US-Klimagesetz auf der Intensivstation

Montag vormittag sollte ursuprünglich das Klimagesetz vorgestellt werden. Daraus wurde nichts. Stattdessen trafen sich die Senatoren Kerry, Graham und Lieberman am Abend zu einem Krisengespräch, um auszuloten, ob die Beratungen weitergehen oder abgebrochen werden. Die gute Nachricht ist, es geht weiter. John Kerry verweist darauf, dass jedes verabschiedete Gesetz zuvor mindestens einmal totgesagt worden sei:

„We’re still pushing, we’re still talking, we’re still fighting, it’s very much alive – and I won’t quit, … It’s practically a rite of passage. No serious legislation ever makes it very far in Congress before it’s declared dead – at least once, sometimes two or three times,“ Senator Kerry said.

Die schlechte Nachricht ist, dass das Verfahren am seidenen Faden hängt. Das Klimagesetz ist noch nicht tot, aber es liegt auf der Intensivstation. Lindsey Graham, der für die Operation so wichtige republikanische Senator, droht weiter damit, auszusteigen. Er zweifelt vor allem am Willen der demokratischen Führung, sich mit voller Kraft für das Klimagesetz einzubringen. Grund dafür ist die seit dem Wochenende offensiv gefahrene Strategie der Demokraten, die Frage der Einwanderungspolitik ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung in den kommenden Monaten zu stellen. Nach dem Krisentreffen mit Kerry und Lieberman verschärfte Graham seine Vorwürfe (zitiert aus The Greenwire):

„Do you think I’ve been working all these months saying, ‚Let’s do energy and climate,‘ and Tuesday, ‚Let’s do immigration,’“ Graham said, speaking to reporters for about 15 minutes, half of the time standing in an elevator with the door held open. „Do you think I’d sit on the sidelines and see immigration brought up like this and not object? I care about immigration. You all are talking about energy and climate,“ Graham added. „Well, Lindsey Graham is part of both. And I’m not going to be a party to bringing up immigration in this Congress, I mean in this year, in a way that will destroy the issue. I’m not going to have my fingerprints on a political maneuver that could wind up breaking this country apart. So how much clearer can I be? Immigration brought up this year is nothing but a political stunt. It will divide the country.“

Zu Reid sagte Graham gar:

„Not only have you hurt immigration; you’ve destroyed any chance of energy and climate having a snowball’s chance in hell,“ Graham said.

Es kursieren im Prinzip zwei Interpretationen, warum Graham jetzt aussteigen will. Die einen sagen, dass er schlichtweg keine weiteren republikanischen Senatoren für das Gesetz finden konnte. Zudem wurde Graham zuletzt immer schärfer von Parteikollegen und Aktivisten für seine Kooperationsbereitschaft mit den Demokraten attackiert. Da käme der beginnende Streit um die Einwanderungsreform gerade recht, um mit einer gehörigen Portion Drama die Brocken hinzuschmeißen.

Die andere Interpretation lautet, dass sich Lindsey Graham angesichts mangelnder Unterstützung von Harry Reid und Präsident Obama zurecht nicht in einen aussichtslosen Kampf stürzen will. Lack of Leadership wird so etwas hier genannt. Grahams Misstrauen in die demokratische Führung sei berechtigt. Allen voran Harry Reid müsste – weil Mehrheitsführer im Senat – eine Schlüsselfunktion bei den weiteren Beratungen spielen (siehe z.B. LA Times). Dazu sei dieser aber (noch) nicht bereit.

Was ist dran an den Vorwürfen? Harry Reid kämpft um sein politisches Überleben. Seine Wiederwahl im November ist gefährdet. The Atlantic erklärt hier, dass Reid unbedingt die hispanische Wählerschaft Nevadas mobilisieren muss, wenn er noch eine Chance haben will. Das kann mit dem Thema Einwanderung gelingen, nicht aber mit einem Klimagesetz. Das Weiße Haus stützt diesen Kurs, weil die Demokraten auch in anderen Bundesstaaten und Wahlkreisen mit dem Einwanderungsthema punkten können (siehe hier). Einwanderung ist im Gegensatz zu Klimaschutz ein Thema, was die Massen in den USA bewegt (siehe diesen bemerkenswerten Beitrag von Larry Shapiro auf The Grist, lesenswert!). Obama weiß auch, dass er Reid in weiten Teilen die Gesundheitsreform zu verdanken hat. Das Weiße Haus will zwar ein Klimagesetz. Aber anscheinend nicht um den Preis, Reid hängen zu lassen (wie CBS hier erläutert ).

An beiden Interpretationen ist sicher etwas dran, auch wenn ich persönlich die letztere für plausibler halte. Tom Friedman, Kolumnist von der New York Times, übrigens auch, in einem TV-Auftritt am Sonntag. Aber unabhängig, wer den Karren in den Dreck gefahren hat; wie kann er da wieder rausgeholt werden?

Es gibt gute Gründe für die Demokraten, das Klimagesetz zur Priorität zu machen:

1. Trotz aller Schwierigkeiten gibt es eine reale Chance, das Klimagesetz zu verabschieden. Tatsächlich waren die Aussichten noch nie besser und werden es vermutlich auch so schnell nicht wieder sein. Graham, Kerry und Lieberman haben das Thema gut vorbereitet und hinter den Kulissen Kompromisse ausgelotet. Das Repräsentantenhaus hat bereits ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. All das gilt für Einwanderung nicht. Den Unterschied sehen Kommentatoren darin, dass beim Klimaschutz ein Gesetz verabschiedt werden soll. Bei der Einwanderungsfrage geht es darum, ein gutes Thema für den Wahlkampf zu pushen.

2. Beim Klimaschutz herrscht Zeitdruck, endlich zu handeln. Nach den vergeudeten Jahren unter George W. Bush ist der Einstieg für die USA in die Klimapolitik überfällig. Die internationale Staatengemeinschaft verhandelt über einen neuen Klimavertrag und wartet seit Jahren darauf, dass der historisch größte Verschmutzer endlich mit einer klaren Zusage an Bord kommt. Ohne ein nationales Klimagesetz wird die US-Regierung bei einem neuen Klimaabkommen kaum mitmachen. Und neben der Diplomatie ist der Klimwandel eine tickende Zeitbombe. Wenn die globale Erwärmung auf ein noch vertretbares Maß gedrosselt werden soll, muss in wenigen Jahren eine Kehrtwende erreicht werden. Bei allen Problemen, die die USA mit ihren heutigen Einwanderungsregeln haben: im Vergleich zum Klimawandel und den internationalen Implikationen ist der Zeitdruck hier wesentlich geringer.

3. Wenn Lindsey Graham jetzt aussteigt, verlieren die Demokraten ihren letzten Partner im republikanischen Lager. Graham (Porträtartikel gibt es hier und hier) hat großes Risiko auf sich genommen und sich in den Reihen der Republikaner unbeliebt gemacht, weil er mit den Demokraten zusammen arbeitet (siehe z.B. Jonathan Chait in The New Republic) Es geht inzwischen soweit, dass Tea Party Aktivisten Graham mit einer Kampagne wegen seiner sexuellen Orientierung angreifen. Wenn die Demokraten das Klimagesetz hängen lassen, wird das die Stellung von kooperationswilligen Republikanern wie Graham in Zukunft schwächen und weniger wahrscheinlich werden lassen (siehe auch dieser Kommentar in der Washington Post).

Wie geht es nun weiter? Etliche Unternehmen machen Druck, dass die Arbeiten am Klimagesetz fortgesetzt werden. In den Umweltverbänden mehren sich die Stimmen, die ein Eingreifen von Obama fordern. Hochrangige Regierungsmitglieder wie Obamas Pressesprecher Robert Gibbs, Wirtschaftsberater Larry Summers und Umweltzarin Carole Browner betonen, dass die Regierung beides, Klimagesetz und Einwanderungsreform, will. Das wäre schön, aber wenig realistisch. Damit ist klar, dass das Weiße Haus bislang darauf verzichtet, eine klare Priorität zu setzen.

Und was ist mit Obama selbst? Der wird heute in Fort Madison (Iowa) ein Werk von Siemens besuchen, um sich beim deutschen CEO Peter Löscher ueber den Bau von modernen Windkraftanlagen zu informieren. Anschließend gibt Obama eine Rede zu Green Jobs. Zeit, das Klimagesetz von der Intensivstation zu holen, Mr. President!


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