Brasilien ist eine große Agrarmacht und eben auch eine große Biotechnologie-Nation. Auseinandersetzungen um alte und neue Methoden der Gentechnik stehen hier immer wieder auf der politischen Tagesordnung und führen zu gesellschaftspolitischen Kämpfen.
Aktuell schlagen Organisationen Alarm, die über eine Million Bäuerinnen und Bauern vertreten, denn die Nationale Biosicherheitskommission hat am 15. Januar eine Resolution verabschiedet, die die Anwendung der sog. Gene Drive Technologie in freier Wildbahn erlauben würde. Damit wird Brasilien zum ersten Land auf der Welt, das die Legalisierung dieser umstrittenen Technologie vorantreibt, während auf internationaler Ebene im Rahmen der UN Biodiversitätskonvention CBD um eine Regulierung gestritten wird und ein Moratorium als Option im Raum steht.
Die Sorge der brasilianischen Bäuerinnen und Bauern ist die, dass die großen Agrarkonzerne mithilfe dieser Technologie nicht nur noch mehr gentechnisch manipuliertes Saatgut verwenden werden, sondern die Macht bekommen, ganze Ökosysteme und Populationen zu verändern. Denn darum geht es bei den Gene Drives:
Was sind Gene Drives?
Gene Drives verkörpern das neue Grenzland der Gentechnik, der synthetischen Biologie und des Gene Editings. Die Gene Drive Technologie schaltet die normalen Regeln genetischer Vererbung aus und sorgt dafür, dass ein bestimmtes Merkmal, das von Menschen mittels Gene-Editing-Technologie in die DNA eines Organismus eingeführt wurde, sich auf alle kommenden Generationen verbreitet und so die Zukunft der gesamten Spezies verändert. Gene Drives sind damit ein biologisches Instrument sehr großer Wirkungsmacht. Ein Vorschlag zielt darauf ab, Gene Drives zur Ausrottung von Mückenarten zu verwenden, die Malaria verbreiten – so zum Beispiel im Target Malaria Projekt, das von der Gates Stiftung finanziert wird. Ein anderer propagierter Plan der Organisation Island Conservation sieht vor, invasive Arten auf bestimmten Inseln ausrotten, indem man dort genveränderte Mäuse aussetzt. Diese Mäuse sollen verhindern, dass die dortigen Mäuse weibliche Nachkommen haben. Die Erschaffung der „tochterlosen Maus“ wäre der erste Schritt auf dem Weg zur genetischen Kontrolle invasiver Nagetiere.
In der Landwirtschaft gibt es zahlreiche potentielle Anwendungsfelder für Gene Drives, u.a. für die VEränderung der Pestizifresistenz bei Unkraut oder der Bestimmung des Geschlechts von Zuchttieren.
Gene Drives bedeuten nicht nur ein großes Biosicherheitsrisiko bei der Forschung oder möglichen Anwendung, die auf die Veränderung ganzer Arten und Ökosysteme setzt, sondern werfen große Fragen auf, wenn es um die Patentierung und auch um die eventuelle Nutzung als potente biologische Waffen geht.
Mehr zu Gene Drives:
Die Gefahren geplanter Ausrottungen von Claire Hope Cummings
Reckless Driving: Gene drives and the end of nature (Briefing der Civil Society Working Group on Gene Drives)
Offener Brief für Naturschutz mit Gewissen: Kein Platz für Gene Drives
Wie die Bill und Melinda Gates Foundation und das amerikanische Militär einen UN-Prozess zur Regulierung dieser Technologie gezielt manipuliert haben, belegen die Gene Drive Files.
Die Biotechnologiebranche versucht aktuell weltweit, die neue Generation von Technologien, die man unter dem Begriff der Synthetischen Biologie zusammenfassen kann, durch gezieltes Lobbying von jeglicher Gentechnikgesetzgebung auszunehmen. Dafür argumentieren sie gerne – je nachdem, wie es gerade besser passt – dass diese Technologien bereits durch existierende Regeln erfasst seien oder dass es sich gar nicht um Gentechnik handle.
Brasilien ist nun jedoch das erste Land, das Gene Drives explizit in einen Vorstoß für eine solche Legalisierung aufgenommen hat. Die Reaktionen der Bauernverbände und auch Wissenschaftler/innen des Landes zeigen aber, dass die Regierung mit starkem Gegenwind zu rechnen hat.