Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment), gegründet 1972, ist ein Unterorgan der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA). Im Nachgang des Rio+20-Gipfels 2012 wurde der Verwaltungsrat (Governing Council) aufgewertet und hat nun die universelle Mitgliedschaft aller UN-Mitgliedstaaten. Außerdem wurde das Entscheidungsgremium umbenannt in UN-Umweltversammlung (UN Environment Assembly, UNEA).
Die erste UNEA fand im Juni 2014, die zweite im Mai 2016 und die dritte im Dezember 2017 statt – jeweils in Nairobi, dem Sitz von UN Environment. Die behandelten Themen reichten von Luftreinhaltung über die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Biodiversitäts-Abkommen, die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, bis hin zu Chemikalien in der Umwelt und Plastikmüll im Meer. So wurden viele wichtige Themen der internationalen Umweltpolitik behandelt und in Resolutionen gegossen.
Was die UNEA zu einem attraktiven Ort für die internationale Umweltbewegung macht, ist die Tatsache, dass die Umweltversammlung den Startschuss für Verhandlungen über völkerrechtlich verbindliche Abkommen erteilen kann und bestimmte Themen zur Debatte und Entscheidung in die Generalversammlung der Vereinten Nationen einspeisen kann. Beides sind Wege, identifizierte Lücken und Schwachstellen in der Regulierung von Umweltproblemen zu schließen.
Das höchste Entscheidungsgremium der UN in Sachen Umweltpolitik befasst sich im Rahmen der UNEA4 vom 11. bis 15. März 2019 mit dem Thema „Innovative solutions for environmental challenges and sustainable consumption and production“.
Für die Heinrich-Böll-Stiftung und ihrer Partner/innen sind vor allem die folgenden beiden Themen relevant, die als Resolutionen bei der UNEA4 diskutiert und verhandelt werden:
Plastik:
In der Resolution zu Meeresmüll und Mikroplastik der UNEA 3 (Dezember 2017) wurde der Spagat zwischen Reden, Entscheiden und Handeln, vor dem die UN immer stehen, wieder einmal gut sichtbar: Um wenige Resolutionen wurde so energisch diskutiert, und an kaum einer wurde so ausgiebig gefeilt wie an dieser, obwohl das Ergebnis am Ende überschaubar war. Vor allem wurde eine „Ad Hoc Open-Ended Expert Group on Marine Litter and Microplastics“ ins Leben gerufen, die sich im Jahr 2018 zwei Mal traf (hier gibt es Bewertungen der Ergebnisse durch die Break Free From Plastic Bewegung).
Für die UNEA4 geht es nun darum, dafür zu sorgen, dass die Option eines neuen umfassenden, rechtsverbindlichen Plastik-Abkommens auf dem Tisch bleibt. Die Regierungen müssen das Plastikproblem umfassend angehen und sich auf die Betrachtung der negativen Auswirkungen von Plastik entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Extraktion des Rohstoffs (Erdgas oder Erdöl) bis zum Umgang mit dem Müll beziehen und dabei nicht nur die sichtbaren Probleme angehen (Müllberge, Meeresverschmutzung), sondern eben auch die im Plastik enthaltenen giftigen Chemikalien. Klar ist, dass vorhandene Regulierungsinstrumente (sei es im Bereich der Ozean-Governance oder der Chemikalien-Regulierung) zwar notwendig und wichtig sind, aber bei weitem nicht ausreichen. Ein neues rechtsverbindliches Instrument oder Abkommen könnte genau diese Lücken schließen. Das haben wir übrigens bereits 2016 in einer gemeinsamen Studie mit adelphi gezeigt.
Freiwillige Maßnahmen und Selbstverpflichtungen seitens der Regierungen oder Konzerne reichen bei weitem nicht aus, um das Problem in den Griff zu bekommen. Hier sind die Interessenskonflikte mächtiger Akteure einfach zu groß. Daher ist es umso wichtiger, dass die Verhandlungen in der UNEA frei von profitgetriebenen Interessen und Lobbyeinflüssen der Industrie stattfinden können.
Wir sind als Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit der Break Free From Plastik Bewegung und zahlreichen Partner/innen aus aller Welt vor Ort in Nairobi dabei und setzen uns für eine umfassende, rechtsverbindliche und konsequente Regulierung ein, die das Plastikproblem an der Wurzel packt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht.
Geoengineering:
Die Befürworter/innen von Geoengineering sind sich der zunehmend lautstark artikulierten Kritik an ihren Vorhaben aus der internationalen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit sehr bewusst; es werden Freilandexperimente verschoben oder auf Eis gelegt, öffentliche Förderung für die Erforschung und Entwicklung dieser Technologien fällt weiterhin spärlich aus.
Gleichzeitig gibt es Vorstöße, die Frage der internationalen Governance von Geoengineering auf der internationalen Ebene auf die Tagesordnung zu setzen. Im Januar hat die Regierung der Schweiz, mit Unterstützung von Mali, Burkina Faso, Niger, den Förderierten Staaten von Mikronesien und Mexiko eine Resolution zu Geoengineering-Governance bei der UNEA 4 eingebracht.
Inwiefern dieser Vorstoß der Regulierung von Governance eher nützt oder schadet, ist derzeit noch nicht vollständig abzusehen – und hängt letztendlich auch vom konkreten Verhandlungsergebnis der Resolution in Nairobi ab.
Für einen Einsatz von Geoengineering in näherer Zukunft sprechen sich derzeit – insbesondere im Bereich Solar Radiation Management (SRM) – die wenigsten aus. Zudem ist keine der Technologien in einem technologischen Entwicklungsstadium, das ihren klimarelevanten Einsatz erlauben würde. Es zeigt sich aber, dass die Befürworter/innen von Geoengineering bereits jetzt versuchen, den rechtlichen Rahmen zu definieren und Governance-Mechanismen für einen perspektivischen Einsatz zu errichten. Die Forderung nach „Governance“ soll der Forschung und der weiteren Entwicklung dieser Technologien Legitimation verschaffen.
Wir sind überzeugt: Geoengineering braucht Regulierung und aufgrund des globalen, grenzüberschreitenden Charakters kann und muss diese auf der Ebene der Vereinten Nationen angesiedelt sein. Wichtig ist aber vor allem, dass dabei die Ziele, Kriterien und einzuhaltende Verfahren der Regulierung stimmen. Die Prüfung der Risiken auf die Umwelt und gleichzeitig die sozioökonomischen, geopolitischen und demokratiepolitischen Risiken und Auswirkungen müssen zentral adressiert werden. Welche Anwendungen müssen ausgeschlossen werden? Ein Verbot besonders gefährlicher Technologien (inklusive des Verbots von Freilandversuchen) sollte als Option unbedingt für eine solche Resolution genannt werden.
Viele der Wissenschaftler/innen, die zu Geoengineering forschen sowie auch die fossile Industrie, halten eine Vielzahl an Patenten auf bestimmte Geoengineering-Technologien und haben kommerzielles und anderweitiges Interesse an ihrer weiteren Erforschung oder gar Anwendung. Diese Interessen sorgen nicht selten dafür, dass die Bewertung von Geoengineering zu positiv ausfällt und die substantiellen Risiken und Nebenwirkungen unterbelichtet bleiben. Hier braucht es also eine klare Conflict of Interest policy und einen umfassend transparenten, demokratischen Prozess, der auf breite Expertise setzt und auch Wissen und Erfahrungen jenseits der natur- und ingenieurswissenschaftlichen Disziplinen, die die Diskussion um Geoengineering, insbesondere mit einer Perspektive aus dem Globalen Norden, dominieren.
Zudem müssen die bestehenden internationalen Regulierungsansätze, darunter das de facto Moratorium der CBD (2010) sowie die Regulierung von marinem Geoengineering unter dem London Protocol der London Convention, welches die Bundesregierung im letzten Jahr ratifiziert hat, die zentralen Ausgangspunkte für die weiteren Diskussionen über die internationale Regulierung von Geoengineering sein.
Wie wichtig diese existierenden Regulierungen sind, macht unter anderem auch das Umweltbundesamt in einem aktuellen Policy Brief zum Thema deutlich.
Sollten einige dieser Bedenken in Nairobi nicht adressiert werden, droht die Resolution, die Debatte und das Themenfeld weiter zu legitimieren und den Befürworter/innen – und eben auch den fossilen Lobbyinteressen – Auftrieb zu verschaffen.
Wir plädieren aus all diesen Gründen dafür, die UNEA-Resolution in ihrer jetzigen Form nicht zu unterstützen und die genannten Änderungen einzufordern, um sicherzustellen, dass „Governance“ von Geoengineering nicht einfach nur die Steuerung der Implementierung meint, sondern restriktive Regulierung – inklusive der Option eines Verbots besonders gefährlicher Technologien – ebenso Teil der weiteren Debatte ist.
Mit dieser Forderung sind wir nicht allein: fast 200 Organisationen haben Ende 2018 mit dem Hands Off Mother Earth Manifesto ein Verbot von Geoengineering und Freilandexperimenten gefordert,
Übrigens: Kürzlich haben wir unsererseits gemeinsam mit dem Center for International Environmental Law (CIEL) einen neuen Bericht zu Geoengineering und den Verstrickungen der fossilen Industrie in diese Hochrisiko-Technologien veröffentlicht. Der Bericht Fuel to the Fire: How Geoengineering Threatens to Entrench Fossil Fuels and Accelerate the Climate Crisis analysiert, wie das zunehmende Interesse an Geoengineering als vermeintliche Wunderwaffe gegen den Klimawandel in Wirklichkeit die international vereinbarten Pariser Klimaziele schwächt und darauf ausgelegt ist, die fossile Infrastruktur auf weitere Jahrzehnte am Leben zu erhalten und abzusichern.
Wir hoffen, dass dieser Bericht über die bereits bekannten sozialen und ökologischen Risiken und Nebenwirkungen von Geoengineering hinaus noch einmal deutlich macht, dass Geoengineering keinesfalls eine Antwort auf den Klimawandel sein kann, sondern die zentrale Stellung der fossilen Industrie zementiert und dadurch zu mehr fossiler Extraktion und zu mehr Emissionen statt weniger führt.
Wichtigste Publikationen / Ressourcen zum Thema Plastik:
- „Stopping Global Plastic Pollution: The Case for an International Convention“
- „Plastic & health: The hidden costs of a plastic planet“
Ankündigung:
Plastik-Atlas: Am 06. Juni 2019 erscheint der Plastik Atlas 2019 der Heinrich-Böll-Stiftung und des BUND und wird auf einer Pressekonferenz am gleichen Tag vorgestellt.
Wichtigste Publikationen / Ressourcen zum Thema Geoengineering:
- Geoengineering at UNEA-4: Why the SDGs Require a Governance Debate Based on Precaution, Rights and Fairness
- Irrweg Geoengineering
- Fuel to the Fire
- The Big Bad Fix: The case against geoengineering
- Dem Geo-Sturm standhalten – Ein zivigesellschaftliches Briefing zur Governance von Geoengineering
- Governance for a Ban on Geoengineering
- Dossier: Geoengineering
- Geoengineering Monitor
- Geoengineering Map
- Hands off Mother Earth: Manifesto against Geoengineering