Was kann das für eine Veranstaltung sein, bei der Peter Altmeier zur Halbzeit versucht (!), sich unbemerkt durch das Atrium seines eigenes Hauses zu schleichen, nachdem er selber als Redner kurz zuvor von seiner Abteilungsleiterin vetreten worden war? Um die Energiewende ging es diesmal jedenfalls nicht. Nein, es war die Auftaktveranstaltung zm Projekt „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“.
Hierbei handelt es sich um die nationale Anwendung des internationalen TEEB-Ansatzes (TEEB steht für „The Economics of Ecosystems and Biodiversity), der bei der UNCBD in Hyderabad die Debatten dominierte und spätestens seit dem Rio+20 Gipfel als neuer Hoffnungsträger des Naturschutzes nund Allzweckwaffe der Politik dient.
Die Idee in aller Kürze: Die Wert der Natur lässt sich in Form von Ökosystemdienstleistungen darstellen, die sie für die Menschen erbringt (z.B. sauberes Wasser, Bestäubung von Blüten, Klimaschutz). Natur wird zerstört, weil diese Leistungen für die Gesellschaft keinen ökonomischen Wert besitzen. Wenn wir ihren Wert sichtbar machen (auch vielfältige und auch monetäre Weise), dann liefert uns das eine bessere Grundlage für politische und unternehmerische Entscheidungen.
Dabei gingen alle Rednerinnen und Redner des vormittags explizit und proaktiv auf den Vorwurf der Ökonomisierung und Finanzialisierung von Natur ein. Es ginge eben nicht darum, der Natur ein Preisschild umzuhängen, Monetarisierung sei nur die Spitze des Eisbergs, es ginge eben nur um zusätzliche Argumente und einen Mix aus Instrumenten.
Referenz für die TEEB-Studie ist der Stern-Report, der in ökonomischen Folgen des Nichthandelns beim Klimaschutz sichtbar machte und bezifferte und damit – so die TEBB-Community – Klimaschutz fest im Bewusstsein der Entscheidungsträger/innen und Vorstandsetagen der Konzerne verankert habe.
Die Veranstaltung im BMU war perfekt choreographiert (da kann der plötzliche Backstage Auftritt von Herrn Altmeier einfach kein Zufall sein!):
Gertrud Sahler, Abteilungsleiterin im BMU, stellte das Projekt vor und betont vor allem die Bedeutung, die das Ordnungsrecht gegenüber ökonomischen Instrumenten habe. Sie erhofft sich von TEEB z.B. eine gute Informationsbasis für die Debatte um Naturschutz vs. Klimaschutz (Beispiel: Netzausbau vs. FFH-Richtlinie). „Die Natur ist das Kapital, von dessen Zinsen wir leben.“
Der Fernsehmoderator Karsten Schwanke, selber auch Mitglied im Projektbeirat von TEEB und auf allen Flyern sichtbar, moderierte durch die Veranstaltung und befragte im zweiten Teil „Zeuginnen und Zeugen“ von Beispielprojekten, wo ökonomische Argumente Naturschutz befürworten. Mein Lieblingszeugenzitat kam dann vom Oberförster des naturnah bewirtschafteten Lübecker Stadtwalds: „Wir nutzen die Natur und sie hat’s nicht gemerkt.“ Und der Argumentation der Zweitrangigkeit von monetären Ansätzen widerspricht direkt einmal das Projekt „Moor Futures„, wo die Renaturierung von Mooren in Mecklenburg Vorpommern durch den Verkauf von Zertifikaten auf dem frewilligen Markt für Emissionsreduktionen finanziert wird.
Der Hauptvortrag kam dann von TEEB DE Projektleiter Prof. Bernd Hansjürgens vom UFZ Leipzig, der den TEEB-Ansatz noch einmal präsentierte und auch die Treiber der gegenwärtigen menschlich verursachten Zerstörung von biologischer Vielfalt aufzählte (Landnutzung, Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Verschmutzung von Ökosystemen, Einführung gebietsfremder Arten, Klimawandel). Auch ihm war es besonders wichtig, sich von rein monetären Ansätzen abzugrenzen, sich aber gleichzeitig explizit auf die Erfahrungen mit dem Stern-Bericht und dem Europäischen Emissionshandel zu beziehen. Das Argument: Bepreisung von CO2 hilft, Klimaschutz besser in politische und unternehmerische Entscheidungen zu integrieren. Auf meine Rückfrage, ob sie denn von den strukturellen Fehlern des Emissionshandels lernen wollten, antwortete er sichtlich erregt und auch leicht genervt, dass diese doch offensichtlich bekannt seien und er ja bereits gesagt habe, dass es bei Biodiversität nur in Ausnahmefällen darum gehen könne, Marktfähigkeit zu schaffen.
Schade, dass es in der abschließenden Podiumsdiskussion mit Projektbeiratsmitgliedern und Unternehmensvertreter leider keine Zeit gab, genau diese Ausnahmefälle unter die Lupe zu nehmen, die sich doch – zumindest außerhalb Deutschlands – als neuer Trend und große Gefahr entpuppen.
Die „Gretchen-Frage“ nannte Frau Sahler gleich zu beginn: „Wie intensiv dürfen wir Leistungen der Natur nutzen, ohne sie zu zerstören?“ Dass sich diese Entscheidung in Wirklichkeit nicht rein nach ökonomischen oder ökologischen Kriterien abspielt, sondern ein politischer Aushandlungsprozess in einer vermachteten und von Partikularinteressen geprägten Welt ist, darauf wies zum Glück Prof. Angelika Zahrnt hin, die ihre Rolle im Beirat darin sieht, auf die Gefahren und Risiken eines grundsätzlich zu befürwortenden Ansatzes hinzuweisen.
Einzigen Zwischenapplaus für einen Beitrag bekam übrigens die Umweltethikerin Prof. Uta Eser, die die alte Idee des ökologischen Rucksacks und die Nord-Süd-Dimension der Debatte auf die Agenda brachte, aber vor allem die Gleichung aufmachte: Wer mehr biologische Vielfalt will, muss sagen, wovon es dann weniger geben soll. Es muss auch über Suffizienz gesprochen werden. Was ist genug?