Und wieder gibt es einen neuen Text hier in Paris. Inzwischen sind wir bei 29 Seiten – davon 14 für das eigentliche Abkommen, der Rest zusätzliche Entscheidungen der COP. Um kurz nach 15 Uhr heute nachmittag gab es großes Gedränge an den Druckern und am Documentation Center, um einen Ausdruck des gespannt erwarteten neuen Entwurfs zu bekommen.
Seitdem herrscht surrende Stille in den Gängen des Konferenzzentrum ins Le Bourget: Regierungsdelegationen, NGOs, Presse… alle sitzen eng konzentriert an Tischen und in den Sofaecken und wühlen sich durch das Dokument. Vereinzelt vernimmt man angeregtes Plaudern, einige wenige Lacher, ansonsten eher ernste Gesichter.
Die Schlangen an den Kaffeeverkaufsständen sind lang – denn alle stellen sich auf eine lange Nacht ein. Heute abend soll es weitergehen mit den Verhandlungen, wenn alle den jetzigen Stand durchgearbeitet und verdaut haben.
Auf den ersten Blick enthält der neue Texte immer noch sehr viele Optionen und Klammern. Kaum eines der strittigen Themen, die das Comité de Paris seit Samstag verhandelt, ist tatsächlich gelöst.
An einigen Stellen ist ein bisschen mehr Klarheit im Text. Zum Beispiel sind die Optionen im berühmten Artikel 2 (Zweck / Ziel des Abkommens) nun klarer benannt: Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2°C (Option 1), deutlich unter 2°C (Option 2) oder unter 1,5°C (Option 3).
Zu diesem Thema gab es heute in der Rede von Johny Kerry einen interessanten Patzer (oder vielleicht nur einen kleinen Stolperstein): Minute 40:10-40:35 (ich verrate nichts…).
Hier ein paar der Aufgaben und Fragen, denen sich die Delegierten in den kommenden 24 Stunden noch intensiv widmen müssen (nur eine Auswahl – und die Themen sind alle nicht neu):
- Gelingt es, das Thema Klimawandelschaden und -verluste als separates und eigenständiges Anliegen im Pariser Abkommen zu verankern und die notwendigen Maßnahmen und Prozesse festzulegen, die tatsächliche Hilfe für diejenigen bedeuten, die unter den schlimmsten Folgen des Klimawandels leiden? Hierzu gibt es im neuen Entwurf noch nicht einmal neuen Text (siehe Fußnote für Artikel 5).
- „Differentiation“ bleibt ein äußerst umstrittenes Thema, das quasi den kompletten Text betrifft: Emissionsreduktionsziele, Rechtsverbindlichkeit, Finanzierung, Transparenz und Rechenschaftspflicht – in all diesen Punkten wird heftig gestritten, wie sich das Prizip gemeinsamer aber unterschiedlicher Verantwortung (CBDR) implementiert werden kann? Wird die alte „Firewall“ zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgebrochen, in sich zusammenbrechen, langsam porös oder aktiv durchlöchert – oder wird sie neu gemauert?
- Wie sieht der Prozess aus, der den Entwicklungsländern die Zuversicht und Gewissheit gibt, dass sie mit finanzieller und technologischer Unterstützung rechnen können, wenn sie sich auf eine verbindliche Umsetzung ihrer nationalen Klimastrategien (INDCs) einlassen? In diesem Kontext sollte man dann allerdings doch erwähnen, dass der Artikel, der die INDCs im Pariser Abkommen rechtsverbindlich machen würde (Artikel 17 im letzten Entwurf sagte: „[The nationally determined [mitigation] contribution] [commitment] shall be legally binding on that Party upon entry into force of this Agreement for that Party.]]), erstaunlicherweise aus dem jetzigen Entwurf verschwunden ist (es gibt Artikel 16 und dann 18)… Johny Kerry zum Thema Rechtsverbindlichkeit heute (Minute 22:50): „We need a strong legally binding transparency system“ – aber kein legally binding agreement oder legally binding targets!
Ein bisschen „Fortschritt“ scheint es bei der Frage einer regelmäßigen Überprüfung der hier in Paris zu verabredenden Ziele, Maßnahmen und Regeln zu geben, beim sog. „global stocktake“ = Artikel 10, auf den sich viele andere Artikel und Entscheidungen beziehen und der eng mit der Frage der Überprüfung nationaler Ziele / Strategien, aktueller klimawissenschaftlicher Erkenntnisse und anderen Themen im Kontext von Review und Überprüfung zusammenhängt. Eine 5-Jahresperiode steht nicht mehr in Klammern – wohl aber das Jahr eines ersten Stocktakes (und das leider erst für frühstens 2023!).
Der faule Deal Saudi Arabiens mit den G77, das Thema „Loss & Damage“ nur zusammen mit dem Thema „Response Measures“ (Kompensation für Einnahmeverluste, wenn man weniger Öl verkaufen kann) voranzutreiben, ist leider deutlich les- und spürbar.
Und wer sich gefragt hat, was eigentlich aus dem Clean Development Mechanism (CDM) werden soll, und wie die Regierungen auf den großen Druck seitens der Industrie reagieren, einen Marktmechanismus (oder Marktmechanismen) im Pariser Abkommen zu verankern, findet dieses Anliegen nun im Artikel 3ter unter dem Titel „mechanism to support sustainable development“. Unklar bleibt allerdings, wo eigentlich der Markt ist, wenn das Abkommen ein bunter Blumenstrauß aus nationalen freiwilligen Beiträgen ist… Zum Thema Marktmechanismus haben sich übrigens gestern die EU und Brasilien gemeinsam öffentlich und in den Verhandlungen zu Wort gemeldet, das allerdings keine Hoffnung machen sollte, dass damit die Fragen von Zusätzlichkeit, Offsetting und all die anderen strukturellen Probleme mit Emissionshandelssystemen plötzlich gelöst wären.
In Kürze müsste hier in Le Bourget das Plenum des Comité de Paris beginnen. Denjenigen Delegationen, die mit kleiner Besetzung hier sind und keine Schichten einteilen können, wünsche ich besonders viel Durchhaltevermögen…