Das „F-Wort“ (Fossil Fuels) in der internationalen Klimapolitik oder der Elefant im Raum bei der COP 26

Wer’s nicht glaubt, kann’s selber nachschauen: die Worte „Kohle“, „Öl“ und „Gas“ kommen an keiner Stelle im Pariser Klimaabkommen vor. Wir diskutieren seit Jahrzehnten über Emissionen, Reduktionsziele und Minderungspolitiken – über die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Energieträger aber reden wir erst seit Kurzem und auch lange noch nicht ernsthaft genug.

Vielleicht nehmen die Regierungen bei der COP26 zum ersten Mal das „F-Wort“ („Fossil Fuels“) in den Mund – es wäre wirklich höchste Zeit.

Hier eine kurze (unvollständige) Zeitreihe mit Meilensteinen bei der Entwicklung der akademischen, aktivistischen und politischen Debatte zu diesem Thema. Weiter unten gibt es auch einen Überblick über wichtige Ereignisse zu diesem Thema bei der COP 26 und weiterführende Materialien, Tools und Initiativen.

Die Ursprünge der Debatte: Wie sich in der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft ein neues Narrativ herausbildete

2012: „Doing the Math“ / Divestment

Im Rolling Stone Magazine erscheint 2012 der berühmte Aufsatz von Bill McKibben, dem Gründer von 350.org: Global Warming’s Terrifying New Math und legt den Anfang der Divestment Bewegung.

2013: Unburnable Carbon & Stranded Assets

Eine Studie von Carbon Tracker und dem Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment an der LSE fordert Regulierungsbehörden, Regierungen und Investoren auf, die Geschäftsmodelle im Energiebereich anhand der Kohlenstoffbudgets neu zu bewerten, um eine Kohlenstoffblase von 6 Billionen Dollar im nächsten Jahrzehnt zu verhindern: „Unburnable carbon 2013: Wasted capital and stranded assets“ (Verschwendetes Kapital und gestrandete Anlagen) hat gezeigt, dass die Reserven an fossilen Brennstoffen das Kohlenstoffbudget zur Vermeidung einer globalen Erwärmung von 2°C bereits bei weitem übersteigen. Trotzdem wurden im Jahr davor 674 Milliarden Dollar für die Suche und Entwicklung neuer Anlagen ausgegeben, die sich absehbar finanziell nicht lohnen werden.

2016: The Sky’s Limit

Die Studie „The Sky’s Limit: Warum die Pariser Klimaziele einen kontrollierten Rückgang der Produktion fossiler Brennstoffe erfordern“ von Oil Change International in Zusammenarbeit mit 14 Organisationen aus der ganzen Welt liefert eine wissenschaftliche Grundlage für die wachsende Bewegung, die sich dafür einsetzt, den Kohlenstoff im Boden zu halten, indem sie aufzeigt, dass alle neuen Infrastrukturen für fossile Brennstoffe und der Ausbau der Industrie gestoppt werden müssen. Die Studie konzentriert sich auf die potenziellen Kohlenstoffemissionen aus erschlossenen Vorkommen – dort, wo die Bohrlöcher bereits gebohrt, die Gruben ausgehoben und die Pipelines, Verarbeitungsanlagen, Eisenbahnlinien und Exportterminals gebaut sind. Inzwischen gibt es zahlreiche regionale und nationale „Sky’s Limit“ Reports, u.a. einen zu Deutschland und einen zu Afrika.

2017: „Managed Decline“

Die Lofoten-Erklärung ist ein internationales Manifest, in dem die Beendigung der Exploration nach Kohle, Öl und Gas und der weitere Ausbau der Reserven fossiler Brennstoffe gefordert wird. Sie fordert den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und einen gerechten Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Reiche Länder müssen schneller aussteigen und vorangehen. Die Erklärung wurde nach der Inselgruppe der Lofoten in Norwegen benannt, wo sich 2017 das Global Gas and Oil Network formell gründete und die Zivilgesellschaft erstmals ernsthaft über die Notwendigkeit eines politisch gelenkten Ausstiegs aus allen fossilen Rohstoffen diskutierte („Managed Decline“).

Ein wichtiger akademischer Beitrag in diesem Kontext war der Artikel „Cutting with both arms of the scissors: the economic and political case for restrictive supply-side climate policies (F Green, R Denniss), der die Notwendigkeit von Demand und Supply Side Climate Policy Ansätzen betont.

2019: Production Gap

Der erste Production Gap Report wurde im November 2019 von führenden Forschungseinrichtungen und Expert*innenen in Zusammenarbeit mit UNEP veröffentlicht. Nach dem Vorbild der UNEP-Reihe Emissions Gap Report – und als ergänzende Analyse konzipiert – zeigt der Production Gap Report die große Diskrepanz zwischen der geplanten Produktion fossiler Brennstoffe in den Ländern und den globalen Produktionsniveaus, die notwendig sind, um die Erwärmung auf 1,5°C bzw. 2°C zu begrenzen. Er erscheint seitdem jährlich immer kurz vor der COP.

Die politisch-diplomatische Debatte nimmt Fahrt auf

Die Debatte um den Ausstieg aus allen fossilen Rohstoffen nimmt inzwischen auch politisch und diplomatisch Fahrt auf. Bei der UN-Generalversammlung im September 2021 verkündeten Dänemark und Costa Rica die Gründung der Beyond Oil and Gas Alliance, die sie bei der COP 26 offiziell lancieren und für die weitere Mitstreier-Regierungen gewinnen wollen. Eine erste Einschätzung der Zivilgesellschaft hier – mehr folgt dazu dann in Kürze, Updates gibt es bei Oil Change International

Die Initiative für einen „Fossilen Sperrvertrag“, also einen Nichtverbreitungsvertrag für Fossile Energien (Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty) fordert:

  • Die Verbreitung von Kohle, Gas und Erdöl zu verhindern durch den Stopp jeder neuen Erschließung und Produktion;
  • Den Ausstieg aus bestehenden Vorräten und der Produktion von fossilen Brennstoffe in Übereinstimmung mit dem globalen Klimaziel von 1,5 °C umzusetzen;
  • Eine schnelle Umsetzung von wirklichen Lösungen und einen gerechten Übergang (Just Transition).

Einen guten Überblick gibt Tzeporah Berman, die Gründerin der Initiative, in ihrem TED-Talk, der kurz vor der COP26 aufgenommen wurde und bereits weit über 700,000 Mal angeschaut wurde.

Wichtig ist auf politisch-diplomatischer Bühne natürlich die Frage von Gerechtigkeit zwischen Staaten: wer muss wann was und wieviel tun bzw. beitragen? Einige grundlegende Überlegungen stellen Sivan Kartha und Greg Muttitt in ihrem Paper Equity, climate justice and fossil fuel extraction: principles for a managed phase out vor: Die Ziele des Pariser Abkommens sehen vor, dass der Großteil der Nutzung fossiler Brennstoffe innerhalb einer Generation beendet wird. In diesem Papier wird untersucht, wo und wie ein gerechter Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle möglich ist, und es werden fünf Grundsätze vorgeschlagen, die demokratischen Akteur*innen helfen sollen, die Gerechtigkeitsfragen zu lösen, die sich aus dem Ausstieg aus der Förderung fossiler Brennstoffe ergeben.

Was steht mit Blick auf Supply Side Policy & Managed Decline bei der COP 26 an?

  • Events der Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty Initiative bei der COP 26 findet man hier.
  • Am 4. November („Energy Day“) präsentiert Urgewald die Global Oil and Gas Exit List (GOGEL), die sich an der wichtigen Global Coal Exit List (GCEL) orientiert, aber eben auf Erdöl und Erdgas schaut.
  • Dänemark und Großbritannien lancieren die Beyond Oil and Gas Alliance voraussichtlich am 10. November.
  • Es wird einen „soft launch“ der Fossil Fuel Registry geben, einer globalen open-source Datenbank zu fossilen Reserven, die Carbon Tracker und Global Energy Monitor mit Unterstützung von Bloomberg und vielen anderen als Projekt der Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty Initiative realisieren.

Zum Weiterlesen und Informieren: The Science & Policy Nexus – weitere spannende Tools, Analysen und Hintergründe (auf Englisch)

SEI Initiative on Fossil Fuels and Climate Change

The SEI Initiative on Fossil Fuels and Climate Change creates a platform for high-quality, timely, and policy-relevant research and communications on how fossil fuel supply can be aligned with climate goals, while ensuring a just and equitable transition for communities in producing regions. The Initiative has established the International Conference on Fossil Fuel Supply and Climate Change – held in 2016 and 2018, with multiple partners and sponsors  – which brings together policy-makers, researchers, and civil society actors to spark new ideas, new research and new connections.

Important articles:

Swimming upstream: addressing fossil fuel supply under the UNFCCC

Fossil fuel supply and climate policy: exploring the road less taken

See also IISD: A New Narrative in Climate Talks: Cutting Emissions with Both Arms of the Scissors

Global Energy Monitor

Fossil Fuel Infrastructure Tracker

Energy Policy Tracker (Run by IISD, IGES, OCI, ODI, SEI and Columbia University)

The Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) examines issues related to energy markets, trends, and policies. The Institute’s mission is to accelerate the transition to a diverse, sustainable and profitable energy economy.


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