Unfaire Deals zahlen sich nicht aus

von Christine Chemnitz & Jörg Haas

Das waren sie wieder, die jährlichen Sommerbemühungen um den erfolgreichen Abschluss der WTO-Verhandlungen. Aber wie schon im vorherigen Sommer in Potsdam haben es auch dieses Jahr in Genf die Handelsminister der Welt nicht geschafft, sich auf ein gemeinsames Abkommen zum internationalen Handel zu einigen. Somit konnte nun im siebten Jahr in Folge die Doha Entwicklungsrunde der WTO-Verhandlungen nicht beendet werden. Und dies, obwohl der WTO-Generalsekretär und frühere EU-Handelskommissar Pascal Lamy alle Register seines beträchtlichen verhandlungstaktischen Repertoires zog und sich die Staaten auf viele einzelne Verhandlungspunkte schon geeinigt hatten.

Mit dem Scheitern der jetzigen Verhandlungen wird deutlich, dass die Sackgasse in der sich die WTO-Verhandlungen befinden nicht so einfach wieder zu verlassen ist. Eine Sackgasse, die schon viele Jahre zuvor eingeschlagen wurde – nämlich mit dem Abschluss der Uruguay Runde.

Dabei schien die Welt der Handelsdiplomaten 1994 noch in Ordnung, konnte doch die Uruguay Runde des WTO-Vorgängers GATT zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Der Ablauf der Verhandlungen lief wie gewohnt: Zuerst einigten sich die EU und die USA 1992 im „Blair House Accord“ über die Grundzüge des Abkommens, dann wurden 1993 weitere Stolpersteine im Rahmen der „Quad“, eines Quartetts das zusätzlich zur EU und den USA noch Kanada und Japan einschloss, ausgeräumt. Schließlich unterschieben die über 120 restlichen Staaten 1994 den weitgehend fertig ausgehandelten Deal, vor allem, weil ihnen große Exportchancen im Argrarsektor in Aussicht gestellt wurden. Die WTO wurde gegründet.

2001 begann in Doha die nächste Verhandlungsrunde der WTO und seit dem scheitert Jahr für Jahr der Abschluss der Verhandlungen.

Ob das vorläufige und vielleicht definitive Scheitern der Doha Runde aus wirtschaftspolitischer, umweltpolitischer oder auch aus entwicklungspolitischer Perspektive gut oder schlecht ist, sei dahin gestellt. Doch sind aus dem WTO-Prozess wichtige Lektionen für die in Bali gestarteten Klimaverhandlungen zu ziehen, bei denen wir uns unter keinen Umständen ein Scheitern erlauben dürfen

Zwei Thesen hierzu:

1) Mit dem Scheitern der WTO-Verhandlungen haben sich die Entwicklungsländer endgültig als Machtfaktoren des internationalen Systems etabliert, die auf Augenhöhe mit den Industrieländern verhandeln.

Lagen während der Uruguay Verhandlungen und auch zu Beginn der Doha Verhandlungen die mächtigen Verhandlungspositionen noch eindeutig bei den Industrieländern, so sind die Karten im Verhandlungspoker der WTO heute neu gemischt. Inzwischen stehen die Entwicklungsländer zwar als sehr heterogene, aber selbstbewusste Gruppe den Interessen der Industrieländer gegenüber. Mit China, Indien und Brasilien haben sie starke Sprachrohre und keine Hemmungen Forderungen zu stellen, oder, wie es ja nun geschehen ist, die Verhandlungen auch platzen zu lassen.

Am deutlichsten wurde das neue Kräfteverhältnis in der letzten Woche in Genf vom indischen Handelsminister Kamal Nath verkörpert. Er nahm sich die Freiheit später als die meisten seiner Kollegen zu den Verhandlungen zu erscheinen. Durch seine klare Haltung rang er den USA und der EU Zugeständnisse ab, die vorher nicht verhandelbar erschienen und ließ dann am Ende die ganzen Verhandlungen doch scheitern.

2) Ein Verlust an Vertrauen in den Verhandlungsprozess kann auch durch nachträgliche Bemühungen nicht einfach wieder gewonnen werden.

Der untransparente Verlauf der Verhandlungen, die unfairen Regeln und die gebrochenen Versprechen der Uruguay Runde haben das Vertrauen in den WTO-Verhandlungsprozess nachhaltig gestört. Heute die Verhandlungen zu einer Einigung zu führen, die alle Parteien als ein faires und für sie lohnenswertes Ergebnis empfinden, scheint fast unmöglich.

Den Entwicklungsländern wurden mit dem Abschluss der Uruguay Runde Chancen für ihre Exportsektoren im Agrarbereich versprochen. Sowohl sollten die gutgeschützten Agrarmärkte der Industrieländer geöffnet werden als auch sollten die nationalen Stützungen im Agrarbereich abgebaut werden.

Fakt ist heute aber, dass Subventionen eher umgeschichtet anstatt abgebaut wurden, Zollsenkungen gezielt auf wenig relevante Produkte angewendet wurden und neue Disziplinen z.B. beim Patentschutz mit aller Härte gegen die Entwicklungsländer durchgesetzt wurden. Auf der anderen Seite standen die Agrarsektoren vieler Entwicklungsländer nach massiven Zollsenkungen im Zuge von Strukturanpassungsprogrammen und der Uruguay-Runde hochsubventionierten Exporten aus Industrieländern ungeschützt gegenüber.

Zurück blieb ein nachhaltig gestörtes Vertrauensverhältnis und bei den Entwicklungsländern der Eindruck, über den Tisch gezogen worden zu sein. Daher verwundert es nicht, dass die WTO Verhandlungen dieses Jahr an der Frage gescheitert sind, unter welchen Konditionen Entwicklungsländer ihre Kleinbauern vor billigen Importen schützen dürfen.

Mit dem Scheitern der WTO-Verhandlungen letzte Woche in Genf vermitteln die Entwicklungsländer eine klare Botschaft: Es reicht nicht mehr aus, die Doha Runde als „Entwicklungsrunde“ zu betiteln. Wo Entwicklung und damit Gerechtigkeit draufsteht, muss auch Gerechtigkeit drin sein – auf alles andere lassen sich die Entwicklungsländer nicht mehr ein.

Was bedeutet dies für die Klimaverhandlungen?

Auch dort stehen die Dinge nicht gut, ist das Vertrauen schon gestört. Die USA haben ihre Unterschrift unter das Kyoto-Protokoll aufgekündigt und ihre Emissionen kräftig erhöht statt reduziert – entgegen aller Verpflichtungen der auch von Ihnen ratifizierten Klimarahmenkonvention. Australien, Kanada und Japan sind weit davon entfernt, ihre Kyoto-Ziele zu erfüllen, und auch die EU gibt insgesamt kein gutes Bild ab.

Der Deal von Kyoto hieß: die Industrieländer machen es vor, wie Emissionen reduziert werden können. Dann ziehen die Entwicklungsländer später nach. Dieser Deal wurde gebrochen und zu einer Neuauflage wird es nicht kommen. Dabei wird es nicht ausreichen, wenn in Kopenhagen ein leicht verschärftes Abkommen nach dem Kyoto-Muster abgeschlossen wird, denn schon in der nächsten Phase müssen Emissionen nicht nur in den Industrieländern sondern auch in Entwicklungsländern langsamer wachsen und dann rasch reduziert werden.

Die Alternative zum phasenweisen Vorgehen ist eine faire Aufteilung der Chancen und Kosten, die ambitionierter Klimaschutz in allen Ländern mit sich bringen wird. Die Klimarahmenkonvention hat dafür die Maßstäbe bereitgelegt: Dort haben sich alle Staaten verpflichtet, das Klima zu schützen „auf der Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten“.

Mit dem in Bali von der Heinrich-Böll-Stiftung mit Partnern vorgestellten Greenhouse Development Rights Framework“ ist dieses Prinzip operationalisiert worden. Das Ergebnis: Zusätzlich zu ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen zu Hause müssen die Industrieländer die Entwicklungsländer massiv beim Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel unterstützen. Denn sie sind verantwortlich für den Klimawandel und leistungsfähig genug, um einen großen Teil zu seiner Bewältigung beizutragen.

Der Abbruch der WTO-Verhandlungen ist eine bittere Pille für die Regierungen der Industrieländer. Viele wollen die Veränderung der globalen Machtverhältnisse noch nicht wahr haben. Doch kann eine bittere Pille ja auch eine sehr wirksame Medizin sein. Ohne dass die Industrieländer begreifen, dass nur mehr Gerechtigkeit und Ausgleich zu einem tragfähigen Abschluss führen, werden auch weitere internationale Verhandlungen scheitern.

Wenn die Industrieländer die Gerechtigkeitsfrage nicht ernst nehmen, werden die Klimaverhandlungen in der gleichen Sackgasse enden wie die WTO-Verhandlungen. Nur dass es bei den Klimaverhandlungen keine sieben Jahre für fehlgeschlagene Versuche geben darf, wenn das Ziel die Erderwärmung unter der kritischen Schwelle von 2°C zu halten auch nur annähernd erreicht werden soll.

Die Alternative zu einem „fairen Deal“ ist ein schwaches oder ungerechtes Abkommen in Kopenhagen. Beides ist keine tragfähige Basis für die „große Transformation“ unserer Wirtschaftsweise. Daher muss für die weiteren Klimaverhandlungen die Lektion aus dem Scheitern der WTO Verhandlungen gezogen werden: Ein Prozess, in den frühzeitig das Vertrauen verloren gehen kann wird keine erfolgreichen Ergebnisse bringen. Dabei muss den Verhandlungsparteien klar sein, dass Gerechtigkeit nicht nur ein Thema für Moralphilosophen und Aktivisten ist, sondern eine klare realpolitische Voraussetzung für die Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen.


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