„Do we know what we need to do in order to arrest and resverse global warming?“
Der Klimaaktivist und Autor Paul Hawken war zunächst verwundert und dann frustriert, dass es keine Shopping List der besten Maßnahmen gegen den Klimawandel gibt und hat sich schließlich selbst auf die Suche gemacht.
Das Ergebnis ist eins der vermutlich spannendsten Bücher zum Thema Klimawandel der letzten Jahre: Drawdown. Hakwen hat die letzten Jahre gemeinsam mit 70 ‚Drawdown Fellows‘ aus 22 Ländern an dem Projekt gearbeitet.
Herausgekommen ist eine Liste mit 80 konkreten Ideen, mit denen sich in den kommenden 30 Jahren insgesamt etwa 1050 Gigatonnen CO2-Äquivalente aus der Atmosphäre holen ließen.
Das ist enorm! Hier ein kleiner Vergleich: Das Umweltprogramm der vereinten Nationen schätzt, dass sich bis 2030 eine „Emissions Gap“ von 12 bis 14 Gigatonne ergibt, die wir zusätzlich reduzieren müssten, um die globale Erwärmung unter 2°C zu halten.
Außerdem gibt es eine weitere Liste mit 20 ‚coming attractions‘, die noch nicht wirklich genügend erforscht sind, um sie als konkrete Lösungen vorzuschlagen. Insgesamt also 100 Ideen gegen den Klima-Kollaps.
Allerdings sind nicht alle Lösungen, die im Buch auftauchen, tatsächlich gute Ideen! Hier meine eigene ganz persönliche Liste von The Good, The Bad & The Ugly… (nicht vollständig, nur beispielhaft!)
The Good – tolle Ideen, die ich im Mainstream der Klimadebatte meist vermisse:
- Drawdown listet eine ganze Reihe von Maßnahmen im Landsektor auf, die bestimmt großes Potential haben und jedenfalls sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdienen, als sie derzeit bekommen. Dazu zählen z.B. der tatsächliche Schutz (!) tropischer Regenwälder (nicht das Offsetting durch REDD+-Maßnahmen!), der Schutz der Rechte indigener Völker, vegetarische Lebensstile oder die Vemeidung von Lebensmittelabfällen (das landet sogar auf Rang 3 der Gesamtliste!).
- Im Verkehrssektor taucht der öffentliche Nahverkehr (mass transit) ebenso auf wie schnelle Züge (high-speed rail). Dazu kommt eine gute Fahrradinfrastruktur und Städte, die auf Fußgänger/innen ausgerichtet sind.
The Bad – problematische Lösungen, die ich hier eher nicht erwartet hätte:
- Bioenergie (die Probleme werden benannt, aber keine Konsequenz gezogen).
- Als Lösung für den Flugsektor werden effizientere Flugzeuge und Biotreibstoffe genannt (und der neue Offsetting-Mechanismus CORSIA positiv erwähnt).
- ‚Conservation Agriculture‘ kann alles und nichts heißen – aktuell heißt es leider eher allzu oft eine Fortsetung industrieller Landwirtschaft à la Monsanto mit weniger Pflügen.
- E-Mobilität als Lösung für den Verkehrssektor – leider wird hier keine Hierarchie geschaffen und klar gemacht, dass es vor allem um die Reduzierung des Individualverkehrs gehen muss und um nachhaltige und gerechte Verkehrskonzepte.
Zwar bennenen die einzelnen Kapitel auch durchaus die Probleme dieser Lösungen. Aber das hat das Drawdown-Team am Ende nicht davon abgehalten, diese Lösungen mit aufzunehmen…
The Ugly – absolute No Go Lösungen, die riesige Irrwege darstellen:
- Atomenergie (immerhin noch auf Platz 20).
- Großflächige Aufforstung – also vor allem Monokulturen.
- Geoengineering-Lösungen (also Direct Air Capture und Enhanced Weathering) tauchen als ‚coming attractions‘ auf und werden hier – leider – vor allem positiv beschrieben. (Übrigens: Biochar taucht auch unter den 80 Lösungen auf: Platz 72.)
Und dann gibt es natürlich noch viele Ideen, die im Buch fehlen.
- Warum zum Beispiel, konzentriert sich Drawdown sich auf die Bildung von Frauen und Mädchen, aber nicht auf die gendergerechte Erziehung von Jungen und Männern, die ihnen CO2-intensives Machogehabe abgewöhnt und klimaschädliche männliche Lebensstile obsolet macht?
- Warum befasst sich das Projekt mit dem Thema Recycling (auf Ebene des Haushalts und im industriellen Maßstab), übersieht aber das gigantische Potential, das darin liegt, unsere Gesellschaft weg vom westlichen Konsummodell und von imperialen Lebensweisen hin zu solidarischen Lebensstilen zu entwickeln? Das würde dann auch ein Infragstellen der Fokussierung auf Wirtschaftswachstum nach sich ziehen – und damit einiger der anderen ‚Lösungen‘ grundsätzlich erschweren (mehr Autoverkehr, mehr Flugverkehr, „grüner“ Zement usw.).
- Warum taucht das Wort ‚Agroecology‘ im gesamten Teil zum Landsektor kein einziges Mal auf (oder habe ich das Überlesen?), obwohl die wissenschaftliche Literatur hierzu sehr vielfältig und die Klimawirkungen gut belegt sind?
Hier ist ein Interview, das David Roberts von vox.com mit Hawken geführt hat. Darin nennt er eine Lösung, die sie aus Mangel an Daten nicht auflisten konnten:
David Roberts
If you had to guess, what’s the biggest potential contributor that you had to leave out for lack of data?
Paul Hawken
War.
David Roberts
Because it reduces population?
Paul Hawken
No, no, no — just the footprint of maintaining standing armies and militaries around the world. It must be extraordinary.
David Roberts
Oh, the carbon benefit of…
Paul Hawken
Of peace. Yeah. There is one.
Noch eine ‚Lösung‘ fehlt, die sonst in der Klimadebatte meist ganz vorne genannt wird: CCS (Carbon Capture and Storage). Im Interview mit David Roberts erklärt Paul Hawken, warum das keine Lösungen unter den Top 100 ist:
„It’s unaffordable. It doesn’t work. It has to work first, and then has to be affordable. Using carbon capture in Saskatchewan for depleted oil wells isn’t exactly a solution, especially when it’s only 40 percent capture and the company’s depending on the province to subsidize it.“