von Lili Fuhr, Liane Schalatek, Katarzyna Ugryn und Wanun Permpibul
Niedrige Erwartungen
Als die Vertragsparteien sich 2011 in Durban darauf verständigten, spätestens bis 2015 eine globale Vereinbarung zu verhandeln, die nach 2020 in Kraft treten sollte, wurden wieder einmal neue Hoffnungen auf ein rechtlich bindendes globales Klimaregime geweckt. Und die neu geschaffene Ad-hoc Arbeitsgruppe zur Durban-Plattform für verstärktes Handeln (ADP) etablierte einen Verhandlungsstrang (Workstream) II, der vor 2020 die Zielsetzungen erhöhen soll – in der kritischen Phase, während der die globalen Emissionen ihre Spitzenwert überwunden haben müssen (nämlich 2015 nach Aussage des IPCC-Vorsitzenden Rajendra Pachauri) und ausreichende und berechenbare Finanzierung benötigt wird, um eine CO2-arme Entwicklung im Norden wie im Süden zu gewährleisten. Die UN-Klimakonferenz in Warschau war jedoch diejenige COP mit den niedrigsten Erwartungen, die es je gegeben hat – und hat diese Erwartungen in jeglicher Hinsicht erfüllt.
Die Verwüstungen des Taifuns Haiyan auf den Philippinen und in ihren Nachbarländern unmittelbar vor Beginn der COP 19 berührten Delegierte wie Beobachter/innen. Der emotionale Appell von Yeb Sano (Mitglied der philippinischen Delegation) hat ihn nicht nur zum einzigen Helden der COP 19 gemacht, sondern brachte viele dazu, sich rasch mit ihm zu solidarisieren, indem auch sie freiwillig fasteten (manche Medien berichteten davon als Hungerstreik) – ein Novum bei einer UN-Klimakonferenz und wahrscheinlich ein klares Signal dafür, dass der Klimawandel bereits die Fähigkeit der multilateralen Verhandlungen überholt hat – mangels politischem Willen und Vertrauen – die anthropogenen Ursachen anzupacken und den am stärksten betroffenen Ländern und Menschen die erforderliche kollektive Unterstützung zu gewähren. Yeb Sano und eine wachsende Zahl seiner Unterstützer/innen haben sich sogar dazu verpflichtet, am 13. eines jeden Monats zu fasten, um an das Fasten bei der COP 19 zu erinnern. (@yebsano: „Ich werde weiterhin am 13. eines jeden Monats fasten, um an die 13 Fastentage von #FastingForTheClimat“ #COP19 zu erinnern.“)
Während jedoch der Klimawandel hier und jetzt stattfindet, scheint dieses Bewusstsein hinsichtlich seiner Dringlichkeit bei den politischen Entscheidungsträger/innen in der EU und anderen Annex-1-Länder nicht mehr vorhanden zu sein. Sie sind mit sich selbst beschäftigt und mit dem Problem, dass sie immer tiefer in eine strukturelle Wirtschafts- und Finanzkrise mit globalen Auswirkungen rutschen, und sie scheinen multilaterale Klimamaßnahmen auf einen der hinteren Plätze ihrer politischen Agenda relegiert zu haben.
Obgleich die Erwartungen für Warschau niedrig waren, hofften Optimist/innen dennoch auf einen gewissen Fortschritt bei der Implementierung auf halbem Wege zu einer neuen Vereinbarung bis 2015 und setzten sich gezielt dafür ein, zumindest bei den folgenden Punkten Fortschritte zu erzielen:
•Einigung über eine klare (und enge) Zeitschiene für die Abgabe von Klimaschutzverpflichtungen seitens aller Parteien für die 2015-Vereinbarung;
•Einigung darüber, dass die Verpflichtungen oder Beiträge anhand eines klaren Bündels an Indikatoren gemessen werden, um sowohl eine ehrgeizige Zielsetzung als auch Gerechtigkeit zu gewährleisten;
•konkrete Zahlen und Pfade, die Klimafinanzierung nach der Fast-Start-Finanzierungphase nach 2012 zu erhöhen, um die Verpflichtungen von jährlich USD 100 Milliarden bis 2020 umzusetzen und – als absolutes Minimum – den finanziell ausgehungerten Anpassungsfonds aufzufüllen;
•einen internationalen Mechanismus für Verluste und Schäden (loss and damage) einzurichten, wie in Doha vereinbart;
•konkrete Entscheidungen über Möglichkeiten, die verbleibende Gigatonnenlücke zu füllen, die sich auftut, wenn man die Verpflichtungen bis 2020 und die Pfade die zur Erreichung des2- oder sogar des 1,5-Grad-Zielsnötig sind, betrachtet.
Niedrige Ambitionen und keine Gerechtigkeit im Kontext der ADP
Die „Further advancing the Durban Platform“ („Die Durban-Plattform weiter vorantreiben“) genannte ADP-Entscheidung hat einen irreführenden Titel, denn tatsächlich treibt sie das Mandat von Durban nicht weiter voran, sondern schwächt es vielmehr! Die Parteien haben die erste Woche der COP 19 in ergebnisoffenen Konsultationen verbracht und die zweite Woche in Auseinandersetzungen über den Entwurfstext einer Entscheidung, der mittlerweile von 6 auf 3 Seiten geschrumpft ist, wobei praktisch jeglicher bedeutende Inhalt verlorengegangen ist.
Der wichtigste Inhalt steht in § 2 (b):
„Alle Vertragsparteien aufzufordern, im Kontext der Annahme eines Protokolls, eines anderen Rechtsinstruments oder einer Vereinbarung mit Rechtskraft im Rahmen des Übereinkommens, das bzw. die auf alle Vertragsparteien anzuwenden ist, innerstaatliche Vorbereitungen für ihre beabsichtigten national bestimmten Beiträge zu initiieren oder zu intensivieren, unbeschadet des Rechtscharakters der Beiträge, zur Förderung des in Artikel 2 der Konvention niedergelegten Ziels und sie rechtzeitig im Voraus der einundzwanzigsten Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz (bis zum ersten Vierteljahr des Jahres 2015 durch diejenigen Vertragsparteien, die dazu bereit sind) in einer Art und Weise zu kommunizieren, die die Klarheit, die Transparenz und das Verständnis der beabsichtigten Beiträge, unbeschadet des Rechtscharakters der Beiträge, vermittelt;“
Die Formulierung „beabsichtigte national bestimmte Beiträge“ legt nicht nur eine erbitterte Meinungsverschiedenheit zwischen Industrie- und Schwellenländern hinsichtlich „Verpflichtungen für alle“ versus „Verpflichtungen nur für Industrieländer und (freiwillige) Maßnahmen für Entwicklungsländer“ bei, sondern weist auch sehr stark auf die eine Frage hin, über die sich alle großen Volkswirtschaften / Emittenten (im Norden wie im Süden) einigen können: was auch immer Länder bereit sind, im Kontext der Vereinbarung von 2015 beizutragen, es wird sich dabei ausschließlich um „Bottom-up“-Verpflichtungen handeln, die nur dadurch festgelegt werden, was Länder in ihren jeweiligen nationalen Gegebenheiten für richtig halten, und diese Verpflichtungen werden nicht auf dem dringend erforderlichen Bedarf an globalen Emissionsreduktionen beruhen.
Dies ist von den Parametern von Wissenschaft und Gerechtigkeit sowie von einer externen Kontrolle weit entfernt – von denen sämtliche Hand in Hand arbeiten müssten, wenn es überhaupt Hoffnung auf eine Erhöhung von Klimaschutzzielen geben soll. Und die Zeitschiene ist auch nicht so straff wie erhofft: Beiträge sollen erst im ersten Quartal 2015 vorgelegt werden und nicht vorher, etwa beim High Level Climate Summit des UNO-Generalsekretärs Ban-ki Moon, der am 23. September 2014 stattfinden soll. (Diese lockere Zeitschiene ist teilweise auf die US-Innenpolitik mit den Zwischenwahlen Anfang November 2014 zurückzuführen.)
Es ist jedoch positiv zu bemerken, dass es kleinen Inselstaaten und anderen progressiven Vertragsparteien gelungen ist, den Verweis auf Artikel 2[2] in diesen § 2 (b) einzufügen. Dies gewährleistet ein „Top-down“-Element, das ein gewisses Gegengewicht zu den national bestimmten Beiträgen darstellen muss. Und obwohl China und die USA sich freuen sollten, dass all dies „unbeschadet des Rechtscharakters der Beiträge“ geschehen soll, lässt diese Offenheit doch eine sehr kleine Chance, die Dinge vor Ende 2015 in Ordnung zu bringen – ein Kampf, der ein andermal zu führen ist. Und sogar eine kleine Möglichkeit ist derzeit besser als gar keine.
Das Streichen der Formulierungen zum Thema Gerechtigkeit in der ADP-Entscheidung ist nicht nur deswegen beunruhigend, weil die Idee eines Equity Reference Frameworks – die Nichtregierungsorganisationen mit Vorstellungen ähnlich denen einiger weniger Entwicklungsländer (am wenigsten entwickelte Länder (LDCs), AOSIS, Gruppe Afrikanischer Staaten – besonders Südafrika) in die Verhandlungen eingebracht hatten – eine neue Dynamik bei der letzten COP in Bonn hatten aufkeimen lassen. Aber Indien – das das Konzept meist erbittert verteidigt und das für viele als „Gerechtigkeitskönig“ der Klimarahmenkonvention gilt – sorgte dafür, dass Formulierungen zu Gerechtigkeit an mehreren Stellen des Verhandlungstexts gestrichen wurden, weil das Land der Ansicht war, dass sie zu stark auf zukünftige Klimaschutzbemühungen abstellten und die historische Verantwortung der Industrieländer zu wenig berücksichtigten. Die wahren Gründe hinter diesem Schritt werden derzeit jedoch debattiert; wahrscheinlich handelt es sich um mehrere Beweggründe, u.a. innenpolitische Themen.
Brasilien hat mit der Vorlage eines Vorschlags, der IPCC solle für eine Vereinbarung in 2015 eine Methodologie zur historischen Verantwortung als Richtschnur für die Beiträge der einzelnen Länder entwickeln, diese enge Interpretation der Gerechtigkeit als historische Verantwortung noch weiter befördert. Die G77 und China haben dann den Vorschlag leicht überarbeitet und unterstützt. Er löste heftige Debatten nicht nur zwischen den Annex-1- und Nicht-Annex-1-Ländern aus, besonders während der ersten Woche der COP, sondern auch innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer, was die wachsende Kluft innerhalb der G77 aufzeigte zwischen großen Emittenten auf der einen und den kleinen Inselstaaten und den LDCs, die ums Überleben kämpfen, auf der anderen.
Nicht jede Vertragspartei der Klimarahmenkonvention ist der Ansicht, dass Gerechtigkeit in einer neuen globalen Klimavereinbarung 2015 eine große Rolle spielen muss und dass sie eine Voraussetzung ist, um in der ganzen Welt die Zielsetzungen zu erhöhen. Aber sogar diejenigen Länder, für die Gerechtigkeit weiterhin als normativer Kern der Vereinbarung von 2015 gelten soll, scheinen gegenwärtig ziemlich ratlos bei der Frage, wie man sie in Verhandlungen einbringen kann, ohne die eigenen roten Linien aufzugeben. Und dies verweist sehr stark auf den allgemeinen Geist der Verhandlungen unter Verhandlungssträngen I und II der ADP: wenn Verhandlungsstrang II (Zielsetzungen für den Zeitraum bis 2020) als Sprungbrett für Verhandlungsstrang I (Vereinbarung im Jahr 2015) betrachtet wird, dann kann ein Mangel an Fortschritt unter Verhandlungsstrang I dazu genutzt werden, jeglichen Fortschritt unter Verhandlungsstrang II zu verhindern. Schachmatt für das Klima.
Für die ADP ist der Weg nach vorn nicht sehr ambitioniert: es ist unwahrscheinlich, dass zwei hochrangige Minister/innen-Roundtables 2014 (Bonn und Lima) mehr Klarheit bringen werden, wenn es an substanziellen technischen Papieren und Workshops zu ihrer Vorbereitung mangelt. Allerdings könnten sie dazu beitragen, die politischen Erwartungen zu stärken und den Klimawandel wieder auf die politische Agenda zu setzen, wo sie auch hingehört. Nur – der Klimawandel ist nicht nur ein Thema für schöne Reden, die Minister/innen während der COPs und der Minister/innentreffen halten mögen, sondern sollte nicht weniger als das Herzstück jeglicher relevanter nationaler Politikgestaltung sein!
Wer ist schuld?
Es gibt viele Interpretationen dafür, wer für die schlechten Ergebnisse verantwortlich gemacht werden sollte. Hier einige offensichtliche Schuldige:
Der Umbrella-Gruppe ist es gelungen, die COP 19 zur ersten Klimakonferenz der Geschichte zu machen, in der Klimaschutzverpflichtungen der Industrieländer offen aufgeweicht wurden. Kanada hatte bereits seinen Teil getan, indem es im vergangenen Jahr aus dem Kyoto-Protokoll ausgetreten war. Damals war es klar geworden, dass seine Teersandproduktion verhindern würde, dass das Land auch nur sein Ziel aus dem ersten Verpflichtungszeitraum erreichen würde. Die neu gewählte Regierung Australiens verkündete wenige Wochen vor der COP, dass sie die bereits recht schwache Klimagesetzgebung ihrer Vorgängerregierung abschaffen würde. Und Japan setzte noch einen drauf, als es wagte, in der ersten Woche der COP eine Schwächung seines Ziels für 2020 anzukündigen und dabei Fukushima als Ausrede für Nichthandeln benutzte – ein Argument, auf das japanische Nichtregierungsorganisationen vorbereitet waren und das sie rasch zerlegten. Das neue Ziel erlaubt sogar einen Anstieg der Emissionen um 3,1 Prozent bis 2020 im Vergleich mit dem Niveau von 1990.
Im Verhältnis zum ungeheuerlichen und selbstgerechten Verhalten dieser drei Länder sahen sie USA – normalerweise die Zielscheibe für den Ärger der Entwicklungsländer – recht gut aus, auch wenn einige der Versäumnisse von Warschau (etwa die schwache Zeitschiene für die Vereinbarung von 2015 oder die Uneinigkeit über den Technologietransfer) leicht als Verhandlungserfolge der USA dargestellt werden können. Und sogar die EU konnte ihre internen Auseinandersetzungen mit Polen und den EU-weiten Mangel sowohl an Zielsetzungen bei der Emissionsreduktion als auch zu erhöhten finanziellen Zusagen recht gut verbergen, auch wenn erhebliche Bedenken wegen des potenziell schwachen Ziels für 2030 geäußert wurden. Starke Lobbygruppen in Brüssel plädieren derzeit für einen „pragmatischen“ Ansatz, der „technologieneutral“ sein und an einem Emissionsreduktionsziel nur dann festhalten soll, wenn weitere Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz aufgegeben werden. Ein solcher Ansatz würde nicht nur der Atomkraft und der „sauberen Kohle“ einen Platz im zukünftigen europäischen Energiemix sichern, sondern auch jegliche mögliche Führungsrolle, die die EU im Vorfeld des Gipfels in Paris 2015 spielen könnte, unterminieren.
Verständlicherweise waren Entwicklungsländer verärgert und nicht gewillt, Kompromisse einzugehen. Und so ging zumindest die erste ganze Woche in Warschau verloren, indem alle Seiten einfach ihre bestehenden Positionen erneut ohne jegliche Hoffnung auf Fortschritt vortrugen. Während die G77 und China, inklusive der LDCs, der Gruppe Afrikanischer Staaten und der Kleinen Inselentwicklungsländer (SIDS), in der Lage war, als vereinte Front ihren Ärger über die schwachen Zielsetzungen der Industrieländer zum Ausdruck zu bringen, war es klar, dass unter den Entwicklungsländern die Like Minded Developing Countries (LMDC – darunter Ägypten, Bolivien, China, Ecuador, Indien, Kuba, Mali, Malaysia, Nicaragua, die Philippinen, Saudi-Arabien, Thailand und Venezuela) am wenigsten bei den Prinzipien der Klimarahmenkonvention und der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung kompromissbereit waren, im Gegenzug für Fortschritt, der alles andere als herausragend war. Dies provozierte die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard dazu, die LMDC öffentlich zu beschuldigen, den Fortschritt zu blockieren und gegen die Gerechtigkeit zu sein – was wiederum die LMDC dazu brachte, der EU offene Feindseligkeit vorzuwerfen. Dieser kurze verbale Schlagabtausch zeigt nur, wie tief Misstrauen und Frustration auf beiden Seiten sitzen.
Willkommen im Land der Kohle!
Und was ist mit den Gastgebern der COP 19? Die polnische Energiepolitik setzt auf fossile Energieträger, besonders Kohle. In den letzten wenigen Wochen vor der COP in Warschau haben Mitglieder der polnischen Regierung in mehreren offiziellen Statements die Rolle und die Bedeutung des fortdauernden Einsatzes von Kohle für die polnische Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit klar herausgestellt. Polen ist auch dafür bekannt, jegliche ambitionierteren Klimapolitikinstrumente in der EU zu blockieren. Angesichts dieses Kontexts bleibt es der Spekulation offen, warum die polnische Regierung angeboten hat, die COP 19 in Warschau auszurichten. Einer der Gründe könnte schlichtweg sein, für Polen als Urlaubsziel zu werben und das polnische Wirtschaftswachstum zur Schau zu stellen; ein weiterer, eher finsterer, könnte gewesen sein, eine weitere Gelegenheit zu ergreifen, als Ausrichter des Gipfels Bemühungen um ambitioniertere Entwicklungen in den globalen und europäischen Klimapolitiken zu blockieren.
Die Rolle des Sektors fossile Energieträger (insbesondere der Kohlesektor) nahmen im polnischen Denken über die internationale Klimapolitik und den gesamten COP 19-Gipfel und seine Verhandlungen eine zentrale Rolle ein. Zum ersten Mal im UNFCCC-Prozess wurden als (einzige) offizielle Partner des Gipfels große internationale und polnische Unternehmen eingeladen, darunter die polnische Lotos-Gruppe (die in der Förderung von Rohöl, der Raffinierung sowie der Vermarktung von Ölprodukten tätig ist) und PGE – die PGE Polish Energy Group (der größte Stromversorger Polens, mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung, der hauptsächlich Stein- und Braunkohlekraftwerke betreibt). Außerdem hat das polnische Wirtschaftsministerium während der zweiten COP-Woche einen Internationalen Kohle- und Klimagipfel in Warschau ausgerichtet, der von der World Coal Associationn unter dem Motto „Saubere Kohletechnologien, Chancen & Innovationen“ veranstaltet wurde.
Die Berichterstattung über die COP in den polnischen Mainstream-Medien konzentrierte sich auch stark auf die Notwendigkeit, die Zukunft der (polnischen) Kohle zu sichern, sowie auf die Rolle von „sauberen Kohletechnologien“ (wobei dieser Begriff während der letzten Wochen in Polen zum Schlagwort wurde). Andererseits hat der Mainstream der polnischen wie der internationalen Nichtregierungsorganisationen in fast allen ihrer bedeutendsten öffentlichen Aktivitäten die Dringlichkeit betont, den Schritt weg von der kohlebasierten und hin zu einer auf erneuerbaren Energieträgern und Energieeffizienz beruhenden Volkswirtschaft zu vollziehen. Eine der wichtigsten Anti-Kohle-Aktionen während der COP war eine kleine, aber gut vorbereitete Demonstration zum Thema „Gesundheit oder Kohle“, die am Tag des Kohle- und Klimagipfels vor dem Veranstaltungsort beim Wirtschaftsministerium stattgefunden hat. Die Demonstration wurde von CEE Bankwatch Network, Climate Alliance Germany, 350.org, LUSH, Cough4Coal und Tools for Action organisiert und von der Polish Climate Coalition unterstützt.
Ein weiteres, recht drastisches Beispiel der durchaus respektlosen Einstellung der polnischen Regierung zu den globalen Klimaverhandlungen war die Tatsache, dass der polnische Premierminister Donald Tusk mitten in der zweiten Woche der COP, inmitten von schwierigen Verhandlungen, eine Regierungsumbildung verkündete, bei der u.a. der polnische Umweltminister, COP-Präsident Marcin Korolec, durch Maciej Grabowski (ehemaliger Unterstaatssekretär im Finanzministerium) ersetzt wurde. Offiziell wird Korolec seine Funktion als Präsident der Klimarahmenkonvention-Verhandlungen als „Bevollmächtigter der Regierung für die Klimaverhandlungen“ weiter erfüllen, aber praktisch gesehen ist dies eine Degradierung sowohl der Person (er wird nun einfach zum außerordentlichen Beamten) als auch der Bedeutung, die die polnische COP-Präsidentschaft dem Klimarahmenkonvention-Prozess beimisst. Obwohl Korelec nicht wirklich als progressiver Umweltminister galt, löste dieser Wechsel während der COP viel Kritik aus, nicht nur unter den internationalen und polnischen Kommentator/innen und Journalist/innen, sondern auch unter den Nichtregierungsorganisationen, die alle betonten, dass dies die COP-Präsidentschaft schwächte und die Aufmerksamkeit der Verhandler/innen vom Prozess ab- und auf dieses administrative Thema hinlenkte. Diese Personalentscheidung ist umso ärgerlicher angesichts des Gerüchts, dass Korelec ersetzt wurde, um den Prozess der Vorbereitung der rechtlichen Grundlage für Schiefergasexploration in Polen zu beschleunigen.
Diese Tatsachen werden alle in der selbstgefälligen Wahrnehmung der COP-19-Ergebnisse durch die polnische Regierung widergespiegelt. COP-Präsident Korolec sagte, dass in Warschau „alle intendierten Ziele erreicht wurden“ und benannte dabei einen entstehenden Konsens über die Notwendigkeit einer globalen Vereinbarung, die Vorbereitung eines Fahrplans zu deren Unterzeichnung 2015 sowie die Schaffung eines Warschau-Mechanismus zu Verlusten und Schäden als bedeutende Errungenschaften. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums war einer der Haupterfolge die Eröffnung eines Dialogs mit der Wirtschaft während der COP. Obwohl polnische Nichtregierungsorganisationen einige kleine inhaltliche Fortschritte bei den Ergebnissen von Warschau anerkennen, kritisieren sie den Mangel an Führungskraft seitens der polnischen Regierung scharf und warnen, dass die polnische Präsidentschaft hauptsächlich wegen ihrer eigennützigen und lächerlichen Entscheidungen während der COP (darunter die Entlassung des Umweltministers Korolec und die Veranstaltung des Kohle-und-Klima-Gipfels) sowie ihre Bereitschaft, die Verhandlungen für die Vereinnahmung durch Unternehmen der polnischen und internationalen Kohlelobby zu öffnen in Erinnerung bleiben wird.
Internationaler Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden (loss and damage), die mit Auswirkungen des Klimawandels einhergehen
Verluste und Schäden werden von einem Mangel an ausreichendem und dringlichem Klimaschutz und dem Mangel an ausreichender Unterstützung (Finanzen, Technologie und Kapazitätsaufbau) für Anpassungsmaßnahmen verursacht. Bedeutende Anpassungsmaßnahmen können Verluste und Schäden verhindern und reduzieren. Es gibt jedoch Grenzen, was Anpassung leisten kann. Extreme Klimaereignisse, die sowohl hinsichtlich ihrer Häufigkeit als auch ihrer Schwere zunehmen, sowie der langsame Eintritt von Auswirkungen wie der Anstieg des Meeresspiegels, steigende Temperaturen oder die Versauerung der Meere machen Anpassung schwieriger und sogar unmöglich, besonders in gefährdeten Entwicklungsländern. Verluste und Schäden, die mit Auswirkungen des Klimawandels einhergehen, haben sowohl ökonomischen (Verluste von Lebensgrundlagen durch Missernten aufgrund steigender Temperatur, Verlust von produktiven Flächen aufgrund von langsam einsetzenden Auswirkungen wie Meeresspiegelanstieg) als auch nicht-ökonomischen (kulturelle Verluste aufgrund von Vertreibung oder geplanter Umsiedlung) Wert. Es bestehen etliche Institutionen und Gremien unter der Klimarahmenkonvention, die für den Umgang mit Anpassung zuständig sind. Jedoch ist unter ihrem gegenwärtigen Auftrag und angesichts der Komplexität der Probleme von Verlust und Schäden ein internationaler Mechanismus zu dieser Thematik erforderlich, um verbleibende Auswirkungen, die über die Möglichkeiten der Anpassung hinausgehen, zu behandeln.
Die Einrichtung eines solchen Mechanismus, wie im letzten Jahr in Doha vereinbart, war für viele Entwicklungsländer eine rote Linie und auch einer der ersten Punkte, die an die Minister/innen zur Lösung weitergeleitet wurde – da es sich weniger um ein technisches, sondern eher um ein politisches Problem handelt. Der “Internationale Warschau-Mechanismus für klimabedingte Verluste und Schäden“ wurde unter dem Cancun-Rahmenabkommen zur Anpassung an den Klimawandel eingerichtet, wo er seinen Ursprung hatte. Die Entscheidung etabliert auch ein Exekutivkomitee, das unter der Führung der COP arbeiten und ihr rechenschaftspflichtig wird. Der internationale Warschau-Mechanismus wird bei deren zweiundzwanzigster Sitzung (COP 22 in 2016) überprüft werden.
Dem Mechanismus sind zahlreiche Funktionen zugewiesen, u.a. (a) Verbesserung des Wissens und des Verständnisses von umfassenden Risikomanagementansätzen, um klimabedingte Verluste und Schäden anzugehen, inklusive langsam einsetzender Auswirkungen; (b) Stärkung des Dialogs, Koordination, Kohärenz und Synergien unter relevanten Stakeholder/innen; und (c) Verbesserung von Handeln und Unterstützung, u.a. in Form von Finanzierung, Technologie und Kapazitätsaufbau, um klimabedingte Verluste und Schäden anzugehen, mit dem Ziel, Länder in die Lage zu versetzen zu handeln.
Dies kann ein erster Schritt des Umgangs mit klimabedingten Verlusten und Schäden sein. Die angenommene Entscheidung erkennt an, dass Verluste und Schäden „über die Möglichkeiten von Anpassungsmaßnahmen hinausgehen“ und lässt erkennen, dass es einen Unterschied zwischen Anpassung einerseits und Verlusten und Schäden andererseits gibt. Allerdings könnte die Zuordnung des Mechanismus zum Cancun-Rahmenabkommen zur Anpassung an den Klimawandel, dessen Geltungsbereich eben die Anpassung ist, den Umfang des Mechanismus einengen und seinen Fokus bei Anpassung und Risikomanagement belassen, wodurch Verluste und Schäden zu einer Art Teilmenge der Anpassung würden. Dies ist eher ein Schritt zurück als nach vorn, anstatt einen eigenständigen Mechanismus zu haben, wie von mehreren Entwicklungsländern vorgeschlagen und gefordert.
Die COP-Entscheidung schreibt dem Exekutivkomitee vor, eine erste Sitzung abzuhalten, die als hochrangiger politischer Anfang gilt und bei der möglicherweise Modalitäten von der COP 20 vereinbart werden können. Bis dahin kann auch der Arbeitsplan fertiggestellt sein, sodass das Gremium direkt im Anschluss an die COP 20 die wirkliche Arbeit aufnehmen kann. Die Überprüfung des Mechanismus bei der COP 22 im Jahre 2016 könnte auch die Plattform sein, um ihn aus dem Cancun-Rahmenabkommen zur Anpassung an den Klimawandel herauszulösen.
Klimafinanzierung
Entwicklungsländer kamen mit der Erwartung nach Warschau, dass die COP 19 die „Finanz-COP“ sein würde. Sie hatten den Eindruck, dass dieses Versprechen ihnen in Doha implizit gemacht worden war, um ihre Unterstützung für das „Doha Gateway“-Paket zu erlangen. Angesichts mehrerer anhängiger Finanzentscheidungen in Warschau (zu langfristiger Finanzierung, dem Green Climate Fund (GCF), dem Ständigen Ausschuss für Finanzen (SCF) oder der Fünften Überprüfung des Finanzmechanismus) stand die Unzulänglichkeit der derzeitigen Bereitstellung öffentlicher Gelder von Industrie- für Entwicklungsländer als Kerninstrument, um Klimaschutz und -anpassung anzupacken, gewiss im Mittelpunkt der Verhandlungen in Warschau. Der Mangel an Fortschritt – sprich: spezifische finanzielle Verpflichtungen und ein konkreter Fahrplan und Pfad dafür, wie Industrieländer beabsichtigen, die Kopenhagen-Verpflichtung von USD 100 Milliarden pro Jahr bis 2020 zu erfüllen, indem sie von den USD 10 Milliarden pro Jahr der Fast-Start Finance-Periode, die vor einem Jahr zu Ende ging, hochskalieren – trug zu einer weiteren Verschlechterung des bereits weitgehend zerrütteten Vertrauens zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bei. Es war auch der Hauptgrund für das Beharren der Entwicklungsländer darauf, dass Industrieländer zuerst ihre aktuellen Verpflichtungen zu Emissionsreduktionen und Finanzierung erfüllen, bevor die Entwicklungsländer überhaupt über ihre eigenen freiwilligen Verpflichtungen für die Vereinbarung von 2015 nachdenken.
Zwei Jahre lang, seit Durban, hatte ein Arbeitsprogramm der Klimarahmenkonvention zu langfristiger Finanzierung zwar Möglichkeiten erörtert, um genügend Mittel für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen aus verschiedenen Quellen aufzutreiben, es schreckte aber davor zurück, konkrete Finanzierungszwischenziele auszuarbeiten, um hauptsächlich öffentliche Klimafinanzierung zwischen 2013 und 2020 hochzuskalieren. Obwohl die Entscheidung von Warschau zu langfristiger Finanzierung das Ziel für 2020 von USD 100 Milliarden pro Jahr erneut bestätigte und entschied, die Beratungen zur langfristigen Finanzierung fortzuführen, gelang es nicht, konkrete Zahlen anzugeben, trotz des Vorstoßes von Entwicklungsländern, auf halbem Wege nach 2020 eine Verpflichtung auf USD 60-70 Milliarden pro Jahr zu verankern. Stattdessen haben die Industrieländer erfolgreich Formulierungen zu „günstigen Rahmenbedingungen“ in Entwicklungsländern für Finanzierung aus zahlreichen Quellen (und vermutlich einschließlich der Beiträge von Nicht-Annex-2-Ländern) in der Entscheidung verankern können – hauptsächlich im Kontext vor allem von privater Finanzierung, die von Industrieländern zum Ausgleich kleinerer öffentlicher Finanzierungsbeiträge angenommen wird. Die einzige konkrete neue Aufforderung an Vertragsparteien der Industrieländer in der Entscheidung war, alle zwei Jahre Dokumente zu ihren Ansätzen sowie quantitative und qualitative Elemente für einen finanziellen Pfad nach 2020 vorzulegen und sich zu alle zwei Jahre stattfindenden ministeriellen Dialogen über Klimafinanzierung zu verpflichten, beides ab 2014.
Es ist zweifelhaft, dass in solchen hochrangigen Minister/innentreffen ohne einen politischen Willen, substanzielle Zahlen auf den Tisch zu legen, viel erreicht werden kann, wenn das zweitägige hochrangige Minister/innentreffen, das in der zweiten Woche der COP stattfand, als Orientierung dienen kann, da es nur wenige konkrete „neue und zusätzliche“ Finanzzusagen zum Ergebnis hatte. Schließlich haben sich die Industrieländer aus der „Doch-nicht-Finanz-COP“ eigentlich recht billig herauswinden können. Sie haben einen Fahrplan, die USD 100 Milliarden pro Jahr aufzutreiben, einfach durch den viel handhabbareren, aber hauptsächlich symbolischen Versuch ersetzt, dabei zu helfen, das Geldbeschaffungsziel des Anpassungsfonds von USD 100 Millionen für 2013 zu erreichen (dank neuer Verpflichtungen von Deutschland, Frankreich, Finnland, Norwegen und der Schweiz) – ein schlechter Tausch für die betroffenen Gemeinschaften in Entwicklungsländern, wenn auch lebensrettend für den Anpassungsfonds, der zusehen musste, wie sein prognostiziertes Einkommen aufgrund dramatisch fallender CO2-Preise in den letzten Jahren zurückging. In Warschau bekamen Entwicklungsländer weder die Verpflichtung, mindestens 50 Prozent aller öffentlicher Klimafinanzierung für Anpassung (die international weiterhin chronisch unterfinanziert ist) auszugeben, noch feste Zusagen für den Green Climate Fund (GCF), der auf lange Sicht einen bedeutenden Anteil neuer multilateraler Finanzierung in die Anpassung lenken soll. In Warschau gab es nur eine neue Zusage für den GCF (etwa USD 45 Millionen von Schweden, zusätzlich zu einer älteren Zusage von Südkorea über weitere USD 40 Millionen), obwohl mehrere europäische Länder andeuteten, dass sie bereit seien, substanzielle Beiträge an den GCF zu zahlen, wenn er erst einmal voll operationalisiert und bereit sei, Gelder zu verwalten. In ihren Leitlinien für den GCF blieb es der COP, den Verwaltungsrat des GCF dringend aufzufordern, essenzielle politische Voraussetzungen, die er bei seiner letzten Sitzung in Paris im Oktober festgelegt hatte (und die in den nächsten beiden Sitzungen des GCF-Verwaltungsrats in der ersten Hälfte von 2014 angepackt werden sollen), zu vollenden, sodass Industrieländer „ambitionierte und fristgerechte Beiträge“ für einen ersten Ressourcenmobilisierungsprozess des GCF vor der COP 20 in Lima im kommenden Jahr leisten können. Außerdem bestätigten die Leitlinien nochmals, dass alle Entwicklungsländer berechtigt sind, vom GCF Finanzierung zu erhalten; der GCF soll einen länderbasierten Ansatz verfolgen und in seinen Zuweisungen ein Gleichgewicht zwischen Klimaschutz und Anpassung berücksichtigen.
Die Diskurse zum Thema Finanzen in Warschau machten deutlich, dass Entwicklungsländer den GCF als das Hauptfinanzinstrument auch der neuen Vereinbarung von 2015 betrachten, während Industrieländer ihn weiterhin als nur einen von vielen konkurrierenden Klimafinanzierungsmechanismen (von denen viele außerhalb der Klimarahmenkonvention verwaltet werden) wahrnehmen. Daher wird die Höhe der Zusagen der Industrieländer an die erste Ressourcenmobilisierung des GCF, die etwa zur Zeit des Climate Summit von Ban-ki Moon im September 2014 erwartet werden, in den Augen der Entwicklungsländer ein Testfall für die Ernsthaftigkeit und Ambitionen der Industrieländer für den Zeitraum nach 2020 sein. Die Entwicklungsländer werden in Lima sowie im Vorfeld der COP 2015 in Paris entsprechend reagieren.
REDD+
Für manche unerwartet und dennoch aus der Perspektive von anderen lange überfällig haben die Staaten in Warschau ein Paket von sieben Entscheidungen angenommen, in dem der Governance-Rahmen für REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) schließlich festgelegt wird, und haben damit den „Warschauer Rahmen für REDD+-Maßnahmen“ etabliert. Die Vertragsparteien haben vereinbart, dass Finanzierung für REDD+-Aktivitäten nur auf Grundlage von Ergebnissen bereitgestellt werden soll, nachdem Länder, die ergebnisbasierte Zahlungen fordern, Informationen zur Verfügung gestellt haben, wie Schutzmaßnahmen angepackt und eingehalten worden sind. Der Green Climate Fund, der bei seiner letzten Verwaltungsratssitzung im Oktober in Paris bereits die REDD-Implementation als einen seiner Investitionsbereiche bestätigte, soll eine Schlüsselrolle dabei spielen, solche ergebnisbezogene Finanzierung aus dem REDD+-Bereich zu kanalisieren.
Als wollten sie diese Entscheidung verhöhnen, haben jedoch drei Länder, die noch nicht in den GCF eingezahlt haben, eine Zusage für insgesamt USD 280 Millionen an eine neue, von der Weltbank verwaltete, multilaterale Fazilität außerhalb der Klimarahmenkonvention gemacht, die BioCarbon Fund Initiative for Sustainable Forest Landscapes, die sich in Richtung eines breiter angelegten, flächennutzungsbezogenen Klimaschutzansatzes (bei dem Bemühungen von REDD+, klimaintelligente Landwirtschaft und Energie aus Biomasse kombiniert werden) bewegen will. Die USA werden das Geberland mit der geringsten Zahlung an den neuen Fonds sein, verglichen mit USD 135 Millionen aus Norwegen und USD 120 Millionen aus dem Vereinigten Königreich. Die USA haben lediglich USD 25 Millionen zugesagt.
Interessanterweise ist Brasilien – eines der Schlüsselländer der Welt in Sachen Wald – in Warschau unter schweren Druck geraten, als die Umweltministerin Izabella Teixeira erklären musste, warum die Entwaldungsraten in der Amazonasregion zum ersten Mal seit 2005 wieder gestiegen sind. Brasilianische Nichtregierungsorganisationen haben natürlich auf den offensichtlichen Grund hingewiesen: die Entwaldungsraten begannen wieder anzusteigen, nachdem das Waldgesetz 2012 geändert worden war (wobei u.a. eine Amnestie für Waldverbrechen der Vergangenheit eingeführt wurde).
Dies geschah auch zeitgleich mit dem Start des ersten Handels mit Land- und Waldzertifikaten (Offsets) in Brasilien an der neu gegründeten Bolsa Verde (Grüne Börse). Und obgleich Brasilien stark (und erfolgreich) gegen einen marktwirtschaftlichen Ansatz zu REDD+ auf der internationalen Ebene Lobbyarbeit betrieben hatte, hindert der Warschauer Rahmen Länder nicht daran, nationale oder bilaterale REDD+-Märkte zu implementieren. Und das wiederum ist sehr im Interesse der mächtigen Agrobusiness-Lobby in Brasilien und anderswo.
Gender und Klimawandel
Bei der COP 18 in Doha im vergangenen Jahr wurde die Gender-Entscheidung, die auf Fortschritte hin zum Gleichgewicht der Geschlechter in den Delegationen der COP-Vertragsparteien und in den COP-Gremien drängte, als das „Wunder von Doha“ gefeiert. Ein Jahr später war das Thema Gender und Klimawandel in Warschau formal auf der Agenda des SBI in einem Workshop und der folgenden Kontaktgruppe. Dabei gingen die Vertragsparteien und Beobachter/innen über die bloße Berücksichtigung ausgeglichener Beteiligung von Männern und Frauen in Gremien der Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls hinaus, indem sie über den Bedarf an Kapazitätsaufbau und Möglichkeiten zur Umsetzung von gender-sensiblen Klimapolitiken in der Klimarahmenkonvention diskutierten, besonders in den Bereichen Klimaschutz, Anpassung, Finanzierung, Kapazitätsaufbau und Technologie. Die COP nahm die Schlussfolgerungen der SBI-Kontaktgruppe an, obwohl die wichtigsten Aspekte, nämlich die Forderung nach einem Rahmen mit einem Fahrplan für Handeln in Richtung gender-sensibler Politiken in der Klimarahmenkonvention, nur in einem Anhang zu den Schlussbemerkungen versteckt wurden.
Leider werden weitere Arbeiten erst bei der COP 20, nicht bei der SBI-Sitzung im Juni, aufgenommen werden, was unter Gender-Verfechter/innen die Sorge wachsen lässt, dass der nach Doha bestehende Impuls hin zum Handeln verlorengehen könnte. Gender- und Frauenrechteaktivist/innen waren auch recht verstimmt über den offiziellen Side Event der Klimarahmenkonvention unter dem Titel „Gender Day“ am 19. November, als die Klimarahmenkonvention-Chefin Christiana Figueres die Teilnehmer/innen dazu aufforderte, sich auf „Visionen“ zu konzentrieren, nicht auf die Implementierung der Gender-Entscheidung von Doha. Es ist jedoch genau der Mangel an Fortschritt in Richtung der Implementierung von gender-sensiblen Klimapolitiken in der Klimarahmenkonvention, die im Zentrum des COP-Diskurses über Gender und Klimawandel stehen muss. Und dafür genügt es nicht, mit Gender als eigenen COP-Tagesordnungspunkt isoliert umzugehen. Vielmehr müssen Gender-Überlegungen in alle Verhandlungsstränge und Themenbereiche der Arbeit der Klimarahmenkonvention integriert werden, einschließlich Finanzen, Technologie, Verluste und Schäden, Anpassung und Klimaschutz. Obwohl in Kontaktgruppen und informellen Diskussionen in diesen Bereichen auf gender-sensible Ansätze verwiesen wurde – in manchen Bereichen, darunter Finanzen, stärker als in der Vergangenheit – blieben letztlich wenige gender-spezifische Verweise im Schlusstext von Warschau außer dem Gender-Text, am stärksten bemerkenswert in einer Bestimmung im internationalen Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden, der nach Gender aufgeschlüsselte Daten fordert und im Nairobi Arbeitsprogramm zu Anpassung, das einen gender-sensiblen Ansatz verlangt, sowie ein Verweis in der Überprüfung des Finanzmechanismus, für den sein Beitrag zu gender-sensiblen Ansätzen als ein Kriterium für seine Wirksamkeit gilt.[1]
Das Ende des Kyoto-Protokolls?
In Warschau war es letztlich unmöglich, sogar bei einem Thema, das eigentlich ein Kinderspiel hätte sein sollen, einen Erfolg zu verbuchen: die Ratifizierung des zweiten Verpflichtungszeitraums des Kyoto-Protokolls (KP), der im vergangenen Jahr in Doha seinen Anfang nahm. Länder kämpfen immer noch damit, wie sie ihre Emissionszertifikate für den zweiten Verpflichtungszeitraum kalkulieren sollen. Angesichts dessen hat sich eine in letzter Minute erreichte Vereinbarung bei der COP 18 in Doha, die die Fortsetzung des KP über 2012 hinaus gewährleistete, als (recht weise) Entscheidung erwiesen, obwohl sie auch ihren Preis hatte: In Katar hat Russland nicht zugestimmt, wurde aber von der katarischen COP-Präsidentschaft überstimmt. In der Konsequenz ist es Russland mit seiner Forderung in Bonn, dass Entscheidungsfindung unter der COP unter der SBI angegangen werden solle, gelungen, fast die gesamten SBI-Diskussionen während der Sitzung im Juni dieses Jahres zu blockieren. U.a. deswegen wurde auch in Warschau noch keine Entscheidung getroffen und die Angelegenheit auf 2014 vertagt. Das bedeutet, dass es für die EU sehr schwierig sein wird, den zweiten Verpflichtungszeitraum zu ratifizieren und zu implementieren – eine Voraussetzung dafür, dass die G77 und China überhaupt die Diskussionen unter der ADP fortsetzen.
Und in diesem Kontext sollte mit Vorsicht zur Kenntnis genommen werden, dass es Venezuela (Mitglied der G77 und der LMDC) war, das darauf bestand, andere Themen zur Implementierung des KP offen zu halten, bis sämtlichen Themen geklärt seien. Eine grundsätzliche Haltung? Eine kluge Strategie? Reine Taktik? Dies wird es für die EU sicherlich nicht leichter machen, mit ihrem Post-2020-Klima- und Energiepaket voranzukommen. Und Russland, Polen, die Ukraine und andere werden weiterhin die UNO-Klimaverhandlungen mit „heißer Luft“ heimsuchen.
Warum genau war es aber so schwierig, technische Fragen zu lösen, die den Ratifizierungsprozess ermöglichen würden? Die USA haben sich bereits vor langer Zeit vom KP verabschiedet. Kanada hat es nicht implementiert und letztlich die Vereinbarung, die es ratifiziert hatte, gebrochen. Der zweite Verpflichtungszeitraum hat sehr wenige Teilnehmer (die EU, Australien, Norwegen, die Schweiz, Island, Monaco, Liechtenstein, Belarus, die Ukraine und Kasachstan), wobei mit 15 Prozent nur ein ungenügender Bruchteil der globalen Emissionen abgedeckt ist. Es ist unrealistisch zu glauben, dass es jemals einen dritten Verpflichtungszeitraum geben wird. Sowohl reiche Industrieländer als auch große Emittenten in den Entwicklungsländern haben hinreichend deutlich gemacht, dass sie keine Verpflichtungen für den Zeitraum nach 2020 in Betracht ziehen werden.
Der Mangel an Fortschritt bei diesem Tagesordnungspunkt zeigt, wie das Durban-Mandat einen Schatten nach vorn wirft. Eine von allen unterstützte Vereinbarung, die auf differenzierten Beiträgen fußt, scheint mittlerweile weit außer Reichweite zu sein – und 2015 steht vor der Tür. Die rechtliche Form der Vereinbarung von 2015 ist natürlich doch von Bedeutung, und derzeit ist unklar, wie wertvolle Elemente der Kyoto-Architektur (seine rechtlich bindende Natur, die Regelungen zu Compliance und der Berechnung von Emissionen, Vergleichbarkeit von Bemühungen, etc.) in einer Übereinkunft, die auf „Bottom-up“-Verpflichtungen und Überprüfungen setzt, beibehalten werden können. Eine solche Übereinkunft – wenn sie aus wenig mehr als einer Reihe COP-Entscheidungen bestünde – ist nicht mit einem Protokoll oder einem ähnlichen Rechtsinstrument zu vergleichen. Es scheint, dass die meisten Regierungen es vorziehen, weiterhin Spiele zu treiben: sie schieben sich gegenseitig die Schuld zu, um von ihrer eigenen Untätigkeit abzulenken und so zu tun, als sei der Klimawandel ein Nullsummenspiel.
Diejenigen, die die Verhandlungen verlassen und diejenigen, die bleiben – die Zivilgesellschaft bei der COP 19
Seit der COP 15 in Kopenhagen 2009 haben Nichtregierungsorganisationen, die bei der Klimarahmenkonvention aktiv sind, die Option diskutiert, einfach den Prozess zu verlassen bzw. ihm den Rücken zu kehren. Nun kann dies natürlich auf sehr verschiedene Art und Weise geschehen. Etliche Organisationen, besonders aus dem kritischeren zivilgesellschaftlichen Spektrum sowie Gruppen, die Graswurzelbewegungen in den Entwicklungsländern vertreten, haben tatsächlich nach Kopenhagen den Prozess verlassen. Sie nehmen nicht mehr an den COPs teil und erwarten kaum, dass der internationale Klimaverhandlungsprozess überhaupt bedeutende Resultate liefern kann. Andere haben ihre Prioritäten und Ressourcen neu geordnet und setzen weitaus mehr Personal, Geld und Zeit dafür ein, auf nationaler und lokaler Ebene den Klimawandel anzupacken – obwohl sie womöglich immer noch am jährlichen Klimazirkus bei den COPs teilnehmen. Natürlich müssen diese Entwicklungen auch im Kontext sich verändernder Strategien und Unterstützungsprioritäten der Geldgeber für Nichtregierungsorganisationen gesehen werden.
In Warschau fühlten sich viele derjenigen Vertreter/innen der Zivilgesellschaft, die beim Prozess geblieben sind und weiterhin versuchen, entweder bei Vertragsparteien Lobbyarbeit von innen zu machen oder Brücken zwischen internen und externen Strategien zu bauen, von dem, was sie beobachteten, entmutigt. Und so kam es, dass zum ersten Mal während einer COP mehr als 800 Vertreter/innen von Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt das Stadion in Warschau am Donnerstagnachmittag der zweiten Woche verließen. Die Botschaft war unmissverständlich: Wir glauben nicht, dass diese COP irgendeinen Fortschritt liefern kann. Aber wir werden den Prozess nicht ganz und gar aufgeben. In Lima werden wir wieder dabeisein (#volveremos). Die Aktion wurde hauptsächlich von der „C7“ (WWF, Greenpeace, Oxfam, Action Aid, Christian Aid, Friends of the Earth International, International Trade Union Confederation) vorbereitet und dominiert. Und die Macht ihrer kollektiven PR-Maschinerie brachte die Aktion in Medien in der ganzen Welt in die Schlagzeilen.
Denjenigen Nichtregierungsorganisationen, die im Stadion blieben (aus anderen und hauptsächlich sehr legitimen Gründen), gelang es, eine kollektive „jubelnde Menge“ im gespenstisch leeren Inneren des Stadions während des Schlussplenums der COP 19 zu organisieren. Ihr lautes Jubeln und Skandieren war ein Echo der Zustimmung bzw. Ablehnung der Statements der Delegationen in den Zelten am Ende des Fußballfelds. Dies ist wohl der lauteste Protest von innen, den wir derzeit erzielen können. Aber offensichtlich hat er am Ende nicht ausgereicht.
Wie sehr der „Warsaw Walkout“ dazu beigetragen hat, Druck auf Regierungen aufzubauen, um Klimamaßnahmen zu liefern, und ob er außerdem neue Konflikte innerhalb der Zivilgesellschaft geschaffen oder vielmehr dazu beigetragen hat, Brücken zwischen Innen und Außen wiederaufzubauen, bleibt zu diskutieren und kann heute nicht abschließend beantwortet werden. Aber zusammen mit dem Fasten und einigen direkten Aktionen im Konferenzzentrum, die dazu führten, dass jungen Klimaaktivist/innen in der ersten Woche die Akkreditierung entzogen wurde, ist es ein Zeichen sowohl wachsender Frustration als auch wachsenden Mutes, die im Vorfeld von Paris sehr wohl viel mehr hervorbringen könnten als ein PR-Sturm.
Mittlerweile suchen etliche Einzelpersonen und Organisationen sogar innerhalb des Kontextes der Klimarahmenkonvention nach radikalen Ansätzen, die über schrittweise Veränderungen hinausgehen. In diesem Kontext zu nennen sind u.a. Forschungarbeiten zu den Carbon Majors (90 Unternehmen, die für den Abbau der meisten fossilen Brennstoffe weltweit verantwortlich sind, der radikale Ansatz des Tyndall Centre zu Emissionsreduktionen, die Forderung nach einem (netto) Null-Emissionen-Ziel bis 2050 (siehe zum Beispiel IDDRI) oder das Paper „Call for a Strategic Reset“ der Heinrich-Böll-Stiftung. Wahrscheinlich und hoffentlich gibt es weit mehr zu diesen Themen und noch mehr, was in den beiden kommenden entscheidenden Jahren zu verfolgen ist, um sowohl Hoffnung als auch radikale Ideen aufkeimen zu lassen.
Aber all dies wird mehr Diskussionen erfordern, wenn der Staub sich gelegt hat; zufällig wurde mitgehört, wie ein Delegierter am letzten Tag der COP mit Christiana Figueres sprach. Welcher Staub? fragte sie. Seine Antwort: Kohlestaub.
Die Autorinnen möchten sich bei einer Reihe anonymer Gutachter/innen für das wertvolle Feedback und ihre ergänzenden Erkenntnisse bedanken!
Fußnoten:
[1] Neben den Schlussbemerkungen zu Gender und Klimawandel enthalten die folgenden Ergebnisdokumente von Warschau weitere Hinweise auf Gender: Warsaw International Mechanism on Loss and Damage (Abs. 5.a.ii.) – http://unfccc.int/files/meetings/warsaw_nov_2013/decisions/application/pdf/cop19_lossanddamage.pdf; Nairobi Work Programme on Adaptation (Präambel) – http://unfccc.int/files/meetings/warsaw_nov_2013/decisions/application/pdf/cop19_nairobiwp.pdf; Climate Technology Centre and Network Modalities and Procedures (Präambel und Abs. 4) – http://unfccc.int/files/meetings/warsaw_nov_2013/decisions/application/pdf/cop19_ctcn.pdf; Fifth Review of the Financial Mechanism (Annex Abs. 3) – http://unfccc.int/files/meetings/warsaw_nov_2013/decisions/application/pdf/cop19_fifth_review_finmech.pdf); Consultative Groups for National Communications (Abs. 5) – http://unfccc.int/files/meetings/warsaw_nov_2013/decisions/application/pdf/cop19_cge_natcom_nai.pdf); und KP Compliance Committee (Preamble) –http://unfccc.int/files/meetings/warsaw_nov_2013/decisions/application/pdf/cmp9
Eine englische Fassung des gleichen Beitrags findet sich hier.