anhebung des 40%-Ziels verfolgt wird, politisch gestützt durch das Wörtchen „mindestens“. Das 2030-Klimaziel umfasst nur Emissionen innerhalb der EU. Entsprechend hält sich die EU eine Anhebung des Ziels über eine Teilnahme am internationalen Kohlenstoffhandel offen, wobei allerdings Schlupflöcher und Rechentricks zu vermeiden wären.
Darüber hinaus könnte die EU etwa durch ein Klimaziel bis zum Jahr 2025 das Ambitionsniveau in einem Revisionsprozess anheben und sollte die Reform des Emissionshandelsystems dringend vorantreiben. Der vom Europäischen Parlament anvisierte Startpunkt für die sogenannte Marktstabilitätsreserve, die mehr Preisstabilität schaffen soll, ist zu spät. Auch sollten zurückgehaltene Emissionszertifikate dauerhaft dem Markt entzogen werden.
EU will nicht mehr „lonely rider“ sein und verlässt sich auf andere
Dabei ist fraglich, ob der politische Wille für weitere Zugeständnisse generiert werden kann. Der Klimagipfel in Paris steht nicht besonders hoch auf der politischen Agenda der europäischen Staats- und Regierungschefs, deren Aufmerksamkeit vielmehr auf anderen Themen wie Terrorismus, Ukraine-Krise und Griechenland-Rettung liegt. Hinzu kommt die Auffassung, wonach die EU bereits genug geleistet habe und es nun Zeit sei, dass andere Staaten die globale Klimaagenda vorantreiben sollen.
Entsprechend fordert die EU die Industrie- und Schwellenländer der G20 und insbesondere die Rekordemittenten USA und China auf, einen wirkungsvollen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die EU darf sich aber nicht auf die G2-Dynamik verlassen und sollte vielmehr proaktiv Allianzen mit Partnern weltweit vorantreiben.
Klimadiplomatie muss auf Bedürfnisse der Partner eingehen
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus positiv zu bewerten, dass die EU endlich ihr weitreichendes diplomatisches Netzwerk nutzen will und einen Aktionsplan für Klimadiplomatie auf den Weg gebracht hat. Die neue EU-Außenbeaufragte Mogherini scheint diese Agenda zusammen mit ihrem Kollegen Cañete voranzutreiben. Den hehren Worten müssen nun aber Taten folgen. Auch kann eine derartige diplomatische Strategie nur dann von Erfolg gekrönt werden und zur Vertrauensbildung beitragen, wenn diese durch die entprechende Substanz unterfüttert wird.
An dieser Stelle weist die Strategie der EU bedauernswerterweise eine große Lücke auf. Der Beitrag in Form der INDC beschränkt sich auf Emissionsminderung und lässt Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel außen vor. Auch spricht die Kommission davon, dass es für Zusagen für Klimafinanzierung für das nächste Jahrzehnt noch „zu früh“ sei. Gerade Klimafinanzierung und Anpassung stehen aber auf der Prioritätenliste der „natürlichen Partner“ der EU für ein erfolgreiches Klimaabkommen, wie etwa Inselstaaten sowie afrikanische und lateinamerikanische Staaten, ganz oben.
Und zu allem Überdruss kommt der Begriff „Loss & Damage“ in dem 16-seitigen Dokument kein einziges Mal vor, obwohl dies ausdrücklich eine Priorität vieler Staaten ist, die angesichts des Trippelschritts der internationalen Staatengemeinschaft auf dem Weg zur Eindämmung des Klimawandels verstärkt auf Zusagen pochen, wie mit den nicht mehr vermeidbaren Schäden und Verlusten umzugehen ist. Dies muss eine Enttäuschung für die potentiellen Partner der EU sein. Es wird zu hoffen sein, dass sich die EU verstärkt für derartige vertrauensbildende Maßnahmen für eine erfolgreiche Klimadiplomatie einsetzt.
Klimaschutz sollte Kern der Energieunion sein und damit EU-Vorreiterrolle wiederbeleben
Die Glaubwürdigkeit der EU auf dem internationalen Verhandlungsparkett wird direkt davon abhängen, inwieweit sie ihre ebenfalls am Mittwoch präsentierte Vision einer Energieunion auf das Ziel einer Dekarbonisierung des europäischen Energiesystems ausrichtet. Anstelle einer Einkaufsgemeinschaft für fossile Rohstoffe und der Nutzung aller heimischen Energiequellen ohne Rücksicht auf deren Risiken sollte der vermeintliche Gegensatz von Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz aufgehoben werden.
Eine Energieunion, die auf eine Transformation des europäischen Energiesystems hin zu 100% Erneuerbaren und Energieeffizienz setzt, könnte der europäischen Vorreiterrolle im Klimaschutz neuen Aufwind verschaffen. Dazu bedarf es allerdings der Unterstützung der Mitgliedsstaaten. Nicht zuletzt durch den Vorsitz des diesjährigen G7-Gipfels kommt dabei der vormaligen „Klimakanzlerin“ Merkel eine zentrale Rolle zu. So sollte Merkel im Kreise ihrer Kolleginnen und Kollegen in der EU ein deutliches Zeichen setzen, dass die Energieunion eine europäische Energiewende vorantreiben und mit Blick auf den Klimagipfel in Paris auch entsprechende internationale Prozesse anstoßen sollte.
Das von der Kommission präsentierte Angebot darf nicht das letzte Wort sein. Es ist nun an den Mitgliedsstaaten, um sich auf die einstige Vorreiterrolle der EU zu besinnen, um doch noch „Klassenbester“ werden zu können.