Im Schneckentempo nach Kopenhagen – Umweg Poznan

Die Stimmung hier im Konferenzzentrum im polnischen Poznan ist in etwa so trüb und eisig, wie das Winterwetter draußen. Die Erwartungen waren von vorneherein nicht groß, da es sich bei diesen Verhandlungen nur um einen Zwischenschritt auf dem Weg nach Kopenhagen handelt, wo dann in genau 12 Monaten ein neues internationales Klimaabkommen verabschiedet werden muss. Und trotzdem sind die Enttäuschung und die Wut groß. Viele Beobachter der Konferenz bezeichnen die letzten 2 Wochen als einen Rückschritt, weil sie uns gerade mal wieder dahin zurückgebracht haben, wo wir vor 12 Monaten nach Verabschiedung der Bali Road Map standen. Was ist passiert?

Mindestens zwei wichtige Gepäckstücke haben die Industrieländer vergessen, als sie ihre Koffer für Poznan gepackt haben: Konkrete Emissionsreduktionsziele, die sie innerhalb ihres Territoriums erfüllen wollen, und Vorschläge und Zusagen zur Finanzierung von Klimaschutz, nachhaltiger Entwicklung, Anpassung und Technologietransfer in Entwicklungsländern.

Während sich die Verhandlungen hier in Poznan in den letzten 12 Tagen im Schneckentempo immer einen Schritt vor und 1,5 Schritten zurückbewegt haben, hat die ganze Welt mit großer Aufmerksamkeit nach Brüssel geschaut, wo die EU das Klima- und Energiepaket in der letzten Runde verhandelt hat. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Hier ein Zitat aus der aktuellen Presseerklärung von WWF, Oxfam, Greenpeace, CAN-Europe and Friends of the Earth Europe:

„This is a dark day for European climate policy. European heads of state and government have reneged on their promises and turned their backs on global efforts to fight climate change. Angela Merkel, Silvio Berlusconi, Donald Tusk and Nicolas Sarkozy should be ashamed. They have chosen the private profits of polluting industry over the will of European citizens, the future of their children and the plight of millions of people around the world. The Parliament can and should amend the worst parts of today’s deal.“

Weitere Informationen zum EU-Beschluss gibt es (EurActiv, CAN Europe, TimeToLead).

Damit hat die EU ihren Anspruch auf eine Führungsrolle in den internationalen Klimaverhandlungen verspielt. Das schadet nicht nur der EU selber, sondern schwächt den gesamten Prozess, da unter den Industrieländern keine neuen und einflussreichen Helden in Sicht sind.

Die Welt wartet auf Obama. Und es ist sicherlich richtig, dass ein Erfüllen seiner Versprechen und Ankündigungen tatsächlich neue Voraussetzungen für das Kopenhagen-Abkommen schaffen würde. Aber die USA als lame duck darf nicht als Entschuldigung für andere gelten, die den Platz an der Spitze schon lange hätten einnehmen können.

Auch die Finanzkrise – oft als Grund für das Zögern der Industrieländer genannt – wird so zur willkommenen Ausrede, warum gerade jetzt ehrgeiziger Klimaschutz ins Hintertreffen gerät. Genau das Gegenteil sollte der Fall sein!

Überrascht hat dagegen viele eine neue Dynamik, die spätestens bei den Klimaverhandlungen letzten Juni in Bonn begonnen hat, als einigen Entwicklungsländer mit sehr konkreten und ehrgeizigen Vorschlägen aufgetreten sind. Diese haben sie inzwischen ausgebaut und erneut eingebracht. Einige Entwicklungsländer haben sich nationale Ziele gesteckt, nationale Klimaaktionspläne vorgelegt oder weitere Maßnahmen und Ziele für das kommende Jahr angekündigt. Plötzlich (oder vielleicht doch nicht so plötzlich?) übernehmen Länder wie Südafrika, Indien, Mexiko oder Brasilien die Leadership und werden zu den treibenden Kräften in den sonst so vertrackten und stockenden Verhandlungen.

Indem sie weder eigene Ziele und Vorschläge eingebracht, noch auf die Vorschläge der Entwicklungsländer reagiert haben, haben sich die Industrieländer ein Vertrauen verspielt, das der zerbrechliche Konsens von Bali hervorgebracht hat. Es wird Monate dauern, dieses Vertrauen wiederzugewinnen. Aber diese Zeit haben wir nicht. Was also kann und muss in den kommenden Monaten passieren?

Zunächst einmal muss die EU die kommenden Wochen vor den nächsten Klimaverhandlungen in Bonn Ende März dazu Nutzen, ihre Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik wiederzugewinnen und einen ausgereiften Vorschlag für Finanzierung und Technologietransfer an die Entwicklungsländer einzubringen. Wenn dann die USA ebenfalls bis Mitte des Jahres konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt hat, könnte man zumindest hoffen, dass der angestrebte erste Entwurf eines Verhandlungstextes für Kopenhagen im Juni tatsächlich eine Grundlage darstellt, um die es sich zu streiten lohnt.

In der Zwischenzeit müssen die Industrieländer dafür sorgen, dass die vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländer unmittelbar und direkt Zugang zu Finanzen für Anpassungsmaßnahmen erhalten. Denn das kann nicht bis 2013 warten, wenn der neue Deal in Kraft tritt.

Die Verhandlungen in verschiedenen Arbeitsgruppen und Untergruppen sind inzwischen so komplex, dass dort kaum eine politische Debatte zu Strategien und Visionen zu erwarten ist. Diese Aufgabe liegt bei den Staats- und Regierungschefs, die das Klimathema in 2009 ausnahmslos ganz oben auf ihre Agenda setzen und in den Verhandlungen Präsenz zeigen müssen.

Und schließlich: Die nun anstehenden Investitionen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums müssen unbedingt dazu genutzt werden, eine nachhaltige Energiewende herbeizuführen, damit wir nicht für nächsten Jahrzehnte an Technologien gebunden sind, die uns in der Klimaklemme festhalten.

Wohl gerade aufgrund der recht verhaltenen Stimmung hat einer heute alles dafür getan, die Motivation und Hoffnung aller zu stärken: Bei seinem Kurzbesuch in Poznan forderte Friedensnobelpreisträger Al Gore Capacity Building in den Industrieländern, damit diese endlich Klimaschutz wichtiger nehmen als die Beschäftigung mit den Simpsons oder mit Paris Hilton, sprach sich für eine Stabilisierung der Emissionen für 350 ppm aus und beendete seine von standing ovations begleitende Rede mit einem lauten und deutlichen „Yes we can!“

Fotos: flickr.com (World Economic Forum, Martin LaBar)