Ein Gastbeitrag von Magdalena Heuwieser, Finance & Trade Watch. Erschien zunächst hier.
85 % der CDM-Projekte (Clean Development Mechanism) des Kyoto-Protokolls verringern laut einer von der EU-Kommission beauftragten Studie vermutlich keine Emissionen. Doch die Luftfahrt-Industrie will ihre baldige Nachfrage nach Offset-Gutschriften über den CDM-Mechanismus decken. Dies droht, sowohl die Klimaschutzziele zu unterwandern als auch schädliche Flughafenprojekte zu legitimieren.
Die Theorie des Clean Development Mechanism
In der Theorie sollte der CDM eine effiziente Möglichkeit darstellen, Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig nachhaltige Entwicklung in Ländern des Globalen Südens zu stimulieren. Der CDM trat 2005 zusammen mit den anderen Emissionshandels-Instrumenten des Kyoto-Protokolls in Kraft. Damit konnte eine Industrieanlage oder ein Land im Globalen Norden seine eigene Reduktionsverpflichtung umgehen, indem es billige Gutschriften von CDM-Projekten kaufte, die sogenannten CERs (Certified Emission Reductions). Zu den Projekten zählen beispielsweise Wasserkraftwerke, Aufforstung oder „sauberere“ Kohlekraftwerke.
Über 7700 CDM-Projekte gibt es weltweit, die bisher über 1,6 Milliarden CERs generiert haben. Sie haben also keine unwichtige Rolle im internationalen Klimaschutz. So hat Österreich, wie viele andere Länder auch, einige Jahre lang seine eigenen Emissionen nicht ausreichend reduziert. Durch den Zukauf der billigen CDM-Gutschriften erfüllte Österreich dennoch die Kyoto-Verpflichtung. „Aufgrund der aktuellen niedrigen Marktpreise für Zertifikate können diese kostengünstig angkauft werden – das nützt nicht nur dem Klima, sondern auch unserem Budget“, freute sich 2012 der damalige Lebensminister Berlakovich. Doch laut der neuen Studie kann nur von 2 % der CDM-Projekte bestätigt werden, dass sie zusätzliche Emissionen reduzieren. Dies bedeutet, dass der CDM zwar dem Budget der Länder des Globalen Nordens nützte, nicht jedoch dem Klima. Schon in der Theorie dient der CDM nicht einer Reduktion, sondern als Offset, also als Kompensation: Dort wird reduziert, hier darf dafür mehr emittiert werden. Nun ist sichtbar, dass der CDM sogar einen Anstieg der Emissionen verursachte.
Saubere Entwicklung oder grüner Kolonialismus?
Auch ist höchst fraglich, inwiefern der Clean Development Mechanism zu einer „sauberen Entwicklung“ der sogenannten „Entwicklungsländer“ beiträgt. Nicht wenige lokale Gemeinden und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen lehnten sich gegen CDM-Projekte auf, da man sie gegen den Willen der lokalen Bevölkerung und mittels Repressalien durchsetzte. Viele der Projekte haben höchst zweifelhafte ökologische und menschenrechtliche Auswirkungen, wie z. B. das Sasan-Kohlekraftwerk in Indien. Letztes Jahr wiederrief Panama nach vehementem lokalen und internationalen Druck die CDM-Registrierung des Wasserkraftwerks Barro Blanco – ein Präzedenzfall. Das Projekt überschwemmte die Häuser, landwirtschaftlichen Flächen und Friedhöfe der indigenen Ngäbe-Gemeinde trotz ihres Widerstands und verletzte indigene Rechte.
So ist nicht verwunderlich, dass viele indigene Bewegungen oder Umweltorganisationen den CDM und auch sein Pendant zur Reduktion von Emissionen durch Waldschutz, REDD (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation), als neo-koloniale Art des Klimaschutzes kritisieren. „Wir betrachten das als beschämende Initiative, die mit der Tatsache zu tun hat, dass wir z.B. die Wälder schützen, um den Ländern von Europa und Nordamerika ihr Recht zu gewährleisten, denselben Rhythmus des Konsums und der Verschmutzung beizubehalten“, so der honduranische Aktivist Pedro Landa.
Kann der CDM verbessert werden?
Die vielfachen Probleme des CDM sind schon lange bekannt. Doch trotz scheinbarer Verbesserungen und strengeren Standards hat sich die Wirksamkeit von CDMs seither nur verschlechtert, so die Studie. Dies liegt unter anderem daran, dass 2007 noch zwei Drittel der Gutschriften (CERs) aus Projekten kam, deren Einkünfte nur der Gutschriftenverkauf ausmachte. Ohne den CDM-Mechanismus hätte es diese Projekte damit definitiv nicht gegeben – sie sind durch ihn zusätzlich entstanden. In der Periode von 2013 bis 2020 trifft dies jedoch nur noch auf weniger als ein Viertel der Gutschriften zu. Für diese stellen die Einnahmen durch CERs eher eine praktische weitere Geldquelle dar – realisiert worden wären die Projekte auch ohne sie.
Insbesondere energiebezogene Projekte (Wind, Wasser, Wärmerückgewinnung, fossile Brennstoffumstellung und effiziente Beleuchtung) erfüllen laut Studie allesamt höchstwahrscheinlich nicht das Kriterium der Zusätzlichkeit. Allein Wind- und Wasserkraftprojekte machen jedoch 57 % der CDM-Projekte aus.
Die Studie beabsichtigt, dass ihre Ergebnisse zu einer besseren Handhabung der CDMs bis 2020 führen sollen. Ab dann könnte der CDM mit dem Ende des Kyoto-Protokolls auslaufen. Zudem bezweckt die Studie, aus den Erfahrungen des CDM zu lernen und dessen Nachfolge-Mechanismus SDM (Sustainable Development Mechanism), der im Pariser Klimavertrag vereinbart wurde, anders zu gestalten. So empfiehlt sie, den zukünftigen Klimaschutz nicht auf Kompensationsmechanismen zu fokussieren, die darauf abzielen, die Emissionen des Gutschriften-Käufers auszugleichen. „Internationale Gutschriften-Mechanismen sollten ab 2020 eine beschränkte Rolle spielen, um allein spezifische Emissionsquellen in Ländern anzugehen, welche nicht die Kapazitäten haben, alternative Klimapolitiken umzusetzen“, so die Studie (S.10). Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Flugverkehr will mit Hilfe des CDM weiter wachsen
Die Luftfahrtindustrie meldet nun ihr Interesse an den billigen CDM-Emissionsgutschriften an. Denn im Oktober 2016 hat die UN-Organisation für Luftfahrt, ICAO (International Civil Aviation Organisation), erstmals und nach jahrelangem Zögern ein Klimaprogramm verabschiedet. Darin legte sie fest, dass die Flugindustrie trotz Klimawandel weiter ohne Einschränkung wachsen dürfe. Allerdings soll das Wachstum ab 2020 angeblich „CO2-neutral“ stattfinden. Ermöglichen soll dies der Ankauf von CDM-Gutschriften. Auch besteht Interesse an Gutschriften aus dem in Kritik stehenden Programm zur „Reduktion von Emissionen durch Abholzung und Waldzerstörung“ REDD+.
Der neue marktbasierte Mechanismus für die Luftfahrt nennt sich CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation). Er ist übersäht von Ausnahmeregelungen: So sind beispielsweise alle Binnenflüge davon ausgenommen, obwohl allein US-interne Flüge von US-Airlines 14 % der globalen CO2-Emissionen ausmachen. Zudem übersieht CORSIA, dass der Klimaeffekt der Luftfahrt nur etwa zur Hälfte auf die Kappe des CO2 geht. Die anderen Flugschadstoffe und Klimawirkungen bleiben unberücksichtigt. CORSIA ist zudem nicht ab 2020 sondern erst ab 2027 für die beteiligten Länder verpflichtend. Einige Staaten, wie Russland, Indien und Südafrika haben den Vertrag gar nicht erst unterzeichnet.
Das größte Problem bleibt jedoch die Idee des Offsetting an sich: Kompensationsmechanismen wie CDM oder REDD+ ignorieren, dass die aktuelle Situation der Klimakrise kein „Entweder-Oder“ zulässt: Es ist notwendig, sowohl Emissionen bei ihrer Entstehungsquelle, dem Flugverkehr, zu reduzieren, als auch Wälder zu schützen und CO2-sparsame Maßnahmen umzusetzen. Wenn nun auch noch die Offsetting-Projekte nicht zusätzlich sind und daher keine Emissionen reduzieren, so wird umso deutlicher, dass es sich vielmehr um eine Lizenz zur Verschmutzung als um Klimaschutz handelt.
Eine Lizenz für schädliche Infrastrukturprojekte
Welche Auswirkungen das Offsetting-Programm CORSIA schon jetzt, vor seiner Umsetzung, hat, wird in Wien und London deutlich: Eine neue Landebahn beim Heathrow Flughafen soll laut Berechnungen der Regierung dazu führen, dass die CO2-Emissionen des Vereinigten Königreichs um 15 % über dem vom Klimarat für 2050 vorgesehene Limit liegen würden. Nun behauptet das Transport-Department, die zusätzlichen Emissionen könnten ohne Probleme durch CORSIA kompensiert werden.
Ähnlich sieht es in Wien aus, wo ebenfalls eine dritte Piste in Planung ist. Doch in einem bahnbrechenden Urteil entschied im Februar das Gericht, diese könne wegen des zu hohen Emissionsanstiegs und dem öffentlichen Interesse am Klimaschutz nicht gebaut werden. In der Revision des Flughafens und des Landes Niederösterreich nimmt CORSIA eine zentrale Stellung ein: Das Problem der Emissionen sei damit international gelöst, man brauche keine lokalen Klimamaßnahmen.
Das Klimaschutzinstrument Offsetting ist kein geringes Problem. Denn es versucht ein ‚Weiter wie bisher‘ zu legitimieren und Widerstand den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es mag kompliziert erscheinen – die Logik dahinter ist aber simpel und verdient, mit vereinten Kräften verhindert zu werden.