Man könnte sagen: die Zeit dafür war überreif. Mit mehr als 1000 Klima-, Umwelt-, Menschenrechts- und Indigenenorganisationen haben wir uns mit einem Brief an das Sekretariat und den Vorstand der internationalen Extractives Industries Transparency Initiative (EITI) gewandt und fordern, dass diese in Zukunft auch über die Klimarisiken von Kohle-, Öl- und Gasprojekten berichtet. Prominente Unterstützung bekommen wir dafür u.a. von Naomi Klein (Autorin von This Changes Everything) und Mark Campanale (Direktor und Gründer der Carbon Tracker Initiative). Hier geht’s zum Brief auf Deutsch und Englisch und zur Pressemitteilung auf Deutsch und Englisch.
Dieser Brief führt eine ganze Reihe konkreter Schritte auf, um die öffentliche Debatte um die Gefahren fossiler Investitionen und ihr notwendiges Ende zu vertiefen. Für die fossile Industrie kann es keine Transparenz geben ohne offenzulegen, wie uns ihr Geschäftsmodell auf den Pfad katastrophalen Klimawandels festlegt.
– Naomi Klein
Die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) ist eine globale Initiative für mehr Finanztransparenz und Rechenschaftspflicht im Rohstoffsektor. Der EITI Standard setzt global den Maßstab, worüber die großen extraktiven Konzerne – allen voran die Öl-, Gas- und Kohleindustrie – Rechenschaft ablegen muss. In jedem Land, das die EITI umsetzt, arbeitet eine Multistakeholder-Gruppe aus Regierung, Unternehmen und Zivilgesellschaft zusammen. Implementierende Länder veröffentlichen Informationen über Steuerzahlungen und andere Abgaben, Lizenzen, Verträge, Produktions- und andere Schlüsseldaten rund um die Extraktion von Rohstoffen. Aktuell hat die EITI 48 implementierende Länder. Die größten Öl-, Gas- und Kohlekonzerne der Welt sind dort aktive Mitglieder. So sitzen Shell, BP, BHP Billiton, Rio Tinto, Exxon, Chevron, Statoil und Total gar als Mitglieder im internationalen Vorstand der EITI.
Aber eine ganz bestimmte ‚unbequeme‘ Wahrheit verschweigen die Konzerne uns – und auch der EITI Standard fordert sie hier bisher nicht zur Rechenschaft: Wenn wir es ernst meinen mit der Bekämpfung des Klimawandels, müssen 80 % der bekannten globalen Reserven fossiler Brennstoffe im Boden bleiben. Für die Konzerne – und für die Regierungen und Bürger/innen, denen die Rohstoffe gehören – stellt das ein erhebliches finanzielles Risiko dar. Wenn wir ernst machen mit Klimapolitik, Förderung erneuerbarer Energien, Energieeffizienz und Sparen, wenn wir gar diejenigen, die mit der Finanzierung von Klimaskeptikern und Lobbykampagnen bisher erfolgreich den Wandel verhindert haben zur Verantwortung ziehen (auch vor Gericht), dann verschärfen sich diese ‚Klimarisiken‘. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefs an die EITI fordern, dass die EITI in Zukunft das Berichten über Klimarisiken in ihren Standard aufnimmt und somit eine wirklich transparente, demokratische und partizipative Debatte über zukunftsfähige Entwicklungspfade ermöglicht.
Dem Geschäftsmodell der fossilen Unternehmen liegt die Annahme zu Grunde, dass alle bekannten Reserven gefördert und verbrannt werden können. Das ist ihr Kernrisiko und die Klimabewegung hat vollkommen recht, dieses auch als explizit materiell-finanzielles Risiko zu benennen, das in der EITI bislang nicht berücksichtigt wird. Extraktive fossile Konzerne müssen jetzt offenlegen, wie ihre Geschäftspläne mit dem 2°C-Limit vereinbar sind und wie sie ihre eigene unvermeidbare Schrumpfung managen werden.
– Mark Campanale
Wenn man allerdings sieht, wie schwer es schon war und ist, die Minimalberichtspflichten der EITI (und folgend auch die verbindlichen Transparenzfplichten, die es z.B. seit Kurzem in der EU gibt) durchzusetzen und hierbei eine aktive und unabhängige Rolle der Zivilgesellschaftt auf Augenhöhe zu garantieren, dann merkt man, auf was für einen Kampf wir uns hier einlassen. Denn die bisherigen Anforderungen setzen zwar auf eine Ende von Intransparenz, Klientelismus und Korruption bei der Vergabe von Lizenzen und Verträgen sowie beim Umgang mit den Einnahmen, stellen aber nicht grundsätzlich das fossile Geschäftsmodell in Frage. Das tut nun dieser Brief. Aber vielleicht wird sich genau an dieser Auseinandersetzung rund um die EITI zeigen, dass das fossile Geschäftsmodell nicht nur auf der Opferung unseres Weltklimas und unserer aller Zukunft basiert, sondern dies eben nur mit den Mitteln der Intransparenz und Korruption gegen das Interesse der Gemeinschaft durchsetzen kann.
Konkret fordern wir (als Heinrich-Böll-Stiftung) gemeinsam mit den vielen anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen:
- Die Erarbeitung neuer Grundsätze der EITI, die sich auf die vor dem Hintergrund des Klimawandels besondere und einmalige Lage des Sektors fossiler Brennstoffe innerhalb der weitergefassten rohstoffgewinnenden Industrie konzentrieren.
- Eine Erweiterung des Standards in Bezug auf die Art und Weise, in der zivilgesellschaftliche Gruppen eingebunden werden, um sicherzustellen, dass innerhalb der Multi-Stakeholder-Gruppen bestimmte Fachkenntnisse vorliegen, sowie die Gewährleistung, dass wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem „Klimarisiko“ in Erwägung gezogen werden, bevor ein Land als EITI-konformes Land anerkannt wird.
- Eine Reform der Kontextinformationen, die in den EITI-Berichten enthalten sein müssen, um insbesondere sicherzustellen, dass folgende Sachverhalten offengelegt werden:
- Beschreibungen des Rechtsrahmens und des Steuersystems, die für die rohstoffgewinnenden Industrien maßgeblich sind, einschließlich relevanter Gesetze, Bestimmungen und Reformen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.
- Ob ein Abbauvorhaben angesichts der zu erwartenden Kohlenstoffemissionsbegrenzungen, die eingeführt werden, um die globale Erwärmung auf 1,5 oder 2°C zu halten, über seine erwartete Lebensdauer hinaus wirtschaftlich tragfähig sein wird oder nicht. Die Offenlegung sollte eine zusammenfassende wirtschaftliche Erklärung über die Grundlage der Tragfähigkeit eines Abbauvorhabens enthalten. Diese Zusammenfassung sollte auch die Offenlegung von Subventionen und Steuerbegünstigungen beinhalten.
- Veränderungen der Standards im Hinblick darauf, dass die Einnahmeströme auch Steuern (oder Abgaben) auf Emissionen oder Rohstoffgewinnung und Abgaben auf Emissionen im Transportsektor (bunker fuels) enthalten sowie Rückzahlung erhaltener Mittel aus der Klimafinanzierung berücksichtigen.
Gespannt warten wir nun, was die zivilgesellschaftlichen Akteure, die in der EITI aktiv sind (u.a. im Vorstand) zu der Initiative sagen, und wie sich die Konzerne und Regierungen zu den Forderungen äußern. Ich schicke den Brief auf jeden Fall auch zur Kenntnis an das in Deutschland für die EITI zuständige BMWi (Uwe Beckmeyer) und das Sekretariat der Deutschen EITI (D-EITI) bei der GIZ (Johanna Beate Wysluch).
Am 21. und 22. Oktober tagt der internationale Vorstand der EITI (Board) in Bern – mal schauen, ob wir es bis auf die Agenda schaffen. Ansonsten bleibt aber bis zum Klimagipfel in Paris (und dem nächsten EITI Board Meeting kurz davor) sowie bis zur großen EITI Konferenz in Lima Ende Februar 2016 noch ein wenig Zeit…
Die folgenden Organisationen unterstützen den Brief:
350.org
Abibimman Foundation
Asia Indigenous Peoples Pact
Association Actions Vitales Pour Le Développement durable
Ateneo School of Government
Carbon Market Watch
Center for Indigenous Peoples Research and Development
Center for International Environmental Law
Centro Mexicano de Derecho Ambiental
Change Partnership
Climate Action Network (CAN) International (over 950 members)
Climate Justice Programme
EcoEquity
EKOenergy
Federation of Community Forestry Users Nepal
Forests of the World
Friends of the Earth Europe
Greater Access Reconstruction and Justice Action Network Nepal
Germanwatch
Global Catholic Climate Movement
Global Citizens Initiative
Greenpeace International
Grupo de Financiamiento Climatico America Latina y el Caribe
Heinrich-Böll-Stiftung
Leave it in the Ground Initiative
Market Forces
Nepal Federation of Indigenous Nationalities
NGO Coalition for Environment, Nigeria
Oil Change International
SONIA for a Just New World
Stop Mad Mining Network
SustainUS
Tebtebba (Indigenous Peoples’ International Centre for Policy Research and Education)
Tree Adoption Uganda
WWF International