„Vor der Flut“ überschreibt der EU Aussenbeauftrage Javier Solana seinen Blogbeitrag im britischen Guardian (deutsche Version in der FAZ, €). Anlass ist der Bericht, den er und die EU Kommissarin für Aussenbeziehungen Benita Ferrero-Waldner dem Rat der EU für sein Frühjahrstreffen am 13. und 14. März vorgelegt haben. Er hat es in sich: „Climate change and international security“ steht auf dem Titel.
Ein paar Auszüge (siehe auch die AP-Meldung auf Deutsch):
„Ungebremster Klimawandel jenseits 2 C Grad (globaler Erwärmung, JH) wird zu bisher nie dagewesenen Sicherheitsszenarien führen, da er wahrscheinlich eine Reihe von Kipp-Punkten auslösen wird, die weiter beschleunigte, irreversible und weitgehend unvorhersehbare Klimaänderungen hervorrufen“.
Der Bericht identifiziert sieben Bedrohungen, die durch den Klimawandel hervorgerufen bzw. verstärkt werden:
1) Ressourcenkonflikte durch die Verringerung des fruchtbaren Landes, Wasserknappheit, geschmälerte Nahrungsvorräte und Fischbestände.
2) Wirtschaftliche Schäden und Risiken für Küstenstädte und Infrastruktur wie Häfen und Ölraffinerien
3) Verlust von Territorien und Grenzkonflikte, u.a. durch den Untergang von Küstenzonen und das Auftauen von bisher im Eis verborgenen polaren Regionien.
4) Migration durch Umweltschäden: „Europa muss sich auch substantiell verstärkten Migrationsdruck einstellen“.
5) Instabilität und Radikalisierung, failing states.
6) Spannungen hinsicht der Energieversorgung, inkl. Proliferationsrisiken bei verstärkter Nutzung von Atomenergie.
7) Gefährdung des internationalen Systems: „Das multilaterale System ist gefährdet wenn die internationale Gemeinschaft die obengenannten Bedrohungen nicht angeht. Die Auswirkungen des Klimawandels werden Ressentiments befördern zwischen denjenigen die am meisten für den Klimawandel verantwortlich sind und denjenigen, die am meisten davon betroffen sind.“
Inhaltlich ist es wenig neues für denjenigen, der sich intensiv mit Klimawandel befasst hat und das ganze Ausmaß der Klimakrise kennt. Bedeutsam ist allerdings, wer diese Aussagen trifft und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Hier bleibt der Bericht aber seltsam vage und unscharf.
Solana und Ferrero-Waldner betonen hier einerseits die Bedeutung der internationalen Klimaverhandlungen und einer EU-Führungsrolle in ihnen. „Intensivierung des politischen Dialogs mit Drittländern„, „Ein Post-2012 Abkommen muss bis Ende 2009 entwickelt werden und alle Hebel der EU-Aussenbeziehungen müssen zu diesem Ziel beitragen.“ Ein wenig zu selbstgefällig angesichts der unzureichenden eigenen Erfolge im Klimaschutz schreiben sie der EU zu, dass sie „leadership“ demonstriert habe, sowohl hinsichtlich der internationalen Klimapolitik als auch der weitreichenden Entscheidungen hinsichtlich der internen EU Klima- und Energiepolitiken.
Besondere Beachtung müsse den Beziehungen zu den USA, China, Indien und Russland zustehen. Die EU Sicherheitsstrategie solle in ihrer geplanten Ergänzung die Sicherheitsdimension des Klimawandels berücksichtigen (was immer das nun heisst).
Die eigenen Fähigkeiten der EU für Analyse, Monitoring und Frühwarnung müsten gestärkt werden, ebenso wie der Zivilschutz und die Nutzung von zivilen und militärischen Instrumenten zum Krisenmanagement und zum Katastrophenschutz.
Aber auch verstärkte internationale Zusammenarbeit in der Erkennung der Sicherheitsrisiken durch den Klimawandel und in ihrer Vorbeugung bzw. den Fähigkeiten zur Antwort wird gefordert. Gemeinsame Sicherheitsszenarien für unterschiedliche Ausmaße an Klimawandel und ihren Auswirkungen auf die internationale Sicherheit seien zu entwickeln. Und schliesslich heisst es, umweltbedingten zusätzlichen Migrationsstress bei der Weiterentwicklung einer umfassenden europäischen Migrationspolitik zu berücksichtigen. Auch das bleibt reichlich kryptisch und kann so ziemlich alles bedeuten, von der Verstärkung der Instrumentarien der Abschottung bis zur besseren Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge.
Der Bericht fügt sich ein in eine Flut von Publikationen zum Thema Klimawandel und internationale Sicherheit, die unten aufgeführt werden. Besonders empfehlenswert ist im europäischen Rahmen sicher das Gutachten des WBGU.
Wie ist diese Debatte zu bewerten, und wie kann sie sinnvoll geführt werden?
Ein entscheidendes Kriterium für jede Publikation in diesem Feld ist, inwieweit die Sicherheitsrisiken durch den Klimawandel unsere Entschlossenheit verstärken, den Klimawandel unterhalb kritischer Schwellen wie der 2-Grad-Grenze zu halten, und die notwendigen Mittel für die unvermeidlichen Anpassungsmaßnahmen aufzubringen. Hier ist jede Stimme willkommen, die dazu beitragen kann, den notwendigen politischen Willen zu mobilisieren.
Doch eine Frage ist in dieser Debatte zuerst zu stellen: Sicherheit für wen? Eine kosmopolitische, an universalen Menschenrechten orientierte Position kann nur auf eine Konzeption gemeinsamer Sicherheit beziehen. Sicherheit für alle, nicht nur für uns Wohlhabende. Sonst gleitet die Debatte über Klimawandel und Sicherheit rasch in die Vision einer „Fortress world“ ab, wie sie die Global Scenario Group schon in den späten 90er Jahren skizziert hat. Angesichts steigender Krisen schottet sich der reiche Teil der Welt ab, mauert sich ein hinter immer stärker befestigten Mauern und Zäunen, steigert ihre Militärausgaben.
In der Debatte um Klimawandel und Sicherheit lauern viele Fallstricke. Das Greenhouse Development Rights Framework bietet eine Perspektive, wie wir den Klimawandel solidarisch bewältigen und dabei die legitimen Entwicklungsaspirationen des Südens nicht vergessen.
Weiterlesen:
Pentagon Report: An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States National Security. Januar 2004
Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen: Sicherheitsrisiko Klimawandel. Gutachten für die Bundesregierung. Juni 2007
National Security and the Threat of Climate Change. Bericht von 11 pensionierten US-Generälen, CNA Corporation
The Age of Consequences: The Foreign Policy and National Security Implications of Global Climate Change. Bericht verschiedener US Experten für Aussen- und Sicherheitspolitik, darunter Ex-CIA-Chef Woolsey, November 2007
Global Warning. The Security Challenges of Global Climate Change. Center for American Progress, November 2007
An Uncertain Future: Law Enforcement, National Security and Climate Change. Oxford Research Group, Januar 2008
Towards a Grand Strategy for an Uncertain World. Renewing Transatlantic Partnership. Bericht von fünf pensionierten NATO-Generälen, der sich (allerdings nur randlich) auch mit Klimawandel befasst.
Bericht: Grüner Friedenskongress diskutiert Sicherheitsrisiko Klimawandel
Terminhinweis: Zukunftsfähige Energieaussenpolitik. Konferenz der grünen Bundestagsfraktion