Neue Gruppierungen von zumeist jungen Leuten protestieren für den Klimaschutz. Es geht ihnen längst nicht mehr nur um Eisbären. Es geht ihnen um das eigene Überleben.
Ein Beitrag von Stefanie Groll, Heinrich-Böll-Stiftung
In den letzten Monaten gab es viele kleine Aktionen, Streiks und große Demos für den Klimaschutz. Sie waren getragen von ungewöhnlich vielen jungen Leute. Fridays for Future (FFF), Extinction Rebellion, Ende Gelände oder auch Sunrise Movement aus den USA sind Gruppierungen, die dabei in Erscheinung traten.
Sie wollen leben, überleben
Die Gruppierungen sind nicht weder demografisch noch in ihren Analysen und Methoden vollkommen homogen. Es bleibt auch noch abzuwarten,inwiefern aus der Bandbreite der Gruppen und Aktionen eine Bewegung wird. Als eine Klammer oder ein gemeinsames Ziel schält sich heraus: Der Planet Erde soll für die Menschen bewohnbar bleiben. Die jungen Leute gehen auf die Straße und teilweise in die Parlamente, weil sie sauer sind und weil sie Angst haben. Klima- und Umweltschutz ist der Schlüssel zum Überleben. Dieses soll möglichst gerecht und solidarisch gesichert werden, in Würde und Freiheit für die Menschen. Überleben können sollen nicht nur ein paar Superreiche, die sich in Neuseeland Bunker bauen.
Die Existenzangst, die die Jungen antreibt, brachte die 19-jährige Fridays for Future-Aktivistin Therese Kah kürzlich bei „Anne Will“ auf den Punkt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki hatten argumentiert, man dürfe Klimaschutz nicht höher bewerten als das gute Leben der Kohle-Kumpels. Kah erwiderte: „Und was ist mit meiner Existenz? Was ist mit meinem Leben? Und dem Ihrer Kinder und Enkel?“
„Ihr wollt die Klimakrise durch individuellen Konsumverzicht verhindern“
Allenthalben wird Fridays For Future (FFF) unterstellt, dass diese Bewegung behaupte, individueller, freiwilliger und vielleicht moralisch begründeter Konsumverzicht könne die Klima- und Ökokrise lösen. Ihr kategorischer Imperativ sei „Du musst dein Leben ändern, um den Planeten zu ändern“, meint Ralf Fücks. Und weiter: „[Es ist] grundverkehrt, die ökologische Frage zu privatisieren, statt sie zu politisieren. Die Lebensführung eines jeden Einzelnen ist von Strukturen abhängig, die wir nur gemeinschaftlich verändern können.“ Einverstanden mit dieser Aussage. Aber nicht mehr der Unterstellung. Es ist eben nicht so, dass FFF oder die anderen oben genannten Gruppen die ökologische Frage privatisieren wollen. Eine aktuelle Umfrage des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung zeigt, dass die FFF-Demonstrierenden der aktuellen Regierung nur wenig Problemlösungskompetenz bescheinigen. Heißt das, dass sie darum ökologische Ordnungspolitik oder pauschal demokratisch-staatliche Institutionen ablehnen? Mitnichten! Laut Umfrage haben die Streikenden sind die FFF-Streikenden zwar der Ansicht, dass Regierung bisher wenig Lösungskompetenz bewiesen. Gleichzeitig haben sie aber Zuversicht, dass politische Entscheidungen und Regierungen die Klimakrise noch eindämmen können.
Fridays for Futures: Eine neue Protestgeneration?
Insbesondere von prominenteren Gesichtern der deutschen FFF-Bewegung wie Luisa Neubauer oder Franziska Wessel ist wiederholt zu lesen und zu hören, dass sich in der Politik etwas ändern muss. Viele suchen gezielt und strategisch den Kontakt mit Politiker/innen und Entscheidungsträger/innen. Sie wollen im Umweltausschuss und im Parlament reden. Gleichzeitig werden sie von Politiker/innen eingeladen und hofiert. Auch Extinction Rebellion (Rebellion gegen das Aussterben) richtet sich direkt an die Regierungen und erschöpft sich nicht in moralischen Appellen. So lautet eine der drei Kernforderungen: „Die Regierung muss verbindliche Maßnahmen ergreifen, um bis 2025 auf Netto-Null-Emissionen zu kommen und den allgemeinen Konsum zu reduzieren.“ Das sind ordnungspolitische Forderungen, keine Appelle an Konsumverzicht im stillen Kämmerlein.
„Geht doch in Parteien und engagiert Euch da!“
Vertreter/innen von Verbänden werfen den Protestierenden vor, dass sie nicht in Parteien oder etablierte Verbände gehen und dort wirksam werden. Das sei doch viel effektiver und effizienter. Dem ist erstens zu entgegnen, dass Politik eben nicht nur in Parlamenten, sondern auch auf der Straße gemacht wird. Zivilgesellschaftliches Engagement hilft nicht nur mit, elementare Aufgaben für ein funktionierendes Gemeinwesen zu erfüllen, also da einzuspringen, wo der Staat sich zurückzieht. Zivilgesellschaftliches Engagement in Form von Protest und Widerstand ist auch ein integraler Bestandteil freiheitlicher Demokratien und belebt diese. Zweitens kann es gut sein, dass die Menschen über die Politisierung auf der Straße später ihren Weg in Parteien, Verbände und Parlamente finden. Drittens müssen etablierte Akteure wie Parteien, Gewerkschaften und Verbände Wege finden, das zunehmend punktuelle und fluide Mitmach-Interesse vieler Bürgerinnen und Bürger (nicht nur Jugendliche sind sprunghaft!) zu organisieren und zu kanalisieren. Viertens ist es so, dass es ja durchaus Akteure in den Gruppierungen gibt, die sowohl graswurzelmäßig als auch parteilich oder verbandlich engagiert sind.
„Geht doch in die Schule und lernt was, mit dem ihr Welt verbessern könnt.“
Ein exemplarisches Beispiel für diesen Vorwurf findet sich – wenig überraschend- in einem Meinungsbeitrag auf Welt Online: „[Sie sollten] Schulbildung ernst nehmen, damit sie Teil der Generation werden, die […] Innovationen im Bereich des Ökostroms vorantreibt, damit dieser so günstig wird, dass sein Preis letztlich unter dem der fossilen Brennstoffe liegt und der Klimaerwärmung ein für alle Mal Einhalt gebietet.“ Diese Aufforderung zeigt, dass der Sprechende weder den Ernst der Lage noch die politische Strategie der Schulstreikenden verstanden hat. Die Erwachsenen und Politiker/innen, die in dieser paternalistischen Form sprechen, entziehen sich der eigenen Verantwortung jetzt zu handeln, ihre Macht, ihre Expertise und Ressourcen jetzt für Klima- und Umweltschutz einzusetzen. Sie spielen den Ball zurück an die jungen Menschen, die in 5 bis 15 Jahren in eine Position kommen könnten, in der sie politische Entscheidungen treffen, vielleicht regieren, Energiespeicher bauen und risikofreie Technologien zum CO2-Abbau ans Laufen zur bringen. Dieses Verschieben von Verantwortung ist – mit Verlaub – jämmerlich. Die Jugendlichen wissen, dass sie aufgrund der drängenden ökologischen Krisen nicht mehr 5-15 Jahre warten können bis sie „an die Macht“ kommen. Genau deswegen appellieren sie ja an die Politiker/innen und Erwachsenen von heute.
„Euer Alarmismus ist überzogen und führt zu Angststarre“
Den protestierenden Jugendlichen und ihre Mitstreiter/innen wird vorgeworfen, dass ihr Krisen-Framing überzogen und/oder kontraproduktiv sei. Dass die planetaren Grenzen nahezu erreicht und Klima-Kippunkte teilweise überschritten sind, darüber sind sich die meisten Klimawissenschaftler/innen jedoch einig. Die Bewegung ist wissenschaftsnah, kennt die Fakten und leitet daraus klimapolitische Forderungen ab. Der Tenor ist: „Die Lage ist ernst. Wir haben wirksame politische Instrumente und funktionierende, risikoarme Technologien wie Erneuerbare Energien. Wir müssen sie jetzt anwenden.“ Damit sprechen sich die Aktiven gleichzeitig gegen unumkehrbare Technologien á la Geoengineering aus.
Der Bewegung wird Überzogenheit vorgeworfen, der Tonfall und das Framing ihrer Kommunikation sei kontraproduktiv, weil angstmachend. Zitiert wird dabei gerne Greta Thunberg, die zum Beispiel am 20. März 2019 in Berlin sagte: „Wir sollten Panik haben. Und mit Panik meine ich nicht rumzurennen und zu schreien. Ich meine unsere Komfortzonen zu verlassen. Denn wenn man in einer Krisensituation ist, ändert man sein Verhalten.“ Es ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt, inwiefern eine krisenbeschreibende bis angstmachende Kommunikation bei den Empfänger/innen zu Resignation oder Rückzug führt. Menschen reagieren höchst unterschiedlich auf Gefahren und die Rede darüber. Umweltpsycholog/innen und Kommunikationsexpert/innen machen mitnichten pauschale Aussagen dazu, inwiefern eine realistische oder beschwichtigende Klimakommunikation dem Klimaschutz, der Energiewende und dem nachhaltigen Konsum zuträglich ist.
Rebellion gegen das Aussterben
Extinction Rebellion gibt der Trauer und Angst um die Zerstörung der Lebensgrundlagen Raum, um daraus Kraft für die Rebellion gegen das Aussterben ziehen. Das kann man als esoterischen Politikansatz diskreditieren oder als spirituelles Gedöns abtun. Gleichwohl hat der holokratische Verbund von Extinction Rebellion in nur wenigen Monaten sehr viele Mitstreitende gefunden: Allein in Deutschland haben sich bereits über 30 Ortsgruppen gebildet. Extinction Rebellion hat überhaupt keine Scheu vor Krisenkommunikation und Alarmismus. Das ist für die Gruppierung die einzig angemessene Kommunikationsform in Zeichen der nahezu galoppierenden Biokrise. Deswegen ist auch ihre erste Kernforderung: „Die Regierung muss zusammen mit den Medien die Wahrheit über die akute Bedrohung durch die Klimakrise und die Zerstörung unserer Ökosysteme kommunizieren.“
Die Betonung der Existenzgefährdung macht die Proteste existentialistisch: Die Protestierenden sorgen sich um ihre eigene Existenz, um ihr Überleben auf diesem Planeten. Wie die Existenzialisten-Superstars Sartre und de Beauvoir mischen sich die neuen Gruppierungen leidenschaftlich ein, rufen zum politischen Engagement und Handeln auf. Der Glaube an das Engagement wurzelt bei den neuen Existenzialisten in einer an das 21. Jahrhundert angepassten Goldenen Regel: Regiere und handle so, dass dein Regieren und Handeln das Überleben der Menschen in Würde und Freiheit sichert.
Update vom 08.04.2019
Am 8. April 2019 haben Fridays For Future Deutschland im Berliner Naturkundemuseum ihre Forderungen an die Politik vorgestellt. Passenderweise fand die Pressekonferenz im so genannten Sauriersaal statt. Wie Extinction Rebellion fordern FFD die „Regierungen auf Kommunal- Landes- und Bundesebene auf, die Klimakrise als solche zu benennen und sofortige Handlungsinitiative auf allen Ebenen zu ergreifen.“ Ihre Ziele und Forderungen leiten sie konsequent aus dem Pariser Klimaabkommen ab.
- Nettonull 2035 erreichen
- Kohleausstieg bis 2030
- 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035
„Entscheidend für die Einhaltung des 1,5°C-Ziels ist, die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich stark zu reduzieren. Deshalb fordern wir bis Ende 2019:
- Das Ende der Subventionen für fossile Energieträger
- 1/4 der Kohlekraft abschalten
- Eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen. Laut UBA sind das 180€ pro Tonne CO2“
Die Forderungen sind Ausdruck eines radikalen Realismus, in Bezug auf die Dringlichkeit der Probleme und die Pfade und Instrumente, die ja schon bereitstehen, um die umfassende Biokrise, mit der Klimakrise im Zentrum, abzumildern.