Gestern war es dann soweit: Die magische Schwelle von 55 Mitgliedstaaten der UN-Klimarahmenkonvention, die mindestens 55 % der globalen Emissionen verantworten, haben das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Damit tritt es am 4. November 2016 offiziell in Kraft – viel früher als es sich die meisten am 15. Dezember 2015 zu träumen gewagt hatten.
Die COP 22 in Marrakesch (Marokko), die am 7. November beginnt, wird damit auch zur ersten Konferenz der CMA (Conference of the Parties serving as the Meeting of the Parties to the Paris Agreement).
Doch bei all dem Jubel, sollten die Regierungen nicht vergessen, welche Hausaufgaben noch vor ihnen liegen! Damit meine ich nicht nur die Umsetzung dessen, was sie in Paris auf dem Tisch gelegt und unterzeichnet haben. Für die meisten Länder (vor allem Industrieländer) steht zudem eine Erhöhung der nationalen Klimaziele und Finanzzusagen an, wenn sie denn in irgendeiner Weise den Zielen von Paris entsprechen sollen.
Für die deutsche Bundesregierung wird es sehr peinlich, wenn sie den anderen Delegationen in Marrakesch erläutern muss, warum Deutschland nicht nur das Klimaschutzziel für 2020 (- 20 % gegenüber 1990) aller Voraussicht nach verfehlen wird, sondern dass sich die heeren Ziele des Umweltministeriums für den Klimaschutzplan 2050 gerade quasi in heiße Luft auflösen. Man kann eben nicht zur gleichen Zeit Weltmeisterin im Klimaschutz und in der Förderung von Braunkohle sein…
International hat das Ergebnis der Klimakonferenz von Paris zwar einiges festgeschrieben. Aber in den oft technisch anmutenden Verhandlungen zu Umsetzungsregeln und Verfahren steckt durchaus noch jede Menge hochpolitischer Sprengstoff. Hier nur eine kleine Auswahl:
Verhandelt wird u.a. eine Art „global blueprint for reporting and accounting for climate action“ (UNFCCC Sekretariat). Doch wie misst und vergleicht man Ziele und Maßnahmen, die unterschiedlicher nicht sein könnten? Immerhin sind die Verhandlerinnen und Verhandler auch vor Paris schon genau an dieser Frage gescheitert, so dass es eben kein gemeinsames Reporting Format für die nationalen Beiträge (INDCs, werden jetzt zu NDCs) gibt. Mögliche Fallstricke liegen hier unter anderem darin, große Fehler aus den Accounting-Regeln des Kyoto-Protokolls einfach zu übernehmen: z.B. wäre es ja durchaus praktisch gerade für die Länder mit viel fossilen Emissionen, wenn sie diese munter mit den Emissionen aus der Forst- und Landwirtschaft verrechnen könnten, damit am Ende unterm Strich alles besser aussieht. Außerdem ist es doch nett, wenn man dank schlechter Buchhaltungsregeln weiterhin behaupten kann, dass Verbrennen von Biomasse sei CO2 neutral… Großes Kopfzerbrechen bereitet auch die Frage, wie sich die zusätzlichen Beiträge und Selbstverpflichtungen nicht-staatlicher Akteure (Privatwirtschaft, Städte usw.) anrechnen und verrechnen lassen: bringt das mehr Rechenschaftspflicht oder mehr Rechentricks?
In Paris wurde ein neuer Marktmechanismus ins Leben gerufen, der Sustainable Development Mechanism. Klingt schön, ist aber total gefährlich. Letztlich soll das so eine Art Clean Development Mechanism zum Offsetting werden, nur noch größer. Details gibt es noch keine. Aber wenn sich hierdurch in Zukunft Länder, die ihre eigenen Klimaziele nicht erreichen, durch den Handel mit sog. „mitigation outcomes“ ein reines Gewissen kaufen können, dann wird der Mechanismus das globale Ambitionsniveau nochmal gehörig nach unten korrigieren. Dabei brauchen wir das Gegenteil!
Ein großes Fragezeichen gibt es auch bei der Einhaltung des 1.5°C Limits. Hierzu arbeitet der Weltklimarat IPCC nun an einem Sonderbericht, der 2018 vorliegen soll. 2018 werden auch die nationalen Beiträge erstmalig überprüft (failicative dialogue) – danach 2023 und dann alle 5 Jahre (global stocktake). Das Sekretariat der UNFCCC bringt es auf den Punkt: „The fact that somewhere around one degree of this rise has already happened and global greenhouse gas emissions have not yet peaked underlines the urgency of implementing the Paris Agreement in full.“ Mit gefährlichen und unerprobten Technologien zum Solar Radiation Management (z.B. durch die Injektion von Aerosolen in die Stratosphäre, um Sonnenlicht abzuwenden und damit den Planeten zu kühlen) jedenfalls wird das ebenso wenig gelingen wie mit nebulösen „negativen Emissionstechnologien“ (z.B. BECCS).
Ach ja, und dann brauchen wir ja noch einen Fahrplan zur Aufstockung der Klimafinanzierung auf 100 Milliarden US Dollar jährlich ab 2020 (und nein, da können wir nicht einfach die Investitionen des Privatsektors mitrechnen!) und einen guten Plan, wie wir die Opfer von Klimaschäden und -verlusten (Loss and Damage) unterstützen können (und ja, damit meine ich auch das K-Wort = Kompensation).
Also: statt sich selber zu viel zu feiern, sollten sich unsere Regierungen jetzt 10 Monate nach Paris an der eigenen Nase fassen, auf den eigenen Hintern setzen (oder besser noch: sich gegenseitig in den Hintern treten) und endlich Taten auf Worte folgen lassen. Wir werden nachfragen. Und einfordern. Mit Nachdruck.