Von Lili Fuhr (Heinrich-Böll-Stiftung) und Nils Simon (adelphi research)
Vom 4. bis 6. Dezember tagt in Nairobi, Kenia, zum dritten Mal die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA3). Übergreifendes Thema dieses wichtigen Gremiums sind die Verschmutzung („Pollution“) und ihre Folgen für Umwelt und menschliche Gesundheit. Es wird erwartet, dass UNEA 3 eine Minister/innen-Erklärung verabschieden, die mit dem Titel „Towards a Pollution-Free Planet“ etwas großspurig daherkommt, aber recht eindrücklich das Ausmaß der weltweit seit Jahren rasant zunehmenden Umweltverschmutzung zusammenfasst. Die Delegierten werden voraussichtlich ein Dutzend Resolutionen beschließen und das Arbeitsprogramm für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment) der nächsten anderthalb Jahre festlegen.
Was ist die UNEA?
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment), gegründet 1972, ist ein Unterorgan der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA). Im Nachgang des Rio+20-Gipfels 2012 wurde der Verwaltungsrat (Governing Council) aufgewertet und hat nun die universelle Mitgliedschaft aller UN-Mitgliedstaaten. Außerdem wurde das Entscheidungsgremium umbenannt in UN-Umweltversammlung (UN Environment Assembly, UNEA). Die erste UNEA fand im Juni 2014 und die zweite im Mai 2016 statt, jeweils in Nairobi, dem Sitz des Umweltprogramms. Die behandelten Themen waren ausgesprochen vielseitig, von Luftreinhaltung über die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Biodiversitäts-Abkommen, die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, bis hin zu Chemikalien in der Umwelt und Müll im Meer wurden viele bedeutende Themen der Umweltpolitik behandelt und in Resolutionen gegossen. Dazu wurden Studien in Auftrag gegeben, das Arbeitsprogramm des Umweltprogramms und dessen Finanzierungsrahmen beschlossen. Wie früher der Verwaltungsrat, so kann auch die Umweltversammlung den Startschuss für Verhandlungen über völkerrechtlich verbindliche Abkommen erteilen.
Ein zunehmend dramatischer werdendes Problem, das auch auf der UNEA 3 ein großes Thema sein wird, ist die Verschmutzung unserer (vor allem marinen) Ökosysteme mit Plastikmüll. Jährlich werden global 322 Millionen Tonnen Plastik produziert, fast vier Prozent davon, nämlich bis zu 13 Millionen Tonnen, landen im Meer – eine gewaltige Menge (für mehr Infos: Meeresatlas).
Ein Team unter der Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) hat vor Kurzem in einer Studie veröffentlicht, dass die Quellen dieser globalen Belastung sehr ungleich verteilt ist. Zehn Flusssysteme – acht in Asien und zwei in Afrika – befördern bis zu 95 Prozent des weltweit über Flüsse ins Meer gelangenden Plastikeintrags. Auf Platz eins steht der Jangtse, gefolgt vom Indus und dem Gelben Fluss, aus Afrika stehen der Nil und der Niger auf der unrühmlichen Top Ten.
Unter dem Plastikmüll leiden zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Für über 1.500 Spezies hat das LITTERBASE-Projekt des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) Beeinflussungen durch Meeresmüll gefunden. Dabei sind größere Plastikteile, sogenanntes Makroplastik, gefährlich, weil sich viele Tiere darin verfangen und ersticken können, oder sie verwechseln sie mit Futter und verhungern langsam, weil sich in ihren Mägen mehr und mehr unverdauliche Plastiktüten ansammeln. Je länger das Plastik in der Umwelt bleibt, in umso kleinere Teile wird es zerrieben. Dieses Mikroplastik richtet dann Schäden vor allem in kleineren Lebewesen an. Doch entlang der Nahrungskette werden diese Partikel weitergereicht, und am Ende landen sie bei uns Menschen auf den Tellern.
Das Plastikmüll-Thema ist inzwischen im breiten Mainstream der umweltpolitischen Debatte angekommen. Und angesichts der Tatsache, dass alle bisherigen Maßnahmen von der nationalen bis zur globalen Ebene zwar hilfreich sein mögen, aber am Ende doch zu kurz greifen, mehren sich die Rufe nach einem internationalen Abkommen. Wie eine von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene, in Zusammenarbeit mit adelphi entstandene Studie aufzeigt, ist die bisherige Governance-Landschaft nicht in der Lage, den Plastikmüll dort wirksam zu regulieren, wo er entsteht – also an Land. Es braucht ein Abkommen, in dem das Ziel von Null-Plastikverschmutzung völkerrechtlich verankert wird, und das im Idealfall gleich die weltweite Produktion von Plastik begrenzt und langfristig deutlich reduziert.
Auf der UNEA 3 fordert dies unter anderem das Break Free From Plastic-Netzwerk (BFFP) und mit ihm eine ganze Reihe von NGOs, darunter das European Environmental Bureau (EEB), Zero Waste Europe, die Plastic Pollution Coalition, die Global Alliance for Incinerator Alternatives (GAIA) und nicht zuletzt auch die wichtigen Dachgruppe der NGOs, der Frauen, aus Wissenschaft und Technik und der Jugend bei der UNEA (NGO; Women; Science and Technology; Children and Youth Major Group).
Könnte UNEA 3 den Startschuss für Verhandlungen zu einem internationalen Plastikabkommen liefern?
Vieles spricht dafür, jedoch ist der Weg noch lang. Geplant ist, dass wie bereits bei den beiden vorherigen Sitzungen auch auf der UNEA 3 eine Resolution zum Thema Plastik verabschiedet wird. Hierin müsste die UNEA beschließen, eine Arbeitsgruppe einzurichten und ihr das Mandat zu geben, alle Optionen zu diskutieren. Hierzu würde dann auch ein neues und verbindliches internationales Abkommen zählen. Erst auf der UNEA 4 im Mai 2019 könnte frühestens der Startschuss für eine Verhandlungsgruppe (Intergovernmental Negotiating Committee, INC) gegeben werden, welche den Text für eine Plastik-Konvention aushandeln würde.
Besorgniserregend ist, dass sich die aktuelle Debatte im Vorfeld von UNEA 3 – vor allem seitens der Regierungen und Unternehmen – auf eine starke Engführung der Problematik konzentriert, nämlich auf das Problem von Plastikmüll und vor allem Mikroplastik im Meer. Die Verschmutzung der Ozeane und Strände mit Plastik und Mikroplastik ist das sichtbare Problem. Dabei muss es doch zentral darum gehen, die Ursachen der Plastikvermüllung an Land anzugehen!
Wo kommt das Plastik denn her? Wer produziert es? Und warum gibt es davon so viel?
Mehr als 99 % des globalen Plastiks sind ein Nebenprodukt der Herstellung fossiler Rohstoffe, vor allem von Erdöl und Erdgas. Da die Produktion dieser Brennstoffe regional stark konzentriert ist, gilt dies auch für die globale Plastikproduktion. So treibt beispielsweise der Fracking-Boom in den USA einen regelrechten Plastikhype an. Und der Markt ist hochkonzentriert: Naphta ist ein Schlüsselprodukt aus der Erdölproduktion. Nur fünf Unternehmen – BP, Chevron, ExxonMobil, Shell und China National Petroleum Corporation – verzeichnen mehr als die Hälfte der globalen Naphta-Verkäufe! Große Öl- und Gasunternehmen besitzen Plastikfabriken und großen Plastikunternehmen gehören Anteile an Öl- und Gaskonzernen.
Diese und andere Fakten, kenntnis- und detailreich vom Center for International Environmental Law (CIEL) in der Serie „Fueling Plastics“ zusammengetragen, machen klar, dass es beim Plastikthema nicht (nur) um die Rettung armer Meerestiere oder die Säuberung von Touristenstränden geht, sondern um das Eindämmen starker Partikularinteressen mächtiger transnationaler Konzerne. Die Lösung der Plastikkrise ist eng verknüpft mit der Lösung anderer globaler Umweltkrisen, allen voran der Klimakrise.
Welchen positiven Klimaeffekt eine Null-Abfallstrategie haben kann, belegen diese Beispiele: Schon 2010 wurden rund 160 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr in den 27 EU-Ländern allein durch Recycling eingespart. Die Abfallziele im Kreislaufwirtschaft-Konzept der Europäischen Kommission könnten zusätzlich jedes Jahr 190 Millionen Tonnen CO2-Emissionen in der EU einsparen – das entspricht den gesamten jährlichen Emissionen der Niederlande. Die Umsetzung steht jedoch noch aus.
Anforderungen an ein internationales Plastikabkommen
Verhandlungen für ein internationales Plastikabkommen im Rahmen der UNEA müssen daher von Anfang an darauf ausgerichtet sein, die Ursachen und Haupttreiber der Plastikverschmutzung anzugehen. Wichtige Impulse aus Sicht der Zivilgesellschaft liefert für einen solchen umfassenden Ansatz aktuell vor allem die Break Free From Plastic Coalition.
Prinzipien und Ziele der Break Free from Plastic Coalition:
Unser oberstes Ziel ist eine Zukunft frei von Plastikverschmutzung.
Wir werden dafür arbeiten, Solidarität zwischen Menschen und betroffenen Gemeinden in der ganzen Welt zu schaffen, damit:
- Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise die planetarischen Grenzen einhält.
- Abfall an erster Stelle reduziert wird.
- Der Lebenszyklus von Materialien und Produkten, die wir benutzen von der Gewinnung bis zu Endnutzung, Recycling, Kompostierung und Entsorgung zur Gesundheit von Mensch und Planet beiträgt.
- Starkes gemeinschaftliches Handeln und Kooperationen zwischen Bürger/innen, Arbeiter/innen, Regierungen, Expert/innen und engagierten Unternehmen die gegenwärtigen und zukünftigen Entscheidungen über die Entwicklung von Materialien, Produktions- und Abfallsysteme lenken.
- Menschen, die informell Müll sammeln und recyceln, unterstützt werden, damit sie die Systeme, in denen sie arbeiten, verbessern und einen gerechten Übergang zu einer neuen und sicheren Materialwirtschaft mitgestalten können.
- Die Produzenten die Verantwortung für alle Kosten und Auswirkungen übernehmen, die während des Lebenszyklus ihrer Produkte und Verpackungen entstehen, und bessere Materialien und Systeme erfinden und neu gestalten.
- Plastikprodukte und -verpackungen, wo sie notwendig sind, wiederbenutzt, repariert, und wenn das nicht mehr möglich ist, recycelt und toxische Stoffe von der Produktion eliminiert werden.
- Keine neue Müllverbrennungsanlage gebaut und Erneuerbare-Energien -Zuschüsse für Plastik und Müllverbrennung abgeschafft werden. Darunter fallen Vergasung, Pyrolyse, Zementöfen und andere Müllverbrennungsanalagen mit Energiegewinnung.
- Bioabfälle an den Boden zurückgegeben werden und “Zero Waste” Systeme die Abhängigkeit von Mülldeponien und Müllverbrennungsanalgen verringern.
- Die Systeme, die wir aufbauen und die Materialen, die wir benutzen, den Klimawandel verlangsamen, anstatt ihn zu beschleunigen.
Und die im Rahmen von BFFP organisierte Zivilgesellschaft formuliert daher auch für UNEA 3 ganz klare Ziele:
- Ein solches Abkommen braucht ein verbindliches globales Reduktionsziel, das durch einen Review-Mechanismus für Aktionspläne und klare Monitoringregeln gestärkt wird.
- Es braucht klare Grenzen und Ziele für die Produktion und den Konsum von neu hergestelltem Plastik (sogenannten „virgin polymers“). Dabei geht es darum, die Plastikerstellung von der Förderung von Öl, Gas und anderen problematischen Rohstoffen zu entkoppeln, die mehrfache Nutzung und das Recycling zu fördern (auch durch anderes Design von Produkten) und die Annahme nationaler Maßnahmen und Regeln anzuregen.
- Nötig sind hierfür globale Qualitätsstandards, die den Marktzugang für bestimmte Produkte erschweren bzw. verhindern.
- Unterstützend bedarf es klarer Vorgaben und Maßnahmen für die Sammlung und das Recyceln der Materialien, inklusive einer erweiterten Produzentenverantwortung. Dabei gilt es, die unterschiedliche Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern zu berücksichtigen sowie die Rechte und Einkommensmöglichkeiten der Arbeiter/innen (oft aus dem informellen Sektor) zu sichern.
- Insgesamt müssen in einem internationalen Abkommen dieser Art die finanzielle Unterstützung für ärmere Ländern sowie Fragen von Kapazitätsaufbau und Technologietransfer klar geregelt werden.
Eine starke Zivilgesellschaft gegen die Partikularinteressen der Unternehmen
Verhandlungen zu einem solchen Abkommen brauchen eine starke, kritische und aktive Zivilgesellschaft, die sich einmischt und einbringt. Und sie brauchen klare Regeln, die es unmöglich machen, dass diejenige Industrie, die es zu regulieren gilt, mit am Verhandlungstisch sitzt. Im Unterschied zu den mühsamen UN Klimaverhandlungen, wo Interessenkonflikte viel zu spät erkannt und daher nur unzureichend adressiert sind (und wo die fossile Industrie und andere große Verschmutzer weiter mit am Verhandlungstisch sitzen), gibt es vielleicht beim Plastikthema die Chance auf klare Regeln gleich zu Beginn, beispielsweise analog den Regeln im Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (WHO FCTC).[1]
Dass dies absolut notwendig ist, zeigt CIEL in einem aktuellen Briefing der Reihe „Fueling Plastics“, „Plastic Industry Awareness of the Ocean Plastics Problem“: Wissenschaftler wissen bereits seit den 1950er Jahren von den Problemen der Plastikvermüllung der Ozeane. Die wichtigsten Chemie- und Erdölkonzerne waren maßgeblich an dieser Forschung beteiligt, und spätestens seit den 1970er Jahren über die Risiken ihrer Produkte informiert. Statt diese Risiken aber konsequent anzugehen, hat man lieber auf Zeit gespielt – und etwa in den USA Millionen für Kampagnen gegen Volksentscheide ausgegeben, die sich für eine stärkere Regulierung wie etwa ein Verbot von Plastiktüten einsetzten. Und so erscheint es irgendwie folgerichtig, wer für die Einführung der ersten Einkaufstüten aus Plastik in den USA im Jahr 1967 verantwortlich war: ExxonMobil!
Noch heute setzen viele Hersteller auf vermeintlich umweltfreundliches, weil biologisch abbaubares Plastik. Dieses kann jedoch unter Umständen in der Umwelt genauso lange erhalten bleiben wie konventioneller Kunststoff. Eine Lösung für die Plastikkrise ist es daher nicht, wie eine UNEP-Studie bereits 2015 darlegte. Mit ein wenig Innovation hier und ein paar freiwilligen Maßnahmen dort wird das Problem nicht zu bewältigen sein – dafür braucht es schon handfeste Regulierung.
Interessanterweise sind es gerade die beim Thema Plastik oft gescholtenen Entwicklungsländer, die hier vorangehen. Ruanda hat schon seit Jahren ein sehr striktes Verbot von Plastiktüten, das bei Nichteinhalten mit drastischen Strafen droht. Und Ende August 2017 hat nun auch die kenianische Regierung ein Gesetz zum Verbot von Herstellung, Verkauf und Nutzung von Plastiktüten verabschiedet, das bei Verstößen mit bis zu vier Jahren Haft oder Geldbußen von umgerechnet etwa 32.000 Euro droht. Nur schade, dass es da vermutlich vor allem den kleinen Sündern an den Kragen gehen wird und nicht denjenigen, die die Plastikkrise im globalen Maßstab verantworten.
[1] „In setting and implementing their public health policies with respect to tobacco control, Parties shall act to protect these policies from commercial and other vested interests of the tobacco industry in accordance with national law.“ Article 5.3 of the WHO Framework Convention on Tobacco Control. http://www.who.int/tobacco/wntd/2012/article_5_3_fctc/en/