Der Tagesspiegel ist sich nicht zu schade, einmal mehr die alte Medienmasche zu reiten: Finde jemanden, der den Klimawandel leugnet oder ihn für unwichtig erklärt, und gib ihm reichlich Platz in Deinen Spalten.
Das ist News, weil es der Mehrheitsmeinung widerspricht, dass wir jetzt rasch gegen die Klimakrise handeln müssen. Und es ist bequem, weil man lieber die Botschaft hört, dass doch alles beim Alten bleiben kann, anstatt der „unbequemen Wahrheit“ von Al Gore zu lauschen. Also eine „bequeme News“, altbekannt und doch immer wieder gern reproduziert. Und doch so gefährlich wie ein Schlaflied für den Lenker eines Lastwagenfahrers, der nachts auf einen Abgrund zurast und dem schon die Augenlider zugefallen sind.
Der Tagesspiegel bringt ein Interview mit Björn Lomborg, langjährigen Beobachtern der Umweltdebatte bekannt als Autor des „sceptical environmentalist“, des „Copenhagen Consensus“ und weiterer Werke. Lomborg variiert hierin immer die gleichen drei Melodien: (1) Es ist alles nicht so schlimm mit dem Klimawandel (2) wir haben andere Prioritäten und (3) lasst uns warten, später wird der technische Fortschritt alle Probleme lösen.
Lomborgs Melodie (1) lässt sich mit vielerlei sachlichen Fehlern auseinandernehmen. Der dänische Biologe Kare Fog betreibt eine eigene Website „Lomborg Errors„. Er fand in Lomborgs Buch „The sceptical environmentalist“ 110 ausgesprochene Fehler (errors) und 208 Mängel (flaws). Von Lomborgs neuen Buch „Cool it“ hat er bisher nur ein Drittel untersucht und schon 23 Fehler und 59 Mängel gefunden.
Eine Auseinandersetzung mit einigen zentralen Argumenten von Lomborgs Buch „Cool it“ liefert auch der Blog „Climate Progress in drei Teilen: (I) Eisbären (II) Meeresspiegel und (III) Hitze und Dürre. Ich muss hier um Entschuldigung bitten, dass ich Sie auf englischsprachige Quellen verweise – aber meine Zeit ist sehr knapp und die Auseinandersetzung mit Lomborg stiehlt einem die Zeit für Wichtigeres.
Lomborgs Melodie (2) ist eine perfide Argumentation: Er stellt einen vor die Wahl, den Kampf gegen den Klimawandel gegen andere Herausforderungen wie die Bekämpfung von Aids oder Malaria abzuwägen. Mit dem Motto, man müsse ja Prioritäten setzen.
Das ist natürlich in mehrfacher Hinsicht perfide: Erstens stellt er einen vor die falsche Wahl: Es werden die Ausgaben für Klimapolitik nicht alternativ z.B. zu denen für Tierfutter, Computerspielen oder Klatschzeitschriften gesetzt, sondern alternativ zu einigen der wichtigsten und edelsten Aufgaben der Menschheit. Unser „Greenhouse Development Rights“ Konzept gibt darauf die richtige Antwort: Wir müssen den Klimawandel solidarisch bewältigen und dürfen gerade nicht den Armen die Klimaschutzlasten aufbürden, die sie nicht zu verantworten haben. Deswegen müssen die Lasten des Klimaschutzes von denen getragen werden, die leistungsfähig genug sind.
Zweitens setzt Lomborg Probleme auf ganz unterschiedliche Zeitskalen miteinander in Konkurrenz: Unmittelbare wie gravierende Krankheiten und mittel- und langfristige wie den Klimawandel. So nach dem Motto: Sie müssen wählen, ob Sie atmen, trinken oder essen. Klar, dass Sie atmen wählen. Aber wenn Sie nicht essen, sind Sie zwar nicht sofort, aber nach ein paar Wochen auch tot. Daher ist doch klar, dass wir auch die Malaria bekämpfen müssen UND den Klimawandel, beides und nicht alternativ.
Lomborgs dritte Melodie „wartet noch ein bisschen, der technische Fortschritt macht später Klimaschutz ganz billig“ ist schliesslich vollends verantwortungslos. Denn technischer Fortschritt kommt nicht von alleine, er kommt als Ergebnis einer gesellschaftlichen Nachfrage. Wir hätten heute nicht die Windturbinen von 6 Megawatt Leistung, wenn es nicht in Ländern wie Deutschland, Dänemark und Spanien eine vorausschauende Politik gegeben hätte, die systematisch die erneuerbaren Energien gefördert hätte.
Ja, wir dürfen auf technischen Fortschritt hoffen, der uns die große Aufgabe der raschen Reduktion der Treibhausgase erleichtern wird, ohne dass wir auf ein gutes Leben verzichten müssen. Doch wird es diesen Fortschritt geben als Ergebnis einer ambitionierten Klimapolitik, nicht indem wir abwarten. Und nur wenn wir jetzt auf die Bremse treten, in den nächsten 10 Jahren das Maximum der globalen Ermissionen erreichen und dann rasch reduzieren, haben wir noch eine Chance die gravierendsten Klimaschäden zu vermeiden.
Wacht auf! Lauscht nicht den bequemen Sirenenklängen von Lomborgs Schlafliedern.