Gestern und heute veranstaltete die deutsche Bundesregierung in Berlin einen großen internationalen Bioökonomie-Gipfel. Hier berieten 900 Teilnehmende aus 82 Ländern darüber, wie eine bessere politische Abstimmung auf internationaler Ebene gelingen kann. Die Leitfrage war laut Gastgeber BMBF: Wie kann die Bioökonomie dazu beitragen, den Hunger zu bekämpfen, das Klima zu schützen, gegen die Erderwärmung vorzugehen und die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern?
Viele zivilgesellschaftliche Gruppen wünschen sich jedoch eine ganz andere Frage, und wollen diskutieren: Kann die Bioökonomie diesem Anspruch überhaupt gerecht werden – so, wie sie von den Biotechnologie-Unternehmen und Forschungsagenden vieler Industrienationen formuliert wird? Und sie geben hierzu auch schon Antworten!
Bzgl. der Frage der Hungerbekämpfung kommt beispielsweise das Institut für Welternährung zum Schluss: Bioökonomie leistet keinen Beitrag zur nachhaltigen Sicherung der Welternährung. Im Gegenteil, sie droht weltweit den Kampf um biologische Rohstoffe und Ackerflächen anzutreiben, die Lebensmittelpreise zu erhöhen, und damit das Risiko von Hunger, Armut und Flucht zu vergrößern.
Thomas Fatheuer setzt sich für das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) mit entwicklungspolitischen Fragen der Nutzung von Biomasse für die Green Economy auseinander.
Und bzgl. der Fragen nach Klimaschutz und Erdölabhängigkeit haben wir uns bei der Heinrich-Böll-Stiftung entschieden zu schauen, welche Rolle die Synthetische Biologie als neue Biotechnologie in der Klimawandeldebatte spielt.
Der Erklärfilm „Was ist Synthetische Biologie?“ gibt einen Eindruck von der Wirksamkeit und den Gefahren dieser neuen Biotechnologie und extremen Form von Gentechnik.
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Ausführlich behandeln wir das Thema auch in einem Unterkapitel unseres Buchs „Kritik der Grünen Ökonomie„, das wir nun als separaten Text zur Verfügung stellen.
Außerdem haben wir die ETC Group beauftragt, das Wirken der synthetischen Biologie, also der Technologie und der beteiligten Unternehmen, in zwei zentralen Handlungsfeldern zu untersuchen. Das Ergebnis der Recherche der ETC Group sind zwei Studien, die wir diese Woche anlässlich des Bioökonomie-Gipfels präsentieren.
Die eine befasst sich mit der Rolle von synthetischer Biologie in den extraktiven Industrien, vor allem im Öl-, Gas- und Kohlesektor: Extreme Bioenergy meets Extreme Energy. Noch vor wenigen Jahren behaupteten Firmen, die synthetische Biologie (SynBio) forschen und betreiben, ihre Entwicklungen führten in eine sauberes, grünes, „post-Öl“ Wirtschaftsmodell, basierend auf Mikroben, die mit Zucker ernährt werden. Heute sind diese grünen Ansprüche (teilweise) Vergangenheit und viele derselben Firmen schließen sich mit den großen Öl-, Gas- und Bergbauunternehmen zusammen. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wird so zementiert. Eine wachsende Anzahl von Syn Bio-Unternehmen entwickelt nämlich Wege, den Wert von durch Fracking erschlossenem Gas zu erhöhen, indem beispielsweise Methan durch biologische Prozesse in Treibstoff, Nahrungsmittel und Plastik umgewandelt wird.
Die extreme Biotechnologie-Industrie und die extreme extraktive Energie haben hier ein gemeinsames Interesse und Geschäftsfeld entdeckt. Biologische Risiken und Klimabedrohung, die aus den beiden Industrien entstehen, werden dadurch immer mehr miteinander verwoben. In unserem Bericht wird die entstehende Allianz aus Biotech- und fossiler Industrie beleuchtet, die beteiligten Unternehmen benannt und die Implikationen für Biodiversität und Klima erläutert.
Die andere Studie (die wir in Kürze veröffentlichen) fragt nach der Anwendung von synthetischer Biologie in der sog. „Climate smart agriculture“.
Nachtrag (27. November 2015): Heute haben wir die andere Studie veröffentlicht: Outsmarting Nature? Synthetic Biology and Climate Smart Agriculture. Hier geht um Ideen, Forschungen und Anwendungen in der Landwirtschaft, die mit Hilfe der neuen Form extremer Gentechnik (Synthetischer Biologie) beispielsweise versuchen, die natürliche Photosynthese zu verbessern (Aufnahme von CO2 verbessern), Pflanzen resistenter gegen Dürre zu machen („Anpassung an den Klimawandel“) oder die Pestizidresistenz bei Pflanzen / Unkraut rückgängig zu machen bzw. Saatgut so zu verändern, dass es das Gift verträgt. All dies dient dem Erhalt der agroindustriellen Landwirtschaft, die argumentiert, ihr Modell sei „climate smart“, weil der Boden nicht gepflügt werden muss…