#IneosVthePeople: Der relativ unbekannte Chemie-Gigant aus dem Plastikland!

Von Andy Gheorghiu

Ineos wer? So oder so ähnlich habe ich auch reagiert als ich das erste Mal von Ineos hörte.

Dabei gehörte das Unternehmen 2019 erneut zu den Top 5 chemischen Unternehmen weltweit (gemessen an Verkäufen im Wert von €27 Mrd.). Ineos ist zudem Europas Nummer 1 Produzent von Ethylen, dem Grundbaustein der heutigen petrochemischen Industrie und unerlässliche Komponente für die Produktion von Plastik.

Seit 2016 nimmt Ineos laut eigener Vorstellung eine entscheidende Pionierrolle für die Chemieindustrie in Europa ein. Dabei setzt das Unternehmen massiv auf Fracking-Gas als Rohstoff für seine Plastikproduktion

Zu einer Zeit, wo wir dringend sowohl die Nutzung fossiler Brennstoffe als auch die Produktion und den Verbrauch von Plastik drastisch reduzieren müssen, setzt Ineos mit seinen Investitionen bewusst auf vergangenheitsorientierte Businessmodelle. Damit ist die Firma in den letzten Jahren auch zu einem wichtigen Adressat der Anti-Fracking und Anti-Plastik-Bewegung geworden.

Kleine Historie

Ineos wurde 1998 in Antwerpen von Jim Ratcliffe (mit rd. 60% der Anteile Haupteigner des Unternehmens) gegründet. Ineos wuchs rasant durch den Aufkauf unterschiedlichster Chemieunternehmen, u.a. die Firma Innovene, die Ineos von BP in 2005 erwarb. Hierdurch gelangte Ratcliffe in den Besitz des großen Chemie-Standortes Grangemouth in Schottland. Der Deal kostete Ratcliffe – mittlerweile einer der reichsten Briten und Multi-Milliardär – rd. €5,72 Mrd., die er mit Krediten und Junk-Bonds in Höhe von rd, €5,49 Mrd. absicherte. Der Schuldenstand wuchs mit den Jahren – u.a. durch weitere Aufkäufe – weiter an. Der Finanzcrash von 2008 schüttelte Ratcliffe’s Imperium zum ersten Mal ordentlich durch. In 2009 betrug der Schuldenberg Ineos rd. €6,7 Mrd. und Ratcliffe war gezwungen, die Schließung von Standorten wie Grangemouth in Erwägung zu ziehen.

Trans-atlantische #Fracking4Plastics Connection

Doch anstatt Grangemouth zu schließen, entschied sich Ratcliffe dafür, seinen Kreditgebern – zu denen die üblichen Verdächtigen Finanziers der klima-/umweltfeindlichen Öl-/Gas-/Chemie-Szene gehören, u.a. Barclays, Merril Lynch, Morgan Stanley – eine neue Perspektive für neue massive Investments zu präsentieren. Mit diesem Schachzug war auch wieder zeitweise die Deckung der massiven Schulden gesichert.

So der so ähnlich entstand wohl der Plan, gezielt auf gefracktes Gas als Rohstoff für die Plastikproduktion zu setzen und eine trans-atlantische Versorgungskette aufzubauen. Zu dem Zeitpunkt hatte die Fracking-Industrie – insbesondere in Pennsylvania – bei der Förderung von sogenanntem Trockengas, d.h. Methan, auch einen hohen Förder-Anteil an sogenanntem Nassgas, d.h. Ethan, Propan oder Butan. Dieses Nassgas war jedoch lange Zeit nur Beiprodukt. Die intensive Ausweitung der Fracking-Förderung innerhalb kürzester Zeit (über 10.000 Bohrplätze in rd. 10 Jahren im ländlichen Pennsylvania) ging nicht nur mit immensen negativen Auswirkungen für das Klima, die Umwelt und die menschliche Gesundheit einher, sondern produzierte auch eine Schwemme an den Beiprodukten Ethan, Propan und Butan, für die es zunächst keinen größeren Markt gab. Die Folge war, dass die Preise sanken und somit vor allem Ethan attraktiv wurde als Rohstoff für die Plastikproduktion.

Methan, Ethan, Propan, Butan…?

Methan (sog. Trockengas) kann von der Petrochemie zur Stromerzeugung für die sehr energieintensiven Anlagen bzw. zur Herstellung von Kunstdünger verwendet werden. Ethan, Propan und Butan (sog. Nassgase) wiederum haben einen hohen Wert als Rohstoffe für eine große Palette von chemischen Produkten, z.B. Plastik. Manche Schieferlagerstätten wie die Marcellus oder Uttica Shale Formationen in den USA haben einen besonders hohen Anteil an „Nassgas“.

LkW-Konvois, die einen Fracking-Bohrplatz mit Wasser, Sand und Chemikalien im ländlichen Pennsylvania beliefern. Foto aufgenommen am 6. März 2020 in Pennsylvania, Andy Gheorghiu Alle Rechte vorbehalten

So kam es zur „unheiligen Verschmutzer-Allianz“ zwischen der Fracking- und der Chemieindustrie (mit Playern wie z.B. Shell, ExxonMobil und Total, die Profite mit beiden Businessfeldern machen). Laut dem American Chemistry Council hat die US-Chemieindustrie – basierend auf dem Zugang zu Fracking-Gas – seit 2010 rd. €170 Mrd. für 343 Projekte auf dem Weg gebracht bzw. angekündigt.

Quelle GrafiK: Plastikatlas (Link: https://www.boell.de/de/plastikatlas)Creative Commons Lizenzlogo

Diese Welle sah Jim Ratcliffe wohl kommen und setzte zur Rettung seines kollabierenden Schulden-Imperiums alles darauf. So beauftragte Ineos die Konstruktion einer eigenen Schiffsflotte, um gefracktes Gas aus den USA zu den Plastikfabriken von Ineos in Schottland (Grangemouth) und Norwegen (Rafnes) zu liefern. Jedes der sogenannten Dragon Ships (insgesamt acht an der Zahl) kann bis zu 27.500 m³ Gas transportieren (sowohl in Form von verflüssigtem Trockengas als auch in Form von Ethan). Zusätzlich schloss Ineos Liefer-Verträge mit den US Firmen Range Resources und Sunoco, einer Tochter von Energy Transfer, der Firma hinter der Dakota Access Pipeline (DAPL), die mit Gewalt und gegen den Willen des Standing Rock Sioux Tribe verwirklicht werden sollte.

Im Zentrum des Ineos-Sunoco-Deals steht die Verwirklichung des Mariner East Pipeline Projektes zur Sicherstellung der Lieferung von gefracktem Gas aus Pennsylvania. Fast schon symptomatisch für das #Fracking4Plastics Business Modell mutet es an, dass das rd. €2,5 Mrd. teure Mariner East Pipeline Projekt seit Beginn an bis heute von mit einer Serie von erheblichen Unfällen, gerichtlich angeordneten Baustopps und strafrechtlichen Ermittlungen begleitet wurde. Der Partner von Ineos, Sunoco, wurde mehrfach zu Strafzahlungen im Zusammenhang mit dem Bau des Projektes verdonnert. Eine der höchsten Einzelstrafen betrug rd. € 10,5 Millionen. Im August 2020 zahlte Sunoco erneut rd. 300.000 € für multiple Umweltverstöße.

Quelle GrafiK: Plastikatlas (Link: https://www.boell.de/de/plastikatlas)Creative Commons Lizenzlogo

Da zudem das Ethan, welches über Mariner East transportiert werden soll, hochexplosiv ist und die Pipeline in unmittelbarer Nähe zu Wohnsiedlungen, Sportplätzen und Kindergärten gebaut wird, wehren sich Menschen entlang der Pipeline gegen das Projekt.

Das alles interessiert Jim Ratcliffe bzw. Ineos aber nicht. Als die Mariner East 1 Pipeline im Frühjahr 2018 zweifach wegen einer möglichen „katastrophalen Wirkung auf die öffentliche Sicherheit“ außer Betrieb gesetzt wurde, plädierte Ineos offiziell für das Projekt. Die Mariner East sei wichtig für den Export des Rohmaterials für die europäischen petrochemischen Anlagen von Ineos. Immerhin ging das Unternehmen laut eigener Aussage mit dem Umswitchen auf Fracking-Gas als Rohstoff über Nacht vom Verlust in den Gewinn – die Verluste für die betroffenen Kommunen, die Umwelt und das Klima natürlich nicht mitgerechnet.

Schlechte Umwelt-/Unfall- und Klimabilanz

Vielleicht ist auch nicht verwunderlich, dass Ineos sich wenig um die negativen Auswirkungen und Gefahren, die vom Mariner East Projekt ausgehen, kümmert. Schließlich kann Ratcliffe’s Unternehmen selbst eine illustre Liste an Unfällen sowie Verstößen gegen umwelt- und arbeitsschutzrechtliche Vorgaben vorweisen für die Ineos auch mehrfach Strafzahlungen leisten musste.

In fast regelmäßigen Abständen kommt es innerhalb der letzten zehn Jahre an fast allen Anlagen von Ineos in Europa zu Feuern, Gas- und Öl-Leaks sowie dem unkontrollierten Entweichen von toxischen Substanzen. An den Kölner Standorten kommt es zu wiederkehrenden Explosionen, die aus Sicherheitsgründen zur Druckentlastung vorgenommen werden, zuletzt im August 2020. Im September 2017 mussten 14 Mitarbeitende mit einem Knalltrauma ins Krankenhaus eingewiesen werden. Spätestens seit dem Großbrand von 2008 leben die Bewohner*innen des Standortes in ständiger Angst vor der nächsten großen Katastrophe.

Jim Ratcliffe weiß um diese wiederkehrenden Unfälle, die teilweise in große Katastrophen münden können. 2015 sprach er in einem Interview mit der London Business School von der „symbiotischen Beziehung zwischen den Chemieanlagen und der örtlichen Gemeinschaft“, da „gelegentlich Dinge schief gehen“ und man daher auf die „Sympathie“ der lokalen Bevölkerung angewiesen sei. Doch statt die Sicherheit zu erhöhen, passiert teilweise das Gegenteil. Anfang 2020 kam es zu einem spontanen, fast zweimonatigen Streik an einer der Anlagen in Antwerpen. Der Grund: Ineos hatte ein Gewerkschaftsmitglied und langjährigen Mitarbeiter entlassen, weil jener auf den Mangel an Sicherheit und die daraus folgenden Risiken verwiesen hatte.

Auch wenn Jim Ratcliffe dies gerne anders dargestellt haben möchte, tragen seine Anlagen – insbesondere jene, die mit Fracking-Gas gefüttert werden – signifikant zur Klimaerwärmung bei und Emittieren eine ganze Palette an Schadstoffen in die Atmosphäre. Ineos wurde bereits mehrfach zum schlimmsten Luftverschmutzer Schottlands gekürt – zuletzt im Juni 2019.

Fracking-Pläne in England und Schottland abgewehrt – Next Stop Texas?

Evtl. ahnte Ratcliffe schon früh, dass die Versorgung mit Fracking-Gas aus Pennsylvania aus verschiedensten Gründen nicht auf Dauer zu 100 Prozent gesichert werden könnte. So beschloss der Hausherr von Ineos, sich langsam aber sicher zu einem Öl- und Gasproduzenten zu wandeln um die Kontrolle über den vollen Lebenszyklus der benötigten Rohstoffe zu gewährleisten.

Neben dem Kauf des Forties-Pipeline-Systems von BP erwarb Ineos auch das komplette Öl- und Gasgeschäft der dänischen Firma DONG und sicherte sich so den Zugang zu den Top 10 Förderunternehmen in der Nordsee.

Gleichzeitig sicherte sich Jim Ratcliffe die Mehrheit der Schiefergaslizenzen in Schottland und England und versuchte mittels einer gerichtlichen Verfügung sämtliche Anti-Fracking-Proteste im Keim zu ersticken. Der großangelegte Widerstand gegen die feudalen Gebären von Sir Jim Ratcliffe ließ nicht lange auf sich warten.

Der zivile Widerstand zwang die politisch Verantwortlichen letztendlich zum Handeln. Mittlerweile haben sowohl Schottland als auch England Fracking-Moratorien eingeführt, wobei das schottische Moratorium, welches rechtlich noch komplett verankert werden muss, tatsächlich darauf ausgerichtet ist, Fracking mit Verweis auf seine Klimaschädlichkeit auf Dauer zu verbieten. In England hingegen hat man das Fracking Moratorium wegen der Bedenken von Erdbeben kurz vor der Unterhauswahl 2019 verkündet, um das Thema aus dem Wahlkampf zu drängen. Es kann aber jederzeit relativ einfach zurückgenommen werden. Ineos bleibt auch weiterhin Eigentümerin der Schiefergaslizenzen.

Nichtsdestotrotz hat der jahrelange Widerstand zu erheblichen Verlusten für Ineos geführt. Die Gesamtschulden von Ineos Upstream Ltd., einer Tochterfirma, die als Eigentümerin der Lizenzen fungiert, betrugen Ende 2018 insgesamt rd. €144 Millionen (verglichen mit rd. €43 Millionen in 2017). Der operative Verlust auf Grund des Stopps für Fracking in Schottland und England betrug 2018 rd. €94 Millionen (verglichen mit €7 Millionen in 2017).

Da der Fracking-Weg in Großbritannien also geblockt ist und weiterhin der Zwang besteht, Zugang zu günstigem Fracking-Gas aufrecht zu erhalten, versucht Ineos nun die Fracking-Förderung in Texas voranzubringen. Das Unternehmen hat Förderlizenzen von der Houstoner Ölfirma Crawford Hughes gekauft und Anträge für Fracking-Bohrungen in die Austin Chalk Formation eingereicht. Der Austin Chalk enthält auch Nassgas, z.B. Ethan. Bleibt abzuwarten, wie lange das #Fracking4Plastics in Texas gut geht für Ineos.

Expansionspläne für Antwerpen und Köln-Connection

Ein weiteres Mosaiksteinchen im klima- und umweltfeindlichen #Fracking4Plastics Business Modell von Jim Ratcliffe ist das angekündigte Investment in Höhe von €3 Mrd. für den Bau neuer Plastik-Produktionsanlagen in Antwerpen. Ineos promotet dabei nicht nur ganz offen, dass die neuen Anlagen gefracktes Gas verwenden werden, sondern möchte diese Neubauten als Kick-Off-Investment für die Erneuerung der europäischen petrochemischen Industrie insgesamt verstanden wissen.

Unmittelbar mit diesem Investment verbunden ist auch der Bau neuer Gas-Tanker, die gefracktes Gas aus Antwerpen zu den Kölner Anlagen verschiffen sollen. Damit beweist Jim Ratcliffe erneut, dass er bewusst auf das Scheitern der Anti-Plastik und Anti-Fracking Bewegungen setzt.

Dabei sollte Ratcliffe sich lieber dem Stopp der Verschmutzung durch Plastik-Pellets, einem seiner Grundprodukte, dringend widmen. Schließlich ist das massive Problem sowohl in der Nähe der Anlagen von Grangemouth als auch Antwerpen unübersehbar. Tausende von Plastikpellets finden sich an Stränden und teilweise sogar in geschützten Natura-2000-Gebieten. Bisher fehlt ihm aber anscheinend die richtige Motivation. Kein Wunder: Politik und Behörden ignorieren bislang Kritik von Umweltverbänden und behandeln diese strukturellen Straftaten immer noch als Kavaliersdelikte.

Plastik-Pellet-Verschmutzung im Port of Antwerp (Natura 2000 Gebiet „Schelde- en Durmeëstuarium van de Nederlandse grens tot Gent“ SiteCode: BE2300006), Foto aufgenommen am 5. Juli 2019 von Andy Gheorghiu Alle Rechte vorbehalten

Opposition

Obgleich vielleicht nicht jede(r) mit dem Namen Ineos etwas anfangen kann, ruft die skrupellose Haltung und die Arroganz Jim Ratcliffe’s gegenüber den Notwendigkeiten unserer Zeit in Verbindung mit den Auswirkungen seines Business Models, überall da, wo Ineos präsent ist, Widerstand hervor.

Und das ist gut so!

Letztendlich werden es nicht die Politik, nicht die Behörden und nicht die Konsument*innen von Plastikgütern sein, die Jim Ratcliffe und seine vergangenheitsorientierten Vorstellungen von „Dirty Business komme was wolle“ ein Ende setzen.

Vielmehr werden es Menschen und Aktivist*innen aus kleinen und großen Kommunen auf beiden Seiten des Atlantiks sein, die unnachgiebig und passioniert an vorderster Front und trotz aller Widrigkeiten Ineos die Stirn bieten und letztendlich den Chemie-Giganten aus dem Plastikland zu Fall bringen werden. Dass es möglich ist, haben Campaigner*innen in Großbritannien schon bewiesen.

Evtl. ist der Gigant bereits ins Straucheln geraten: Das Unternehmen ist erneut auf Staatshilfe angewiesen und ist laut Jahresbericht 2019 mit rd. €6,9 Mrd. an Darlehen und Krediten „signifikant verschuldet“. Die Ratingagneturen FitchRatings, Moody’s und S&P Global stuften im Frühjahr 2020 den Ausblick von Ineos als negativ ein. Na dann, darauf ein Prosit!

Dieser Artikel ist Teil einer kleinen Reihe. Bisher erschienen:

US Fracking LNG und russisches Gas per Nordstream 2 – Deutschlands Doppelspiel erhitzt geopolitische Gemüter und das Klima (30. Juli 2020)

Fracking in Deutschland: Wirklich verboten, ein bisschen erlaubt oder sogar bald wieder en Vogue? (15. Juni 2020)

Die englischen Übersetzungen der Artikel erscheinen auf EnergyTransition.org


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