Land- und Waldsektor spielen eine entscheidende Rolle bei der Implementierung des Pariser Klimaabkommens und sind daher bei den Klimaverhandlungen in Marrakesch auch Gegenstand verschiedener Arbeitsgruppen und Diskussionen. Lösungen und Instrumente, die hier diskutiert werden, könnten dazu beitragen, eine Agrarwende einzuleiten, Landrechte zu schützen und die Entwaldung zu stoppen. Sie könnten aber auch die industrielle Land- und Forstwirtschaft intensivieren, die Vertreibung indigener und lokaler Gemeinschaften verstärken und neue Hintertüren öffnen, um Emissionen aus dem fossilen Sektor durch dubiose Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. Es steht also viel auf dem Spiel und die entscheidenden politischen Fragen sind oft hinter komplizierten und technisch anmutenden Agendapunkten versteckt. Hier ein kurzer Überblick, der hoffentlich beim Navigieren hilft:
Ganz allgemein ist wichtig: Ohne einen klaren Fokus auf radikale Emissionsreduktionen vor 2020 bleibt das in Paris gesteckte 1.5°C Limit ein leeres Versprechen. Böden und Wälder können erhebliche Mengen CO2 absorbieren. Aber die Frage der geeigneten Methoden ist hoch umstritten. Das Pariser Klimaabkommen enthält wichtige Passagen zu Menschenrechten, Rechten Indigener Gemeinschaften und der Integrität von Ökosystemen. Eine Implementierung kann also nur bedeuten, dass wir Maßnahmen umsetzen, die sowohl Klimazielen dienen als auch Menschrechte und Ökosysteme schützen. Jegliche Maßnahmen im Wald- und Landsektor dürfen dabei unter keinen Umständen dazu genutzt werden, Nichthandeln in anderen Sektoren zu entschuldigen. Das CO2-Budget, das wir uns in Paris gesetzt haben, lässt keinen Raum für Offsets!
In den Verhandlungen bedeutet das konkret: Erhöhung der Emissionsreduktionsziele für 2020 ohne dass wir uns darauf verlassen, dass wir überschüssige Emissionen mit negativen Emissionstechnologien (z.B. BECCS) ausgleichen können. Dagegen kann der Schutz von Landrechten dazu beitragen, Wälder zu schützen, Ernährungssicherheit zu erhöhen und Emissionen zu reduzieren.
Folgendermaßen stellt sich das in konkreten Agendapunkten der Verhandlungen dar:
APA agenda item 3: Guidance for emissions and removals from land use (APA ist die Arbeitsgruppe, die sich mit der Vorbereitung und Umsetzung des Pariser Klimaabkommens befasst):
Worum geht es? Die Buchhaltungsregeln (accounting rules) aus dem Kyoto Protokoll enthalten einen entscheidenden Fehler bei der Berechnung von Emissionen aus dem Land- und Waldsektor. Laut Weltklimrat IPCC wäre es theoretisch möglich, die Verbrennung von Biomasse als CO2-neutral anzusehen, wenn es ein separates Erfassungssystem für Emissionen gibt, die bei der Produktion von Biomasse (also bei der Rodung, Ernte usw.) entstehen. So eins gibt es aber im Kyoto System nicht – so dass die Emissionen zwar entstehen, aber weder an der Quelle noch bei der Verbrennung erfasst werden…
Konkret fordern zivilgesellschaftliche Organisationen bei der COP 22 in Marrakesh:
- Alle Länder müssen in ihren NDCs (also den nationalen Klimaplänen, auf die sich sich in Paris verpflichtet haben) umfassend darüber berichten, wie sie die übergreifenden Themen aus dem Pariser Klimaabkommen (also auch Menschenrechte) aufgreifen und umsetzen.
- Buchhaltungsregeln für das Erfassen und Berichten zu Emissionen im Landsektor dürfen nicht den Fehler aus dem Kyoto Protokoll wiederholen und müssen transparent machen, welche Emissionen wo entstehen und welche Treibhausgase wo wieder in Senken (Böden, Wäldern usw.) verschwinden. Fortschreitende Entwaldung darf nicht durch das Verrechnung mit Aufforstungsprojekten anderswo unsichtbar gemacht werden. Andere Treibhausgase als CO2 aus der Landwirtschaft (also z.B. Methan) dürfen nicht im Zuge der Verrechnung mit der CO2-Sequestrierung in Böden versteckt werden. Bioenergie darf nicht als CO2-neutral erfasst werden.
APA agenda item 5: Transparency framework (Das ist ein entscheidender Verhandlungsgegenstand nach Paris, weil es darum geht, wie die verschiedenen nationalen Klimapläne und -ziele messbar, vergleichbar und überpürfbar gemacht werden können…)
Im Klimaschutz geht es um viel mehr als um CO2. Deshalb ist es wichtig, dass im Rahmen der umfassenden Transparenz- und Berichtspflichten der Länder festgehalten wird, dass sie auch nicht nur über Tonnen CO2 berichten, sondern Rechenschaft ablegen, wie sie Menschenrechte, die Rechte Indigener, Frauenrechte, Ernährungssicherheit und all die anderen Themen implementieren, auf die sie sich in Paris verpflichtet haben. All diese Themen müssen sowohl bei den Berichten zu den NDCs (nationalen Klimaplänen) als auch bei der gemeinsamen Überprüfung (also im Rahmen des sog. „facilitative dialogue 2018“ und dem sog „Global Stocktake 2023“) eine Rolle spielen.
SBSTA agenda item 11 (a) and 12: Land use in carbon markets (Das Thema Emissionshandel ist ja kein Neues und die Debatte um die Risiken der Einbeziehung von Land- und Waldsektor in ein solches System ebensowenig. In Marrakesch geht es konkret darum zu verhindern, dass sich bei der Ausgestaltung des neu geschaffenen Sustainable Development Mechanisms, SDM, Tür und Tor für Offsets öffnen.)
Die zivilgesellschaftliche Forderung ist klar: Keine Landnutzungsaktivitäten im Emissionshandel! Der Landsektor muss anders ins Klimaregime einbezogen werden (z.B. unter Artikel 6.8 des Pariser Klimaabkommens, wo es genau um „non-market approaches“ geht).
Eine wichtige Debatte (außerhalb der UNFCCC, aber mit klarem Bezug und Implikationen zu den Klimaverhandlungen in Marrakesch) ist die Entscheidung der ICAO, einen neuen globalen Marktmechanismus für Emissionen aus dem Flugverkehr zu schaffen (CORSIA). Man kann davon ausgehen, dass damit wohl in Zukunft die größte Nachfrage nach Kompensationsgutschriften (auch aus dem Wald- und Landsektor, also auch REDD+-Zertifikate) von den Fluggesellschaften kommen wird…
Eine ganz neue Idee für Kompensationsgutschriften aus dem Landsektor, die fossile Emissionen ausgleichen sollen, hat das Unternehmen Mootral, das sich hier in Marraksch bei der COP 22 groß präsentiert: Ohne Worte…
SBSTA agenda item 7: Agriculture
Die offiziellen Verhandlungen zu Landwirtschaft in der UNFCCC sind ziemlich verfahren und kommen kaum voran, die Interessenskonflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sind einfach zu groß. Besonders besorgniserregend ist, dass viele problematische Ansätze, die auf industrielle Landwirtschaft mit Monokulturen, hohem Düngemitteleinsatz und Gentechnik hinauslaufen, über die Hintertür Einzug in die Klimadebatte erhalten: Im Rahmen der sog. Global Climate Action Agenda (in der sowohl die Lima-Paris Action Agenda als auch NAZCA aufgehen) präsentiert sich Big Agrobusiness mit „Lösungen“ wie BECCS und Climate Smart Agriculture.
NGOs fordern in Marrakesch ein Arbeitsprogramm zu Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, dass sich sowohl mit Klimaschutz als auch mit Anpassung befasst und dafür sorgt, dass die oben genannten Themen (keine Offsets, Agroökologie statt industrieller Landwirtschaft, Menschenrechte und sozial-ökologische Kriterien) ganz klar im Vordergrund stehen.