Ein Beitrag von Nils Simon, adelphi research
In der Politikwissenschaft gibt es die eingängige Unterscheidung zwischen Reden, Entscheiden und Handeln (talk, decision and action). Wohlmeinende Rede, so könnte man die zugrundeliegende Analyse zusammenfassen, führt noch lange nicht zu entsprechenden Entscheidungen, und selbst wenn solche gefällt werden heißt dies längst nicht, dass ihnen auch angemessenes Handeln folgt. Oder anders gesprochen: Aus Sonntagsreden gegen Umweltzerstörung folgt noch lange keine Nachhaltigkeits-Transformation.
Die Differenz zwischen Reden, Entscheiden und Handeln ist auf der dritten Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA3) besonders gut sichtbar geworden. Die UNEA3 kam vom 4.-6. Dezember 2017 in Nairobi, Kenia, zusammen (siehe dazu auch unseren Vorbericht). Kommunikativ trat das UN-Umweltprogramm stark auf. Mit dem Motto „A Pollution-Free Planet“ hatte man sich hehre Ziele gesetzt. Der dazugehörige Hashtag #BeatPollution wurde in den sozialen Netzwerken weit geteilt und auf sehr handfeste Weise in Form einer mit eingesammeltem Müll gefüllten Skulptur auf dem Konferenzgelände greifbar gemacht. Die Presseerklärung des UN-Umweltprogramms zum Abschluss der UNEA3 verlautbarte stolz: „World commits to pollution-free planet at environment summit.“ Der Teil mit dem Reden funktionierte also schon mal.
Auch entschieden wurde durchaus fleißig: 11 Resolutionen und drei gesonderte Entscheidungen verabschiedeten die Delegierten. Außerdem einigte man sich in Nairobi auf eine wohlklingende ministerielle Erklärung, die erste auf einer UN-Umweltversammlung. Das ist durchaus bemerkenswert in Anbetracht dessen, dass diese UNEA eigentlich eine außerplanmäßige Veranstaltung war. Sie wurde lediglich eingefügt, um beim 2016 beschlossenen Wechsel von geraden zu ungeraden Jahren der alle zwei Jahre stattfindenden Versammlung keine zu große Lücke bis 2019 entstehen zu lassen.
Trotzdem zeigt ein Blick auf das, was jenseits von Rede und Entscheidungen zu erwarten ist: Der große Wurf ist nicht darunter, und kaum jemand erwartet substanzielle Fortschritte auf Grundlage dieser Ergebnisse. Es fehlt den Beschlüssen dafür an den nötigen Visionen, konkreten Zielvereinbarungen und finanziellen Zusagen zur verstärkten Umsetzung.
Man verweist stattdessen stolz auf die 2,4 Millionen freiwilligen „pledges“, letztlich gute Vorsätze ohne Verbindlichkeit, die von Individuen, Organisationen und Staaten im Vorfeld der UNEA3 kundgetan wurden. Wie das mit guten Vorsätzen so ist, werden sicherlich einige davon eingehalten werden. Grundlegende strukturelle Probleme wie die Übernutzung natürlicher Ressourcen durch Akteure, die damit milliardenschwere Profite machen, wird man damit aber nicht lösen können. Das Beispiel der Plastikverschmutzung ist hierzu besonders erhellend.
In der entscheidenden Resolution zu Meeresmüll und Mikroplastik (UNEP/EA.3/L.20) wird der Spagat zwischen Reden, Entscheiden und Handeln gut sichtbar. Um wenige Resolutionen wurde so energisch diskutiert, und an kaum einer wurde so ausgiebig gefeilt wie an dieser, obwohl das Ergebnis am Ende überschaubar ist. Eingebracht worden war der Entwurf von Norwegen, und unterstützt wurde er formell von Australien, Irak und Monaco. Der erste Streitpunkt war gleich die langfristige Vision: Während Norwegen dafür eintrat festzuschreiben, den Eintrag von Plastikmüll in die Meere vollständig zu eliminieren, versuchten Länder wie die USA und China es mit schwächeren Formulierungen wie einer „Minimierung“ oder einer Eliminierung nur dort, wo es „möglich“ sei. Beides hätte erhebliche Schlupflöcher offengehalten. Zwar konnte sich Norwegen mit der Formulierung für eine langfristige Eliminierung durchsetzen, aber der Preis dafür war, dass an keiner Stelle der Resolution die Rede von einem „Ziel“ sein durfte. Deshalb beschlossen die Delegierten auch keinen Zeitplan zur Umsetzung, und völkerrechtlich verbindliche Maßnahmen gibt es erst recht nicht.
Bei den Verhandlungen auf der UNEA war ein neuer Umweltschutzvertrag gegen Plastikmüll kein ausdrückliches Thema, er wurde aber implizit immer wieder mit bedacht. Völkerrechtliche Verbindlichkeit bei der Bekämpfung von Plastikmüll schwebte als unausgesprochenes Gespenst durch die Verhandlungen. Dazu beigetragen hatten zivilgesellschaftliche Organisationen, die im Vorfeld deutlich stärkere Maßnahmen zum Schutz der Meere und vor allem deren strikte Umsetzung gefordert hatten, und Medien, die auf die verheerenden Folgen der Meeresvermüllung hingewiesen hatten. (Einige davon hat die Heinrich-Böll-Stiftung in ihrem Meeresatlas dargestellt.)
Sichtbar wurde dies nicht zuletzt an einem zentralen Streitpunkt der Verhandlungen, die Einsetzung einer Expertengruppe für einen Folgeprozess. Diese soll bis zur UNEA4 im März 2019 einen Bericht vorlegen und darin alle Hindernisse gegen müllfreie Ozeane behandeln und die Handlungsoptionen darstellen, um das Problem anzugehen – und hier sind klar auch rechtlich verbindliche Ansätze erwähnt. Der entsprechende Beschluss baut auf einer lesenswerten Hintergrundstudie auf, welche ein Team um die australische Wissenschaftlerin Karen Raubenheimer im Auftrag von UN Environment ausgearbeitet hatte. Darin räumte sie den Optionen für ein Plastikabkommen umfangreichen Platz ein.
Nun hatte niemand realistischer Weise erwartet, dass die Delegierten auf der UNEA3 bereits Verhandlungen über ein Abkommen ins Leben rufen würden. Das dürfte sogar in einem sehr optimistischen Szenario frühestens auf der UNEA4 der Fall sein. Nimmt man das übliche Tempo der Vereinten Nationen als Maßstab, ist dies aber vor der UNEA5 im Jahr 2021 eher unwahrscheinlich. Weitere vier Jahre Wartezeit bedeuten grob geschätzt weitere 30 bis 50 Millionen Tonnen Plastikmüll, die in die Meere fließen, bevor man mit den Verhandlungen auch nur angefangen hat!
Trotz des überschaubaren Ergebnisses bewerteten ganz unterschiedlich Gruppen die Umweltversammlung als erfolgreich. Wenn sowohl der Branchenverband Plastics Europe die Resolution „begrüßt“ als auch der WWF darin den „dringend benötigten globalen Konsens“ ausmacht, dann ist der Beschluss entweder wirklich gut – oder man hat sich mit dem langsamen Tempo und den offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung vielleicht schon etwas zu weit arrangiert.
Nun dreht sich die Welt auch ohne Plastikabkommen weiter, und aktuell stellt der Plastikmüll einmal nicht nur die Ozeane, sondern Europa und die USA vor akute Probleme. Im Sommer 2017 hatte China einen Importstopp für Plastik- und anderen Müll verkündet. Offiziell soll dieser erst im März 2018 greifen, aber da der in Europa gesammelte Müll mitunter viele Wochen auf See unterwegs ist, bis er beim größten Müll-Importeur der Welt ankommt, haben viele Abfallwirtschafts-Unternehmen kalte Füße bekommen und lagern den Plastikmüll hierzulande. Die FAZ titelte unlängst „Deutschland versinkt im Plastikmüll“, und der britische Umweltminister Michael Gove hat zugegeben, sich über die Folgen des Importstopps noch gar keine ernsthaften Gedanken gemacht zu haben. Es fehlt in allen westlichen Ländern an Recycling-Anlagen, einschließlich in Deutschland, um die jährlich anfallenden anderthalb Millionen Tonnen an verwertbarem Plastik auch wirklich zu verwerten.
Während das Müll-Problem damit auch mal uns selber trifft statt es immer bequem auszulagern, investiert die Industrie Milliarden – aber nicht in den Ausbau der Recycling-Infrastruktur, sondern in weitere Produktionssteigerungen! Über 180 Milliarden US-Dollar sind seit 2010 an Investitionen in die Grundstoffproduktion für Plastik geflossen. Diese Berechnung veröffentlichte CIEL kürzlich in der jüngsten Publikation der lesenswerten Reihe „Fueling Plastics.“ Die Plastik-Herstellung wird sich so absehbar in den kommenden Jahrzehnten erheblich vergrößern, bis zu einer Vervierfachung prognostizierte die Ellen MacArthur Foundation. Ohne verbindlichen Rahmen, der Plastik entlang seines ganzen Lebenszyklus vom Design, der Rohstoffgewinnung, der Produktion, Verwendung, dem Recycling und der letztlichen Entsorgung reguliert, wird ein weiter zunehmender Anteil in der Umwelt landen. Der Beschluss von Nairobi war bestenfalls ein erster Schritt auf diesem Weg. Ihm werden noch viele folgen müssen.