Globaler Klimavertrag, Weltbürgerbewegung – und wer stellt die Machtfrage? Kommentar zum aktuellen WBGU Sondergutachten

Pünktlich zum New Yorker Klimagipfel legte der WBGU diese Woche sein Sondergutachten „Klimaschutz als Weltbürgerbewegung“ vor. Dieses ist mal wieder sehr umfänglich (134 Seiten) und sehr umfassend und enthält eine paar verdammt wichtige und schlaue Gedanken.

Die Ausgangsanalyse allerdings ist sehr nüchtern und wenig hoffnungsvoll:

„Die bisherige Bilanz der multilateralen Prozesse im Rahmen der UNFCCC zeigt, dass ein Durchbruch im internationalen Klimaschutz mit einer Einigung der Staatengemeinschaft auf ambitionierte Dekarbonisierungsziele und eine gerechte Verteilung der Lasten noch aussteht.“

Grundsätzlich schlägt das Gutachten eine zweispurige Strategie vor: ein globales Klimaprotokoll, das ab 2020 gelten soll, und die Stärkung einer „Weltbürgerbewegung“ (wo die Bürgerinnen dabei bleiben, verraten sie nicht), um diesen globalen Prozess sowie seine nationale und lokale Umsetzung voranzutreiben.

Sehr wichtig finde ich das formulierte „Nullziel“: CO2 Emissionen aus fossilen Energieträgern sollen bis spätestens 2070 auf Null sinken. Dies soll neben der 2°C Leitplanke im Pariser Vertrag völkerrechtlich verankert werden.

Große Hoffnung auf Top-Down Ziele setzen sie aber nicht:

„Da in der UNFCCC verhandelte, international verbindliche Verpflichtungen zu Emissionsminderungen für alle Länder im Sinn eines „TopdownAnsatzes“ politisch weithin als nicht realistisch angesehen werden, sollten im Rahmen eines PledgeandReviewVerfahrens Zielsetzungen, die mit der nationalen Politik konsistent sind (pledge), von den Vertragsstaaten im Sinn eines „BottomupAnsatzes“ frei gewählt werden können.“

Das soll möglichst durch mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht (bzgl. Gerechtigkeit, Transformationsanspruch, Beteiligung usw.) wettgemacht werden.

Das ist alles sehr lobenswert. Unklar bleibt mir aber nach der Lektüre, wer oder was denn genau diese „Weltbürgerbewegung“ darstellt. Neben Desertec und Clubs von Staaten werden die Transition Town und Divestment Bewegung ebenso genannt wie die Gemeinwohlökonomie und Energiegenossenschaften. Was genau haben die denn bitte alle gemeinsam, außer, dass sie alle irgendwie mit Klima zu tun haben?

Ohne eine klare Machtanalyse der gegenwärtigen Blockaden (auf lokaler, nationaler und internationaler) Ebene und Vorschlägen zur Umverteilung dieser Macht, bleiben aus meiner Sicht viele der gut gemeinten Empfehlungen des WBGU nichts als leere Hoffnungen. Ein Klimavertrag auf globaler Ebene und eine diffuse „Bewegung“ von Bürgerinnen und Bürgern (darunter auch Konzernen) überall auf der Welt – die nationalstaatliche Ebene, auf der die wichtigen Politiken und Policies entschieden werden, kommt dabei viel zu kurz!

Zwei Punkte möchte ich noch kurz hervorheben, die mir beim Lesen aufgefallen sind:

Im Positiven: Das Gutachten befasst sich mit der Frage der Weiterentwicklung des Völkerrechts und anderer Rechtsgrundlagen, um Unternehmen und Staaten für ihren Beitrag zum Klimawandel vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen. Betont wird dabei die Aufgabe von Umweltverbänden:

„Ergänzend zur Notwendigkeit der Klärung der noch offenen völkerrechtlichen Fragen sollten national und global tätige Umweltverbände als Teile der Weltzivilgesellschaft als „Anwälte des Klimas“ mit der (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Durchsetzung klimavölkerrechtlicher Pflichten betraut werden. So könnte Umweltverbänden einerseits national eine Klagebefugnis zugewiesen werden, über die sie im Sinne einer Prozessstandschaft für einzelne Bürger Kompensationspflichten gerichtlich oder außergerichtlich geltend machen könnten. Andererseits könnten diese Umweltverbände auch international (z. B . im Rahmen des Pariser Protokolls) mit dieser Aufgabe betraut werden. Eine solche Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität von Verbänden wäre aufgrund ihrer Bündelungsfunktion durchaus gerechtfertigt.“

Im Negativen: Unter der Überschrift „Großtechnische Eingriffe“ geht es um Geoengineering. Dabei äußern sich die Autorinnen und Autoren zwar durchaus kritisch, was das Potenzial dieser Technologien angeht, plädieren aber am Ende für ein Mehr an Forschung:

„Der WBGU rät unter den gegebenen Unsicherheiten von der Anwendung von Verfahren zur Manipulation der Strahlungsbilanz ab. Die Einflüsse dieser Verfahren auf das Klimasystem sollten zunächst besser erforscht werden.“


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