Während die COP 26 in Glasgow sich ihrem Ende neigt, kann man bereits jetzt festhalten, dass es eine neue Dynamik gegeben hat, die es in Zukunft eng zu beobachten gilt: Der Gipfel brachte eine Vielzahl von Ankündigungen und Initiativen von Regierungen und Privatsektor zu unterschiedlichen Themen hervor. Einige erscheinen geradezu revolutionär, andere entlocken Expert*innen noch nicht einmal ein müdes Schulterzucken oder lösen gar Sorge aus.
Die Zivilgesellschaft äußert bereits zu Recht Bedenken, dass dieses „Ankündigungsfeuerwerk“ von der Kernstruktur des UNFCCC-Prozesses ablenkt, bei dem die Länder miteinander verhandeln und mehr Rechenschaft ablegen müssen als bei einer bloßen Zusage oder freiwilligen Selbstverpflichtung. Dies gilt umso mehr, als einige der harten Verhandlungsthemen (z.B. die Diskussionen über die Klimafinanzierung und den Ausgleich von Schäden und Verlusten) nach wie vor kontrovers geführt werden, da sich die Industrieländer weiterhin vor ihrer Verantwortung drücken.
Hier folgt eine kurze Übersicht über die wichtigsten Zusagen und Erklärungen der letzten 2 Wochen mit Hinweisen, wo es jeweils hilfreiche und informative Einschätzungen und Einordnungen dazu gibt. Die Reihenfolge ist chronologisch. Es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – aber ich nehme gerne Hinweise zu fehlenden Erklärungen auf!
2. November:
Wer & Was: Mehr als 100 Regierungen, angeführt von der USA und EU, verpflichten sich, ihre Methanemissionen bis 2030 um mindestens 30 % (gegenüber 2020) zu reduzieren.
Einschätzung: GAIA und die Changing Markets Foundation sagen, das ist nicht genug, um die Klimakatastrophe aufzuhalten, es müssten mindestens 40 % sein und es braucht vor allem mehr Fokus auf die Sektoren ENergie, Abfall und Landwirtschaft, um das 1,5 °C-Ziel noch einzuhalten.
Glasgow Leaders‘ Declaration on Forests
Wer & Was: Mehr als 100 Regierungen, die insgesamt mehr als 85 % der weltweiten Waldfläche beherbergen, darunter so wichtige Länder wie Brasilien, Indonesien und auch die USA.
Einschätzung: Die Einschätzungen schwanken zwischen Zuversicht und Resignation. Gut ist, dass der Waldschutz so hoch auf der politischen Agenda steht und dass so viele Regierungen mitziehen. Allerdings hat die Erfahrung (nicht zuletzt mit REDD+) gezeigt, dass man ein Problem nicht unbedingt damit löst, dass man viel Geld bereitstellt. Zudem sind es nicht die ersten Versprechen dieser Art und genau die Länder, die jetzt handeln müssen, haben in der Vergangenheit keinen Willen zum Umsteuern gezeigt.
Hilfreiche Einschätzungen gibt es u.a. hier:
CLARA: https://www.clara.earth/cop26-daily-briefs (siehe Ausgabe vom 2. November)
Mongabay: COP26 Glasgow Declaration: Salvation or threat to Earth’s forests?
Indonesien ist auch gleich wieder zurückgerudert.
Im Schatten dieser großen Erklärung, gab es übrigens noch ein paar andere spannende Entwicklungen, die in der Presse nicht so stark rezipiert wurden und insgesamt sehr kritisch zu beobachten sind:
- 28 Regierungen, die 75% des weltweiten Handels mit wichtigen Rohstoffen repräsentieren, deren Ausbeutung die Wälder bedroht, haben die Forest, Agriculture and Commodity Trade (FACT) Erklärung unterzeichnet. Diese Erklärung ist Teil eines Fahrplans von Maßnahmen, die einen nachhaltigen Handel ermöglichen und den Druck auf Druck auf die Wälder verringern sollen, unter anderem durch die Unterstützung von Kleinbäuer*innen und die Verbesserung der Transparenz von Lieferketten.
- 12 der größten Unternehmen, die mehr als die Hälfte des weltweiten Handels mit wichtigen risikoreichen Rohstoffen wie Palmöl, Rindfleisch und Soja betreiben, haben angekündigt, dass sie bis zur COP27 einen gemeinsamen Fahrplan für Maßnahmen in ihren Lieferketten aufstellen werden „im Einklang mit 1,5 °C“. Die Agrar- und Lebensmittelriesen JBS, Cargill, Archer Daniels Midland (ADM), Bunge, COFCO International, Olam International, Amaggi, Viterra, Golden-Agri Resources, Marfrig, Wilmar International und Louis Dreyfus sind alle Mitunterzeichner dieser Erklärung.
- CEOs von mehr als 30 Finanzinstituten mit einem weltweiten Vermögen von über 8,7 Billionen Dollar haben sich verpflichtet, nicht mehr in Aktivitäten zu investieren, die mit der Abholzung von Agrarrohstoffen in Verbindung stehen.
4. November:
Wer & Was: Mehr als 40 Länder (darunter Kanada, Polen, Südkorea, Ukraine, Indonesien und Vietnam) haben sich neue Ziele gesetzt, aus der Kohleverstromung auszusteigen: größere Ökonomien (also reiche Länder) in den 2030er Jahren, die anderen in den 2040er Jahren. Nicht dabei sind Australien, China, Indien und die USA.
Einschätzung: Ob die Erklärung tatsächlich etwas bringt, wird sich zeigen. Polen jedenfalls ruderte sofort zurück und stellte klar, dass es natürlich zur Kategorie der ärmeren Länder gehöre und den Ausstieg nicht vor 2049 plane. Die Erklärung und die Anzahl an Regierungen, die sich hier zusammengetan haben, senden jedoch das wichtige Signal: Beim Kohleausstieg geht es schon längst nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann und Wie.
Wer & was: Mehr als 20 Länder und Institutionen (inzwischen sind es noch mehr geworden), darunter von Anfang an die Vereinigten Staaten, Kanada, Mali und Costa Rica, haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie sich verpflichten, die direkte internationale öffentliche Finanzierung von Kohle, Öl und Gas bis Ende 2022 zu beenden und der Finanzierung von sauberer Energie Vorrang zu geben.
Einschätzung: Die Erklärung wird insgesamt als ein großer Durchbruch gefeiert. Das erhöht natürlich den Druck auf diejenigen, die nicht gleich dabei waren – so auch Deutschland. Aufpassen muss man bei der Formulierung „unabated“, denn dahinter verbergen sich riskante und unbrauchbare Technologien wie CCS und CCU.
Hier ein paar gute Einschätzungen von Oil Change International:
Update vom 9. November: Germany joins commitment to end international oil, gas, coal finance, bringing total for potential finance shifted to USD 21.7 billion per year – Oil Change International
„The Netherlands joined the initiative and today Germany and El Salvador confirmed that they are joining too. This increases the number of signatories to 29 and the annual average of potential public finance shifted out of fossil fuels and into clean energy to at least USD 21.7 billion per year.“
10. November:
Wer & was: Eine Gruppe von Ländern, Unternehmen und Städten wollen daran arbeiten, dass Neuwagen bis 2040 emissionsfrei sind, in den führenden Märkten spätestens bis 2035.
Einschätzung: Wichtig ist, wer nicht dabei ist: USA, China, Deutschland, VW, Toyota…
Wer & was: Eine UK-angeführte Regierungskoalition. Frankreich und USA sind auch dabei. Die Mitgliedstaaten der Koalition verpflichten sich, „gemeinsam auf die Verabschiedung eines ehrgeizigen globalen Ziels für die CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs durch die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation hinzuwirken. Außerdem verpflichten sie sich, spezifische Maßnahmen zur Verringerung der Luftverkehrsemissionen zu unterstützen, darunter nachhaltige Flugkraftstoffe, das globale CORSIA-Kompensationssystem und neue Flugzeugtechnologien.“
Einschätzung: Schwache Leistung und hohes Greenwashing-Potential!
Transport & Environment: UK-led COP aviation declaration too weak to clean up flying – Campaigning for cleaner transport in Europe
Stay Grounded: COP26 Aviation Deal Fails to Align Sector with Paris Agreement Goals
US-China Joint Glasgow Declaration
Wer & was: USA und China. Ziel: „taking enhanced climate actions that raise ambition in the 2020s in the context of the Paris Agreement, with the aim of keeping the above temperature limit within reach and cooperating to identify and address related challenges and opportunities.“
Einschätzung: Politico fasst es so zusammen: „promising climate cooperation, but the statement sidestepped key areas of disagreement“. Nick Mabey vom Think Tank E3G bezeichnet es als „Klima-Waffenstillstand“ (climate truce).
11. November:
BOGA (Beyond Oil and Gas Alliance)
Wer & was: Die „Co-Chairs“ Dänemark und Costa Rica haben für diese neue Allianz die „Core Members“ Schweden, Quebec, Frankreich, Irland, Wales und Grönland sowie die „Associate Members“ Kalifornien, Neuseeland und Portugal (plus Italien als „Friend of BOGA“) gewinnen können und suchen nun weitere Mitstreiter*innen, die sich dazu verpflichten, kein Öl und Gas mehr auf dem eigenen Territorium zu fördern. Achtung: die unterschiedlichen Mitgliedschaften bedeuten auch unterschiedlich starke Commitments zu diesem Ziel. Meine Frage: Wo bleibt Deutschland? Und wann machen sich große reiche Öl- und Gasländer wie Großbritannien, Norwegen und Kanada auf den Weg und zeigen echte Führung in Sachen Klimaschutz?
Einschätzung: Der Start von BOGA markiert eine Abkehr von der jahrzehntelangen internationalen Klimapolitik, in der die Frage der Reduktion der Produktion fossiler Brennstoffe weitgehend ignoriert wurde. Im Pariser Abkommen werden fossile Brennstoffe nicht einmal erwähnt, so dass BOGA als Versuch gesehen werden kann, einen blinden Fleck des internationalen Klimaregimes zu füllen. Die Gründung ist auch ein Zeichen dafür, dass „Keep It In the Ground“ nicht mehr nur ein Slogan der Zivilgesellschaft ist, sondern zunehmend in den Mittelpunkt der globalen Klimadebatte rückt.
Oil Change International hat hier die besten Informationen und Reaktionen: Civil society reaction to launch of Beyond Oil and Gas Alliance – Oil Change International
Weitere Erklärungen:
2. November (angeführt von Großbritannien) – Clean Technology: „an international plan to deliver clean and affordable technology everywhere by 2030.
6. November – Agriculture & Land Use: „45 governments pledge urgent action and investment to protect nature and shift to more sustainable ways of farming“; „95 high profile companies from a range of sectors commit to being ‘Nature Positive’, agreeing to work towards halting and reversing the decline of nature by 2030“.