Eine kleine Generationengeschichte über die Reparatur – anlässlich des Internationalen Reparaturtags (17. Oktober)
Von Rebecca Heinz*
Jahrzehntelang ging es bergab mit der Reparatur, nun fordern immer mehr Menschen ihr Comeback. Während die EU-Kommission noch an einem Recht auf Reparatur feilt, organisieren sich Menschen in Reparaturinitiativen und Unternehmen machen die Reparatur zu ihrem Geschäftsmodell. Das Ziel: Ein reparaturfreundlicher gesetzlicher Rahmen, die Wiederaneignung fast verlorener Handwerksfertigkeiten und die Rückkehr zur Reparatur als nachhaltige Praxis im Umgang mit Ressourcen. Was aktuell als Reparatur-Revolution gilt, war für unsere Großelterngeneration noch vor wenigen Jahrzehnten Alltag.
Imageschaden einer Alltagspraxis
Als junge Erwachsene in der Nachkriegszeit erlebte meine Großmutter akute Ressourcenknappheit. Egal ob Baumaterialien, Lebensmittel oder Kleidung – alles war knapp. Daher schneiderte sie sich ihr Hochzeitskleid aus alter Fallschirmseide. Lange Nutzung, Reparatur und Wiederverwendung – für meine Großmutter war es erst der Umgang mit der Not, dann eine Haltung. Bis in die 2010er nutze meine Großmutter alte Kleidung als Putzlappen, trank Kaffee aus geklebten Tassen und hörte Radio aus zusammengeflickten Kopfhörern. Einmal angeschaffte Gegenstände, egal ob Möbel oder Elektronik, blieben auf Lebenszeit.
Die Vorstellung, dass auch Dinge eine zeitlich befristete Lebensdauer haben, setzte sich erst mit Beginn der Massenproduktion und des Massenkonsums durch. Noch vor hundert Jahren besaß ein Mensch in Deutschland nicht mehr als 400 Gebrauchsgegenstände, heute sind es mehr als 10.000. Die Anzahl an Konsumelektronik-Gütern in europäischen Haushalten hat sich alleine zwischen 1990 und 2010 schätzungsweise verzehnfacht.
Als Kind der frühen 90er habe ich vor meinem Eintritt ins Erwachsenenalter sicherlich mehr Elektroschrott produziert, als meine Großmutter in ihrem gesamten Leben. Der Umgang mit Elektronik und anderen Alltagsgegenständen ist flüchtig geworden. Schnelle Innovationszyklen, schlechte Reparierbarkeit und niedrige Neukaufpreise sind zentrale Treiber für diesen Trend. Meinen Walkman löste ein Discman, diesen wiederum ein MP3-Player ab. Als mein nagelneuer Wecker seine erste Nacht nicht überlebte, weil er vom Hochbett fiel, landete er auf dem Wertstoffhof. Er wurde recycelt und Recycling ist Umweltschutz – soweit die einfache Gleichung meiner Kindheit.
Doch die Rechnung ist komplizierter: Pro Kopf fallen in Deutschland pro Jahr über 22 Kilogramm Elektroschrott an – damit zählt die Bundesrepublik zu den Spitzenreitern Europas. 2018 wurden in Deutschland 853.124 Tonnen Elektroaltgeräte eingesammelt und dem Recycling zugeführt. Das entspricht aber gerade einmal 43 % der tatsächlichen Elektroschrottmenge, die jährlich anfällt. Doch nicht alle im Recycling erfassten Materialien werden auch rückgewonnen. Schätzungen zufolge werden nur 30 % der Metalle, die es in den Recyclingprozess schaffen, wiederaufbereitet. Der Grund: Das Recycling von Elektroaltgeräten beschränkt sich auf Massenmetalle wie Eisen, Stahl, Kupfer, Aluminium und Edelmetalle. Doch in der Produktion moderner Elektronik werden derzeit bis zu 60 Elemente eingesetzt, von denen haben mehr als die Hälfte eine Rückgewinnungsquote von nur einem Prozent – darunter kritische Rohstoffe wie Seltene Erden, Tantal, Gallium und Indium. Auch die wiederaufbereitete Menge an Edelmetallen ist erschreckend niedrig, nur 30% des Goldes, das in Altgeräten lagert, gelangt zurück in den Materialkreislauf. Dabei ist die Förderung dieser Metalle besonders umweltschädigend. Bei der Förderung von einem Gramm Gold fällt über eine Tonne Abraum an. Dieses Gemisch aus Gestein und Chemikalien belastet die Umwelt langfristig. In einem einzelnen Smartphone stecken bis zu 36 Milligramm Gold, das entspricht über drei Kilogramm Abraum. Mit Blick auf die Umweltauswirkungen der Rohstoffförderung ist es daher wichtig, nicht nur das Recycling zu verbessern, sondern auch die Elektroschrottmengen absolut zu reduzieren. Eine wichtige Stellschraube hierfür: Lange Nutzungszeiten und Reparatur.
Als ich 17 Jahre alt war, schickte mich meine Großmutter los, um ihre Fernbedienung reparieren zu lassen. Diese Bitte löste in mir Unverständnis aus. Eine Fernbedienung kostete 2008 um die 15 Euro. Warum sich meine Großmutter nicht einfach eine Neue kaufte, war mir damals unverständlich. Mit abgegriffener und klebebandumwickelter Fernbedienung ging ich in eine Werkstatt. Mir war es schrecklich peinlich dem Reparateur dabei zuzusehen, wie er die schäbige Plastikummantelung öffnete. Das innere des Gerätes war mit einer feinen Schicht aus Staub und Fett überzogen. Er reinigte es und nach nur einer Minute war die Fernbedienung wieder voll funktionstüchtig – sie wurde noch weitere acht Jahre genutzt.
In einer einzigen Fernbedienung stecken Metalle wie Gold, Kupfer, Zinn und Tantal. Handel und Abbau dieser Mineralien stehen in Zusammenhang mit der Finanzierung von Konflikten unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo und Kolumbien. Gegen den Kupferabbau und seine gravierenden Umweltauswirkungen wird in Lateinamerika seit Jahrzehnten protestiert. Nicht alle, die ihre Stimme gegen den Extraktivismus erheben, überleben den Protest. Die Einzelteile einer Fernbedienung – diesem kleinen, unscheinbaren, ja fast banalen Gerät unseres Alltags – haben nicht nur einen weiten, sondern beschwerlichen Weg hinter sich.
Meine damalige Irritation und mein Unverständnis gegenüber der Bitte meiner Großmutter ist mein persönliches Sinnbild für den Bedeutungsverlust und den Reputationsschaden geworden, welchen die Reparatur seit Jahrzehnten in unserer Gesellschaft erleidet. Reparaturen werden immer seltener durchgeführt und sind gerade bei Elektronik alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bis in die 90er Jahre gab es in jeder kleineren und mittleren Stadt einen Laden, der mit Gebrauchtgeräten handelte und Altgeräte reparierte. Mit wenigen Ausnahmen, darunter Handy-Reparaturläden oder Änderungsschneidereien, sind diese Läden weitestgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Auch die Werkstatt, in die mich meine Großmutter vor über 10 Jahren schickte, existiert heute nicht mehr.
Stellschrauben für das Reparatur Comeback
Ein wichtiger Grund für diese Entwicklungen ist das veränderte Verhältnis von Arbeitskosten zu Neukaufpreis in Deutschland und der EU. Zwischen 1991 und 2016 ist der Neukaufpreis für Elektronikgeräte um 43% gefallen, während Reparaturkosten um 40 % gestiegen sind. Der relative Preisverfall von Konsumgütern hängt auch damit zusammen, dass Elektronikhersteller heute überwiegend in Ländern mit niedrigem Lohnniveau produzieren und Bergbauunternehmen Rohstoffe bevorzugt in Regionen mit niedrigen Umweltauflagen abbauen. Mit anderen Worten: Die Zeche für die Kurzlebigkeit unserer Alltagselektronik zahlen Menschen andernorts. Der Neukauf eines Handys ist oftmals billiger als dessen Reparatur, weil es Menschen zusammengebaut haben, denen nur ein Bruchteil des Lohnes, des Urlaubes und der Freizeit zusteht, die einem oder einer deutschen Reparateur*in zustehen würde. Der Neukauf ist auch billiger, weil damit einhergehende Umweltverschmutzungen und Treibhausgasemissionen unzureichend im Kaufpreis abgebildet werden.
Entscheidend für den Untergang der Reparatur ist aber vor allem der Unwille vieler Hersteller, überhaupt eine Reparatur zu ermöglichen: Ersatzteile sind entweder nicht verfügbar oder überteuert, Informationen und Reparaturanleitungen sind nicht vorhanden, fehlende Softwareupdates verkürzen die Nutzungsdauer der Hardware und ein kompliziertes Produktdesign verunmöglicht die Reparatur von vorneherein.
Um die Reparatur attraktiver zu gestalten, müssen viele Stellschrauben gezogen werden. Die EU-Kommission hat im März mit ihrem Vorschlag für die Einführung eines umfassenden Rechts auf Reparatur einen wichtigen Vorstoß gewagt: Vorschriften und Anforderungen zu Produktdesign, Ersatzteilverfügbarkeit und Reparatur-Informationen sollen der Reparatur endlich zu ihrem verdienten Comeback verhelfen. Bei der Ausgestaltung der Maßnahmen werden wir als zivilgesellschaftliche Akteure einen kritischen Blick darauf werfen, welche Spielräume die Hersteller bei der Preisgestaltung ihrer Ersatzteile erhalten – denn nur, wenn sich die Reparatur für den oder die Vebraucher*in finanziell lohnt, wird sie Erfolg haben. Wenn die Bundesregierung will, kann sie schon heute Wegbereiter dieser Entwicklung sein und den Mehrwertsteuersatz für Reparaturdienstleistungen und Gebrauchtwaren von aktuell 16% (bzw. 19%) auf 5% (beziehungsweise 7%) heruntersetzen oder gleich ganz abschaffen.
Ein wichtiger Schritt ist zudem die Einführung und Umsetzung einer umfassenden gesetzlichen Sorgfaltspflicht, wie es derzeit auf Bundes- und EU-Ebene diskutiert wird. Das Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, Sorgfaltsmaßnahmen entlang ihrer Wertschöpfungsketten umzusetzen. Unternehmen adressieren damit menschenrechtliche und ökologische Risiken entlang ihrer Lieferketten und setzen sich aktiv für deren Vermeidung ein – ein wichtiger Schritt, damit Ausbeutung und Umweltschädigung nicht länger potentielle Wettbewerbsvorteile für Unternehmen sind.
Um die Reputation der Reparatur auch langfristig und dauerhaft zu rehabilitieren, braucht es neben diesen politischen Anreizen auch einen Kulturwandel. Lange Nutzung, Reparatur und Wiederverwertung müssen wieder fester Bestandteil unserer alltäglichen Praktiken und unseres Selbstverständnisses werden. Werbung für vermeintliche Innovationen im Elektroniksegment der Hersteller schaffen neue Bedürfnisfelder und stehen diesem Kulturwandel entschieden entgegen. Unternehmen können den Wandel begünstigen, indem sie langhaltbare und reparaturfähige Geräte in den Vordergrund von Marketingstrategien stellen. Positiv-Beispiel für suffiziente Marketingstrategien gibt es bereits im Textilsektor: Patagonia rief seine Kunden im Weihnachtsgeschäft 2011 dazu auf, lieber alte Jacken zu reparieren, als neue zu kaufen.
Vor allem die laute Stimme der Zivilgesellschaft ist der Treiber für das bevorstehende Reparatur-Comeback. Die aktuellen Pläne der EU wären ohne das Engagement und den Einsatz der vielen Reparaturinitiativen, Tauschplattformen, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände nicht möglich gewesen. Also, hoch die Schraubenzieher und rann an den Schrott!
*Rebecca Heinz ist Referentin für Ressourcenpolitik bei Germanwatch und unterstützt die Arbeit des Runden Tisch Reparatur. Dieser setzt sich für eine neue Kultur der Reparatur in Deutschland und für ein umfassendes Recht auf Reparatur ein.