Rote Flüsse und tote Fischteiche: Nickelabbau in den Philippinen (Teil 1) – von Michael Reckordt

Michael Reckordt arbeitet bei PowerShift als Koordinator des zivilgesellschaftlichen Netzwerks AK Rohstoffe, in dem auch die Heinrich-Böll-Stiftung im Koordinierungskreis ist. PowerShift ist Mitglied im „Stop Mad Mining“-Netzwerk, dass sich im Europäischen Jahr für Entwicklung (EYD2015) kritisch mit dem Verbrauch von Rohstoffen hier und dem Abbau in den rohstoffreichen Ländern beschäftigt. Zu diesem Zweck bereist Michael Reckordt derzeit die Philippinen. Hier ist der erste Teil seines Reiseberichts über Nickelabbau.

Die Philippinen gelten als reich an mineralischen Rohstoffen. Doch der Abbau in dem Land trägt nur selten zum Wohlstand der örtlichen Bevölkerung bei. Es ist eher an der Regel, dass die Rohstoffgewinnung den Menschen in den Abbauregionen schadet und die Umwelt zerstört. Ein gutes Beispiel dafür ist der Nickelabbau in der Stadt Santa Cruz, in der Provinz Zambales.

Jedes Jahr importiert die deutsche Industrie über 60 Millionen Tonnen metallische Rohstoffe, darunter auch Nickel. Die Philippinen gehören zu den zehn größten Nickelproduzenten der Welt. Es ist wahrscheinlich, dass über die Aufarbeitung in China auch aus den Philippinen Rohstoffe in Produkten „Made in Germany“ enden, wie das Nickel aus Zambales. Die Provinz liegt im Nordwesten der Hauptinsel Luzon. Bergbau gibt es in ihr schon seit dem Zweiten Weltkrieg, als das US-Unternehmen Acoje Mining Chrom abbaute. Die Chrom-Lagerstätten gelten nach heutigem Stand der Technik als ausgeschöpft. In den späten 1980ern, so erzählt der ehemalige Stadtrat Jun Ebdio, habe der Abbau geendet. Da es Untertage-Bergbau gewesen sei, habe es keine größeren Probleme gegeben. Zumindest keine, wie heute mit dem Nickelabbau.

Als wir am 18. Juli in Sta. Cruz ankommen, sind die Folgen kaum zu übersehen. Die Straßen weisen deutliche Spurrillen von den Lastkraftwagen auf, die in den letzten Jahren das Nickel von den Bergen zum Hafen transportiert haben. Die Flüsse sind rot, nickelhaltige Sedimente haben das Wasser verfärbt. Und das obwohl vor einem Jahr, im Juli 2014, sämtliche Abbautätigkeiten stillgelegt worden sind. Insgesamt vier mittelgroßen Unternehmen ist die Erlaubnis entzogen worden, weiter Nickel in den Bergen von Sta. Cruz abzubauen. Das liegt vor allem an der Arbeit von Dr. Benito Molino und den besorgten Bürger/innen von Sta. Cruz, Zambales (Concerned Citizens of Sta. Cruz, Zambales – CCOS). „Doc Ben“, wie ihn Fischer, Farmerinnen und sogar der Wachmann eines Bergbaukonzerns respektvoll nennen, hat vor gut vier Jahren angefangen, den Protest vor Ort zu unterstützen. CCOS profitiert davon, dass er sehr gut in der philippinischen Zivilgesellschaft vernetzt ist. Beruflich arbeitet er als anerkannter Forensiker, hat unter anderem eine Untersuchung des Mordes an dem Nationalhelden Benigno Aquino geleitet. Benito Molino ist darüber hinaus als Menschenrechtsaktivist in der Medical Action Group aktiv, die sich der medizinischen Begleitung von politischen Gefangenen verschrieben hat. Als er 2011 von CCOS um Unterstützung gebeten wurde, zögert er nicht lange. Auch wenn er seit Jahren in Metro Manila lebt, das ganze Land zur Auflösung von Mordfällen oder für Schulungen bereist, hier lebt seine Familie, hier wurde er geboren. Zambales ist seine Heimatprovinz.

Zusammen mit Benito Molino und seinem Sohn Kim fahren wir gut fünf Stunden von Manila nach Sta. Cruz. Auf dem Weg kommen wir durch Bataan. Hier wird gerade der Ausbau des Bataan-Kohlekraftwerks geplant, eine Aufstockung der Leistung von 600 auf 900 MW. Insgesamt um die 50 Kohlekraftwerke soll aus- oder neugebaut werden in den Philippinen. Gerade an dem Morgen unserer Fahrt ist in Semirara, in der Provinz Antique, ein Teil der größten Kohlemine des Landes eingestürzt. Neun Arbeiter verloren dabei ihr Leben. Es ist nach 2013 schon der zweite schwere Unfall in der Kohlemine. Neben den tödlichen Unfällen beim Kohleabbau in den Philippinen gibt es einen weiteren Grund, mit einem „Writ of Kalikasan“, am besten mit einem richterlichen Einspruch aufgrund von Umweltunverträglichkeit zu umschreiben, diesen Ausbau zu verhindern: den Klimawandel.

Hochwasser in denStraßen von Sta. Cruz (Michael Reckordt, Juli 2015)
Hochwasser in denStraßen von Sta. Cruz (Michael Reckordt, Juli 2015)

Als wir einige Stunden später in Sta. Cruz ankommen, regnet es. Kein mitteleuropäischer Regen, sondern tropischer Regen. Und nicht einen Tag, nicht zwei Tage, seit zehn Tagen nahezu ununterbrochen. Straßen stehen unter Wasser, einige Barangays (Ortsteile) sind nicht mehr zu erreichen. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, gewöhnen müssen. Klimawandel ist hier keine abstrakte Diskussion, es ist hier die Lebensrealität. Der letzte größere Taifun – die beiden kleineren im Juni / Juli 2015 geraten da schnell in Vergessenheit, wenn auch sie die Stadt überfluteten – hat zum Beispiel Felder, Fischteiche etc. zerstört. Als die Flut gegangen ist, blieb das Nickel, das in 10 bis 15 Kilometern Entfernung am Berg gewonnen wird.

Die Stadt wird durchzogen durch mehrere große Flüsse, die hier ins Meer münden. Zwei von ihnen, der Bayto River und der Sta. Cruz River, sind rot gefärbt. Deutliche Anzeichen dafür, dass sie Nickelauswaschungen mit sich tragen. „Die Unternehmen“, so erklärt Benito Molino, „behaupten, die Farbe sei natürlich. Doch das stimmt nicht. Eine natürliche Trübung kann bräunlich sein. Doch die bräunlichen Sedimente sind meistens nach zwei Tagen Regen ausgewaschen.“ Der Patogo Fluss, der nicht vom Nickelabbau betroffen ist und die Stadt im Norden begrenzt, unterstützt diese Worte. Seine Trübung ist zwar leicht bräunlich, dennoch deutlich zu unterscheiden von den Flüssen, die Wasser aus den Abbaugebieten transportieren. Diese Flüsse sind trotz mehreren Tagen Dauerregen rot.

Wir treffen in Sta. Cruz einige Besitzer der Fischteiche, die durch das Nickel geschädigt wurden. Luisito Capili, ein älterer Mann, ist einer von ihnen. Er besitzt zwei Hektar, seine Familie weitere dreizehn. Bis zu einer Million Peso (20.000 Euro) setzen sie im Jahr um, durch den Verkauf von Fisch, Schrimps, Muscheln und Krebsen. Im August 2013 fegte Taifun Labuyo über die Fischteiche, zerstörte die Schutzdämme und Flusswasser ergoss sich in die Fischfarmen, Nickel setzte sich überall ab. Die Teiche waren zerstört, die Fische und Krebse starben. Erst im Januar 2015 wurden die Fischteiche wieder hergestellt. Wobei „wieder hergestellt“ die offizielle Version ist. Die Nickelrückstände wurden ausgebaggert und dann als Dämme verbaut. Damit die Bagger die Dämme nutzen konnten, wurden diese verbreitert. Dafür mussten allerdings – ohne Kompensation – alle Mangroven-, Mango- und andere Bäume abgeholzt werden.

Muscheln und Mangroven vielen den Dammarbeiten bei den Fischteichen zum Opfer (Michael Reckordt, Juli 2015)
Muscheln und Mangroven vielen den Dammarbeiten bei den Fischteichen zum Opfer (Michael Reckordt, Juli 2015)

„Schau, es ist nun so breit wie ein Highway“, sagt Luisito Capili und schüttelt den Kopf. Was früher mal Fischteiche in einer ertragreichen, grünen Umgebung waren, sieht heute aus wie eine Wasserwüste. Schlimmer noch, das Nickel ist noch da, in den Dämmen, die wiederum schon ein halbes Jahr nach der Errichtung zum Teil durch den Fluss erodieren. Kein Wunder: Weder die Stadt, noch die Umweltbehörde oder die Bergbaubehörde haben die Arbeit an den Fischteichen beaufsichtigt. Zudem wird noch immer über die Entschädigung gestritten. Neben dem „Wiederaufbau“ bietet der Konzern Benguet Mining an, 24.000 Peso (480 Euro) pro Hektar und Ernte zu zahlen. Ihm konnte nachgewiesen werden, dass das Nickel aus seiner Mine den Fluss und somit die Fischteiche kontaminierte. Die Betroffenen fordern allerdings mindestens 100.000 (2000 Euro) pro Hektar und die Anzahl der Ernten müsse vom den Betreiber/innen abhängig sein, denn einige wären fleißig und ernteten bis zu vier Mal im Jahr. „Bisher haben sie mehr zerstört als repariert“, sagt Luisito Capili fast schon resignierend. Einige Teichbesitzer halten sich über Wasser, in dem sie in den Nachbargemeinden halfen.

 

Früher Fischteiche, Mangroven, Mangobäume, heute Wasserwüste (Michael Reckordt, Juli 2015)
Früher Fischteiche, Mangroven, Mangobäume, heute Wasserwüste (Michael Reckordt, Juli 2015)

Doch nicht nur die Fischteichbesitzer sind von dem Nickel im Fluss betroffen, sondern auch die Reisbäuerinnen und -bauern sowie die Fischer am Fluss und an der Küste. Fischer Salvador Cortez sagt, dass drei bis fünf nautische Seemeilen vor der Küste die Farbe des Wassers noch immer rot sei. Wilson Arcelao, Vorsitzender der Home-Owners-Association an der Küste und ebenfalls Fischer, versichert, dass er schon in bis zu 30 Seemeilen die rote Farbe des Nickels gesehen habe. Beide bestätigen, die Korallen seien schon lange tot. Durch die nickelhaltigen Sedimente im Fluss und die Ablagerungen seien sie gestorben und mit ihnen sind die Fische gegangen. „Die Bergbaukonzerne kümmert das nicht!“ sagt Salvador Cortez mit bitterem Unterton. Jun Ebido ergänzt: „Wir haben uns bei dem nationalen Direktor des MGB (Mines and Geoscience Bureau) beschwert.“ Im Oktober 2014 fand auch eine Untersuchung statt, die Ergebnisse sind aber bis heute nicht veröffentlicht. „Es hat ein Jahr gedauert, bis sie überhaupt kamen“, sagt Salvador Cortez mit leiser Stimme, „ein Jahr!“

Auch Mario Bacho ist ein Fischer. Oder sollte man besser sagen: war Fischer? Er hatte eine fest installierte Falle im Santa Cruz-Fluss und konnte damit seine Familie mit fünf Kindern versorgen. Doch heute gibt es keine Fische mehr im Fluss. Es sei zu schlammig. Hin und wieder fängt er noch ein paar Fingerlinge. Diese kann er immerhin an die Fischzucht-Besitzer verkaufen, als Fischfutter für die Zucht – wenn denn diese noch existiert. Was das für ihn und seine Familie bedeuten würde, frage ich. „Nun“, sagt er, sie hätten nur noch zwei Mahlzeiten pro Tag, manchmal nur eine. Von den Bergbaukonzernen gab es derweil keine Reaktion, keinen Schadensersatz. Salvador Cortez, der in einer langen Fischerhose neben Mario Bacho sitzt, als käme er gerade aus dem Wasser, nickt nur. Er hätte früher pro Tag 13 bis 15 Kilo Fisch gefangen, im Wert von 1300 bis 1500 Peso (umgerechnet 26 bis 30 Euro). Heute seien es meistens null Kilo, nur manchmal ein Kilo für die Familie. Auch seine Familie musste die Mahlzeiten reduzieren. Er fühle sich jetzt viel häufiger schläfrig. Und nicht nur die Anzahl der Mahlzeiten, auch die Menge musste reduziert werden. Früher gab es ein Kilo Reis für die Familie pro Mahlzeit. Dieser kostet 38 Peso (75 Cent) pro Kilo. Heute ist es nur noch ein ¾ Kilogramm, dazu vom staatlich subventionierten NFA-Reis (National Food Authority). Er bekäme davon Magenprobleme, aber den anderen Reis, den besseren, könne er sich nicht mehr leisten.

Morgen gibt es den zweiten Teil des Reiseberichts von Michael Reckordt über Nickel-Bergbau in Zambales.

 

 


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